Seit gestern können iPhone- und Apple Watch-Besitzer in der Schweiz mit Apple Pay bezahlen. Die Nervosität bei der Konkurrenz zeigte sich in den Wochen vor dem Launch: Paymit und Twint beschlossen zusammenzuspannen, um gegen den Konkurrenten zu bestehen. Zahlungsexperte Sandro Graf erklärt, welche Entwicklung er im Schweizer Markt für mobile Bezahlformen erwartet und was der Einstieg des US-Riesen für die heimische Lösung Twint bedeutet.

Herr Graf, Apple Pay ist in der Schweiz gestartet. Bislang braucht man eine Kreditkarte der Cornèrbank, Swissbankers oder Bonuscard.ch, um mit iPhone oder Apple Watch zu zahlen. Rechnen Sie damit, dass weitere Kreditkartenherausgeber bei Apple Pay einsteigen, oder werden die Banken ihre eigene Bezahllösung Twint schützen wollen?
Sandro Graf*: Das eine schliesst das andere nicht aus. Auch wenn es zurzeit von einigen Banken noch Widerstand gibt, denke ich, dass die Banken künftig nach der Devise handeln werden: «Das eine tun und das andere nicht lassen» - also sowohl ihre eigene Lösung pushen und gleichzeitig bei Apple Pay mitmachen. Apple Pay hat in der Schweiz Potential – wenn die Herausgeber am Erfolg mitverdienen können, werden sie das definitiv ausnutzen. Deshalb denke ich, dass grosse Herausgeber wie die UBS oder Swisscard bei Apple Pay einsteigen. Auch Apple wird ein Interesse daran haben, möglichst schnell und breit Transaktionen zu generieren – denn pro einzelne Transaktion verdient Apple nicht besonders viel.

Der Konsumentenschutz hat Klage gegen Apple bei der Wettbewerbskommission eingereicht, weil der Konzern aus Cupertino anderen Anbietern von Bezahl-Apps wie Twint den Zugriff auf die Near-Field-Communication-Schnittstelle (NFC) verweigert. Könnte dies für Apple zum Stolperstein in der Schweiz werden?
Das dürfte keinen grossen Einfluss auf den Erfolg von Apple Pay haben. Im schlimmsten Fall müsste Apple NFC für Drittanbieter öffnen. Für Lösungen wie Twint dürfte aber zu viel Zeit verstreichen, bis diese rechtlichen Probleme gelöst sind. Sollte Apple NFC für Drittanbieter zulassen, stellt sich auch immer noch die Frage, ob diese Öffnung nur für die Schweiz zutrifft oder ob dann auch im Ausland mit einer Drittlösung via NFC gezahlt werden kann.

Twint steht mit dem Start von Apple Pay massiv unter Druck. Ist auf dem Schweizer Markt Platz für zwei Lösungen?
Unter gewissen Voraussetzungen durchaus. Für Twint ist der Start von Apple Pay eine bittere Pille. Dennoch ist Konkurrenz auf einem freien Markt immer gut. Twint wird aber Gas geben müssen, um mitzuhalten. Derzeit sind die Banken hinter der Bezahllösung vor allem damit beschäftigt, Paymit und Twint zu einer Organisation zusammenzuführen.

Was muss die Schweizer Lösung tun, um noch eine Chance zu haben?
Twint hätte etwa dann eine Chance, wenn Transaktionen, die via Twint getätigt werden, direkt vom Konto des Nutzers abgezogen würden. Twint könnte dann wie eine Debit-Karte funktionieren, während Apple Pay die Zahlung via Kreditkarte ersetzt. Die Schweizer Banken hinter Twint haben einen grossen Heimvorteil: das Vertrauen der Kunden. Die meisten Nutzer von Mobile-Payment-Lösungen vertrauen ihrer Hausbank mehr als Apple Pay. Bei Apple Pay dürften viele das Gefühl haben, den Überblick über ihre Transaktionen zu verlieren, zu viel Geld auszugeben. Hier dürfte Twint eben als Debit-Option punkten. Viele kritisieren, Twint müsse wie Apple Pay international andwendbar sein, um erfolgreich zu sein. Aus der Forschung gibt es Indizien, dass dies nicht unbedingt entscheidend für den Erfolg der Bezahlapp in der Schweiz ist.

Was spricht dafür, dass Twint von Apple Pay ausgestochen wird?
Für Apple Pay spricht vor allem der Komfort. Händler müssen keine Geräte umprogrammieren, kontaktlose Terminals sind bereits in rund 70 Prozent der Schweizer Läden vorhanden. Ausserdem profitiert Apple von der iPhone-Penetration auf dem Schweizer Markt: Fast jeder zweite Schweizer Smartphonebesitzer besitzt ein iPhone. Dazu kommt, dass die Konkurrenz unter massivem Druck steht: Twint wird irgendwann Geld verdienen müssen. Die Gebühren auf Transaktionen sind dort zurzeit sehr niedrig. Deshalb wird entscheidend sein, ob Twint andere Verdienstquellen erschliessen kann – etwa mit der Datenverwertung für Marketingpartner. Apple Pay profitiert ausserdem von seiner Reichweite. Auch wenn das Geschäft in den USA nicht so erfolgreich anlief wie erhofft, profitiert Apple von Skaleneffekten – auch in der Schweiz. Das könnte für Twint, die anteilsmässig höhere Betriebskosten haben werden, ein Deal Breaker sein.

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*Sandro Graf forscht unter anderem in den Bereichen Bezahl- und Konsumentenverhalten und ist Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren