Reden Politiker vom «Heer der psychisch Angeschlagenen», beziehen sie sich meist auf die Invalidenversicherung mit der zunehmenden Zahl der «psychisch Invaliden», die soeben die 100 000er-Marke überschritten hat.

Fast niemand aber spricht vom andern, ungleich grösseren Heer von psychisch Angeschlagenen im richtigen Heer. Der Anteil der jungen Männer, die während der Rekrutenschule (RS) ausgemustert werden mussten, ist um die Jahrtausendwende derart angestiegen, dass die Armeespitze reagiert hat. Sie liess von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich den Vetter-Test entwickeln, einen Bogen mit 260 Fragen, den seit zwei Jahren alle Stellungspflichtigen ausfüllen müssen. Deklariertes Ziel ist es, «jene 20 Prozent zu ermitteln, bei denen die höchste Wahrscheinlichkeit einer psychisch bedingten Dienstuntauglichkeit besteht». Diese 20 Prozent werden von Psychiatern und Psychologen präziser evaluiert – und dann zum einen Teil für zivilschutzdiensttauglich, zum andern auch für zivilschutzuntauglich erklärt. Während der RS fallen nur noch «weniger als vier Prozent» heraus, was eine «hohe Trefferquote» sei. «Über zehn Streitkräfte wollen sich unsere Rekrutierung näher ansehen und Methoden übernehmen», sagt Divisionär Gianpiero A. Lupi, Chef Sanität, Oberfeldarzt.

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Die Zahlen besagen auch, dass die meisten Untauglichen in der Schweiz gar nie eingemustert werden – der Entscheid fällt unmittelbar bei der Rekrutierung. Die nackten Zahlen tönen dramatisch. 1982 waren 16 Prozent der jungen Männer untauglich, 1992 waren es 22 Prozent, seit drei Jahren sind es konstant 39 Prozent, die zur einen Hälfte aus physischen, zur andern aus psychischen Gründen abgewiesen werden. 39 Prozent, das ist eine erschreckend hohe Quote; so viele junge Männer können kaum krank sein. Divisionär Lupi: «Viele haben Leiden oder Gebrechen, mit denen sie im Zivilleben tauglich und nicht krank im Sinne der Arbeitsunfähigkeit sind.»

Anders sieht es Ruedi Winet, Leiter der Zürcher Beratungsstelle für Militärdienstverweigerung und Zivildienst: «Es genügt, bei der Aushebung einen unmotivierten Eindruck zu machen.» Verbergen sich hinter den Untauglichen also lauter Unwillige? «Nein», antworten Armeeärzte und verweisen auf die «ausgedehnten psychischen Abklärungen», die dem Fragebogentest nachfolgen. Just die hohe Rate der psychisch Untauglichen wirft weitere Fragen auf: Wird via Armee das psychische Leiden gar für gesellschaftlich normal erklärt? Wird hier der Trend der IV vorgespurt? «In der Armee widerspiegelt sich die Gesellschaft und nicht umgekehrt», antwortet Divisionär Lupi.

Am tiefsten ist die Quote der Untauglichen mit gut 20 Prozent in ländlichen, hügeligen Kantonen wie Nidwalden oder Appenzell Innerrhoden. Dort ist, welch Zufall, auch die Quote der IV-Renten-Bezüger am tiefsten (weniger als vier Prozent). Am höchsten ist die Quote der IV-Rentner in Basel-Stadt mit über neun Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, gefolgt vom Jura mit fast acht Prozent. Das gleiche Bild bei der Rekrutierung, aber in höherer Potenz: Am meisten Untaugliche stellt Basel-Stadt (60 Prozent), gefolgt vom Jura (47 Prozent). Basel-Stadt und Jura? Das sind just jene Kantone, in denen das Volk bei den Abstimmungen zur Armee-Abschaffung am meisten Ja-Stimmen eingelegt hat. Die Wehrpolitik hält seither an der allgemeinen Wehrpflicht fest und nimmt in Kauf, dass bald 40 Prozent der jungen Männer krankgesprochen werden.