Einige Zeit schien es mit den Elektroautos nicht so richtig vorwärts zu gehen in Europa. In Deutschland ging der Verkauf vor zwei Jahren sogar zurück. Trotz staatlicher Förderung. Nun scheint aber eine Trendwende im Gang zu sein – befeuert von Diesel-Skandal und Umweltsorgen. Und angetrieben von traditionellen Autobauern, die ihre Modellpalette mit Elektroautos massiv verbreitert haben.
«Im vergangenen Jahr ist die grundlegende Transformation endgültig in den Märkten angekommen. Elektroautos haben sich weltweit etabliert», sagt Auto-Experte Elmar Kades. Er gehört zu den Mitautoren des «Automotive Electrification Index» der Beratungsfirma Alix Partners. Die Firma ermittelt die elektrische Reichweite der verkauften Fahrzeuge nach Ländern und Autoherstellern. Der Index misst quartalsweise den Elektrifizierungsfortschritt in der globalen Automobilindustrie und bestimmt dazu die elektrische Reichweite der verkauften Fahrzeuge.
Laut des Index steigt der Verkauf von Elektrofahrzeugen weltweit rasch an: Im ersten Quartal 2017 wurden auf dem ganzen Globus Autos mit 36,7 Millionen Kilometern an elektrischer Reichweite abgesetzt. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres hat sich dieser Wert mit 77,8 Millionen Kilometer mehr als verdoppelt. Dieser Trend wird anhalten – und zwar wegen den Bemühungen der Autoindustrie. Die Autohersteller haben in den nächsten fünf Jahren Investitionen in der Höhe von über 244 Milliarden Dollar für Elektroautos angekündigt. In dieser Summe sind die Gelder für die Forschung rund um Batterietechnologien nicht enthalten.
Auch ohne den Staat kaufen die Leute E-Autos
In zahlreichen Ländern schieben staatliche Anreizprogramme den Verkauf von Elektroautos an. So etwa in China und Norwegen. Doch mittlerweile sei der Staat nicht der, der das Wachstum befeure, sagen die Experten von Alix Partners. E-Autos würden auch ohne Kaufanreize attraktiver werden, so die Autoren. Trotzdem müsse der Staat mitmischen, sind sich die Experten einig. Etwa beim Ausbau eines Netzes von Ladestationen. «Überall da, wo sich der Staat kaum beim Aufbau eines Netzwerks von Ladesäulen engagiert, hinken die Verkaufszahlen für E-Autos hinterher», sagt Marcus Kleinfeld von Alix Partners.
Rund 2500 E-Autos im letzten Quartal 2017 in der Schweiz verkauft
Angeführt wird die Rangliste natürlich von China, welches unglaubliche Summen in die Elektromobilität steckt. 2017 stieg dort der Anteil der verkauften elektrischen Reichweite um über 90 Prozent und erreichte im letzten Quartal 44,1 Millionen Kilometer. Nicht mal die Hälfte davon schafft die USA als Nummer 2. Danach folgt Norwegen, das mit knapp sechs Millionen Einwohner auf vier Millionen verkaufte E-Kilometer kommt. Deutschland hat die Trendwende geschafft und den Verkauf von E-Autos um 120 Prozent gesteigert, nachdem er 2016 sogar zurückging.
Beachtlich ist auch die Positionierung der Schweiz im Ranking: Für ein kleines Land rangiert sie auf dem elften Platz. Im vierten Quartal 2017 wurden rund 690'000 E-Kilometer und rund 2560 E-Autos verkauft. Die Werte zeigen, dass in der Schweiz vergleichsweise hohe Reichweiten gefragt sind. Die durchschnittliche verkaufte elektrische Reichweite eines Elektroautos lag hierzulande bei 267 Kilometer, in Deutschland hingegen nur bei 155 Kilometern.
Mehr E-Autos locken mehr Kunden
Ein wichtiger Treiber der rasanten Entwicklungen sind die Autohersteller selbst. Sie bringen immer mehr Automodelle mit Elektroantrieb auf den Markt. Und zwar in den verschiedensten Klassen für die unterschiedlichsten Zielgruppen. «Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen steigt. Die Automobilindustrie scheint mit vielen ihrer neuen Modelle den Kunden das zu bieten, was sie sich wünschen», sagt Auto-Experte Kleinfeld.
Tatsächlich wurden im Jahr 2017 so viele neue Modelle auf den Markt gebracht wie nie zuvor: Weltweit wurden 84 neue Modelle lanciert. Die Autohersteller wollen nachlegen und planen schon bis in vier Jahren über 270 neue Elektrofahrzeuge. Vor allem der Volkswagen-Konzern investiert massiv in diese Entwicklung neuer Modelle mit elektrischem Antrieb. 55 neue Autos plant der Konzern in den nächsten fünf Jahren auf den Markt zu bringen.
Tesla profitiert weniger
Die europäischen Hersteller versuchen mit ihrer Modelloffensive den Abstand zu China zu verringern. Die chinesischen Hersteller BAIC und BYD kommen Tesla immer näher: Mit 13 Millionen Kilometern an verkaufter Reichweite behauptet Tesla im vierten Quartal zwar seine Führungsrolle, BAIC kommt jedoch bereits auf 8,8 Millionen und BYD auf 7,4 Millionen Kilometer bei den verkauften Kilometern.
Vor allem aber scheint Tesla weniger stark von der Dynamik des globalen E-Auto-Marktes zu profitieren als andere Hersteller, obwohl das Unternehmen von Elon Musk als Vorreiter gilt: Die verkaufte E-Reichweite bei Tesla wuchs in den vergangenen zwei Jahren nur um 42 Prozent, der Gesamtmarkt in den Industrieländern jedoch um 82 Prozent im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Die verkaufte elektrische Reichweite bei BAIC stieg 2016 um 216 und 2017 um 130 Prozent.
Baojun in China top
Die Rangliste verschiebt sich vor allem dann, wenn Hersteller neue Modelle für breite Käuferschichten auf den Markt bringen. Das zeigt das Beispiel GM: Die verkaufte Reichweite mit elektrischen Autos stieg bei GM im Jahr 2017 um fast 500 Prozent. Der Grund: In Kooperation mit SAIC hatte GM im Jahr 2017 das City-Auto Baojun E100 auf den Markt gebracht. Von den europäischen Herstellern können sich Renault zusammen mit Nissan sowie BMW und Volkswagen zwar in den Top Ten der Rangliste halten, viele chinesische Anbieter drängen aber rascher nach vorne.
«Die chinesischen Hersteller haben bei der Elektrifizierung Riesenfortschritte gemacht. Die etablierten Autohersteller werden aber in den nächsten Monaten und Jahren alles tun, um am Elektro-Boom teilzunehmen. Und zwar mit einer Vielzahl neuer Modelle, mit massiven Investitionen, auch in Forschung und Entwicklung und mit ihrer traditionellen Stärke im Fahrzeugbau», sagt Elmar Kades von Alix Partners.