Es war ein spezieller Arbeitstag für Philipp Hildebrand. Die Aktionäre der Nationalbank waren am letzten Freitag im April zur Generalversammlung ins Berner Casino gekommen. Gerade hatte der Bundesrat seine Botschaft zu Hildebrands Prestigeprojekt, dem «Too big to fail»-Gesetz, ans Parlament verabschiedet. Doch sein Lieblingsthema, für das er sonst so eindringlich wirbt, blendete der Nationalbank-Präsident in seiner Ansprache fast vollständig aus: «Die Verantwortung liegt nun beim Parlament», verkündete er lapidar – und wandte sich der Geldpolitik zu.

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Hinter den Kulissen ist er jedoch umso aktiver. Mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, die als Finanzministerin in der Regierung die Federführung bei dem heiklen Dossier hat, steht er in engstem Kontakt. Die beiden verbindet ein Ziel: das «Too big to fail»-Gesetz noch in diesem Jahr durchs Parlament zu bringen.

Rückzugsgefecht. Widmer-Schlumpf sieht in scharfen Massnahmen gegen die verpönten und lobbylosen Grossbanken die beste Profilierungschance, ihr gerade erst erkämpftes Lieblingsamt nicht nach den Wahlen im Herbst schon wieder aufgeben zu müssen. Und auch für Hildebrand wird die Lage deutlich ungemütlicher, sollte Widmer-Schlumpf ihren Posten verlieren. Würde die SVP den neuen Finanzmininster stellen – was derzeit die wahrscheinlichste Variante ist –, wäre Hildebrands engster Ansprechpartner im Bundesrat der Vertreter einer Partei, die wegen des SNB-Rekordverlusts von 21 Milliarden Franken seinen Rücktritt fordert. Auch wenn in der Schweiz noch nie ein Nationalbank-Präsident aus dem Amt gedrängt wurde: Für Hildebrand würde ein zäher Zermürbungskampf mit offenem Ausgang beginnen.

Hildebrand gab sich deshalb vor drei Monaten als Vorkämpfer für das neue Gesetz. «Falls es Versuche geben sollte, von diesem Paket abzuweichen, dann werden wir uns, dann werde ich mich sehr intensiv in diese Diskussion einschalten und immer wieder erklären, um was es geht», sagte er Anfang Februar gegenüber der «Zeit». Eine heikle Strategie: Scheitert das Gesetz, steht er persönlich als Verlierer da.

Zudem: Ob er mit diesem Erklärungshabitus seiner Sache nützt, ist fraglich. Denn die Parlamentarier verabscheuen nichts mehr, als für kenntnisfremd gehalten zu werden. Im Wahljahr 2011 ist das besonders gefährlich. Jetzt rächt sich, dass Hildebrand die Nationalbank ohne Not in die politische Arena geführt hat. Er ist der Politik mit all ihren Machtspielen ausgeliefert. Offiziell stimmt die SVP gegen das Gesetz, weil sie es – zu Recht – für eine Scheinlösung hält, die das «Too big to fail»-Problem nicht löst, dafür aber die Wettbewerbsfähigkeit der Banken schwächt. Doch natürlich will die Partei auch der verhassten Eveline Widmer-Schlumpf den Triumph nicht gönnen. Auch in den Mitteparteien sind die Vorbehalte gegen die ehrgeizige Bündnerin nach der handstreichartigen Übernahme des Finanzdepartements gestiegen, wobei die FDP-Vertreter das neue Gesetz – aus inhaltlichen Gründen – kritischer sehen als die CVP-Abgeordneten. Ob da Hildebrands Schulterschluss mit der bankenfeindlichen SP genügt, ist deshalb höchst fraglich.

Auf Basel III setzen. Doch sollte das Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen, wäre das gut für die Schweizer Volkswirtschaft. Wenn es eine Lehre aus dem Debakel gibt, so lautet sie: Das Finanzsystem ist zu stark vernetzt, als dass mit lokalen Lösungen globale Krisen verhindert werden können. Niemand bestreitet, dass die Regeln nach dem Desaster deutlich verschärft werden müssen. Doch das geschieht derzeit bereits über das neue Basel-III-Regelwerk in einschneidenderer Form, als es die Schweizer Öffentlichkeit wahrhaben will: Banken mit starkem Investment Banking werden von den neuen Regeln besonders stark betroffen, da sie für dieses risikoreiche Geschäft besonders viel Kapital unterlegen müssen. Laut Schätzungen von Morgan Stanley steigen die sogenannten risikogewichteten Aktiven unter dem neuen Basel-III-Standard bei der UBS um 60 und bei der CS um 45 Prozent: So stark sind die Grossbanken in keinem anderen Land in Europa betroffen.


Zudem steht das neue Regelwerk noch immer nicht endgültig: Der Zuschlag für die sogenannten systemrelevanten Institute muss noch definiert werden, doch das wird erst gegen Jahresende passieren. Derzeit liegt die UBS mit einem Kernkapital nach den neuen Basel-III-Regeln von 11,3 Prozent im internationalen Vergleich vorn, die CS mit 8,6 Prozent im Mittelfeld (siehe «Gut ausgestattet» unter 'Nebenartikel').

Dennoch will sich die Schweiz die Regeln im Alleingang und vor allen anderen Staaten weiter verschärfen. Statt der im neuen Basel-III-Regelwerk vorgesehenen Eigenkapitalhöhe von derzeit 10 Prozent fordert der vom Bundesrat vorgelegte Gesetzesentwurf 19 Prozent.

Widmer-Schlumpf und Hildebrand haben eigentlich nur ein Argument: Die Schweizer Grossbanken seien im Vergleich zur Wirtschaftskraft des Landes zu gross und würden bei einer Pleite mit ihrer faktischen Staatsgarantie die Eidgenossenschaft mit sich in den Konkurs reissen. Doch auch für dieses Argument gilt die alte Weisheit: Es wird durch Wiederholung nicht richtiger.

Auch in anderen Staaten. Das belegen die Zahlen. Nimmt man den Bewertungsmassstab US-GAAP als Gradmesser, haben mehrere Staaten das gleiche Problem wie die Schweiz (siehe «Grosse Banken», unter 'Downloads'). Die grösste dänische Bank beispielsweise hat eine Bilanzsumme, die das 2,3fache des Bruttoinlandprodukts (BIP) ausmacht – das ist mehr als bei der UBS, doch eine Debatte über «Too big to fail» gibt es in Dänemark nicht. In den Niederlanden bringen die beiden grössten Banken mehr als 300 Prozent des BIP auf die Waage – was fast mit der Schweiz vergleichbar ist –, doch auch dort gibt es keine «Too big too fail»-Debatte. Und in England liegen die Bilanzsummen der fünf grössten Banken bei 280 Prozent der Wirtschaftsleistung, was angesichts eines viermal so hohen Bruttosozialprodukts und einer europäischen Rekordverschuldung von mehr als zehn Prozent nach Schweizer Logik ein viel grösseres Risiko sein müsste, zumal bei einer Systemkrise mehrere Institute Staatshilfe benötigen.

Zudem steht hinter der «Too big to fail»-Argumentation ein Schreckensszenario sondergleichen: Dass der Staat selbst im Falle einer Gesamtübernahme einer Bank die gesamte Bilanzsumme bezahlen muss, ist selbst in der schlimmsten Finanzkrise seit den dreissiger Jahren nirgends passiert. Im Krisenfall kauft der Staat eine Aktienbeteiligung, bis hin zur Totalübernahme, doch die Aktien sind gerade wegen der Krise im Keller – wie damals bei der UBS. Die realen Kosten für den Staat beliefen sich in den schlimmsten Fällen in den USA und England auf höchstens drei Prozent der Bilanzsumme. In der Schweiz sprang für den Bund am Ende aus der UBS-Beteiligung sogar ein Gewinn von 1,2 Milliarden Franken heraus.

Zudem ist die Art der Krise entscheidend: Geht eine Bank durch individuelles Versagen in Konkurs, wie etwa die britische Barings in den neunziger Jahren, so wird der Staat immer einen Käufer für grosse Teile finden, gerade bei UBS und CS mir ihrem attraktiven Wealth Management. Handelt es sich jedoch um eine Systemkrise wie 2008, nützen auch die höheren Eigenkapitalpolster wenig – sowohl die UBS als auch Lehman Brothers waren stets überdurchschnittlich kapitalisiert.

Wie ein gewissenhafter Umgang mit dem Finanzplatz aussieht, zeigt das Beispiel England. Der Finanzplatz London, hinter New York der zweitgrösste der Welt, wurde von der Finanzkrise deutlich stärker getroffen als die Schweiz. Die Steuerzahler mussten 70 Prozent des BIP einschiessen, gegenüber 7 Prozent in der Schweiz. Zwei der fünf Grossbanken wurden verstaatlicht, und auch heute noch ist der Staat bei der Royal Bank of Scotland und bei Lloyds TSB Hauptaktionär. Die Debatte in England ist, angeheizt von der aggressivsten Boulevardpresse der Welt, intensiver als in der Schweiz. Sie wurde sogar physisch: Fred Goodwin, in Ungnade gefallener Ex-Chef der Royal Bank of Scotland, musste sich sein Anwesen beschmieren lassen. Und im letztjährigen Wahlkampf liess sich mit Bankenbashing erfolgreich Stimmenfang betreiben.

Pragmatische Briten. Doch die Wut richtete sich vor allem gegen die überrissene Bezahlung der Banker. Das «Too big to fail»-Problem gehen die Engländer dagegen pragmatisch an, obwohl sie mindestens genauso stark betroffen sind wie die Schweizer. Natürlich tobte auch dort eine heftige Debatte, und der ebenfalls sehr aggressiv auftretende Notenbankchef Mervyn King forderte schon mal eine Abtrennung des Investment Banking, worauf Banken wie Barclays oder HSBC auch dort mit Abwanderung drohten. Doch durchgesetzt hat sich die Haltung, die der Premier David Cameron am Januar beim WEF formulierte: «Unsere Wettbewerber wollen uns einen Teil von unserem Finanzplatz nehmen. Das werden wir verhindern.»

Das zeigte sich anhand des mit Spannung erwarteten Berichts, den die eigens ernannte Independent Commission on Banking Anfang April vorlegte. Da war wenig Revolutionäres: ein Abgrenzen des heimischen Retailgeschäfts mit einer Kapitalunterlegung von zehn Prozent und im internationalen Geschäft eine Angleichung an die neuen Basler Regeln von ebenfalls zehn Prozent. Stärker verschärfte Eigenmittelvorschriften wie in der Schweiz lehnen die Briten ab.

Der «Economist», für viele Beobachter noch immer der objektivste Gradmesser in Regulierungsfragen, bezeichnete das neue britische Regime, das den Grossbanken Eigenkapitalanforderungen von maximal 13,5 Prozent auferlegt, als «angemessen». Das Wirtschaftsblatt steht da ganz in der Tradition seines Übervaters Walter Bagehot, der den «Economist» Mitte des 18. Jahrhunderts als Schwiegersohn des Gründers James Wilson übernommen hatte. Der Verfassungstheoretiker veröffentlichte 1871 das Buch «Lombard Street» über die Pleite der Bank Overend, Gurney and Company. Sie hatte die englische Notenbank um Hilfe angefleht, doch diese blieb hart – und löste damit eine Massenpanik aus. Seither ist selbst für liberale Überzeugungstäter klar: Im Notfall muss der Staat bei Unternehmenspleiten im Sinne des Gemeinwohls eingreifen – ob das nun Banken, Autohersteller oder Versicherungen betrifft.

Das gilt auch in der Schweiz, wo die Finanzkrise bei der Diskussion um Staatshilfen eine falsche, viel zu enge Zuspitzung auf die Banken gebracht hat. Oder glaubt jemand im Ernst, dass der Bund tatenlos zuschauen würde, wenn beispielsweise ein staatlich reglementierter Lebensversicherer wie die Swiss Life mit ihrer riesigen Zahl an Pensionsversprechen pleitegehen würde?

Doch Finanzdepartement und Nationalbank gefallen sich in der Rolle des globalen Musterknaben. Die Konkurrenz in London, New York und Frankfurt freut sich. Und wie beurteilt der «Economist» die geplanten Schweizer Regeln? Die seien «sehr hart».