Verkehrte Welt: Während das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) in Deutschland zuletzt stark angezogen hat, stagniert es auf internationaler Ebene. Das weltweite M&A-Volumen beläuft sich im bisherigen Jahresverlauf auf 1,67 Billionen Dollar, wie der Datenanbieter Thomson Reuters errechnet hat, der am Freitag die jüngsten Zahlen zum Transaktionsgeschehen rund um den Globus veröffentlicht. Das sind gerade einmal 0,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Anzahl der Deals ist sogar um zehn Prozent gefallen - und markiert das geringste Niveau seit 2005, also weit vor der Finanzkrise.
Dabei sitzen die meisten Unternehmen heute eigentlich auf viel Geld und können gesunde Bilanzen präsentieren, wie Investmentbanker unisono versichern. Auf dem deutschen Markt, der eigentlich als vergleichsweise behäbig gilt, jagte deshalb zuletzt eine Milliardenübernahme die nächste. Das Volumen angekündigter Fusionen und Übernahmen mit deutscher Beteiligung kletterte um 16 Prozent auf 91,8 Milliarden Dollar, wie bereits in der vergangenen Woche bekanntwurde. Nur bei den kleineren Deals fehlt es bislang noch an Schwung, um den Markt in Breite anzuschieben.
Woran aber liegt es, dass es international so schleppend läuft? Thomson-Reuters-Experte Leon Saunders Calvert macht dafür eine ganze Reihe von Gründen aus, die eher makroökonomischer und politischer Natur sind: Die US-Wirtschaft gewinne zwar zögerlich an Vertrauen, doch in Europa dauere die Überwindung der Krise länger.«Der europäische M&A-Markt bremst die US-Gewinne.» Unternehmen und Investoren mieden internationale Transaktionen, weil ihnen die Risiken zu gross seien.«Zudem ist es unwahrscheinlich, dass Private Equity eine wachsende Investitionspipeline ausserhalb der USA schafft.»
«Neue Normalität»
Zu den wenigen Sektoren, die zuletzt mit spektakulären Übernahmen Schlagzeilen machte, zählt die Telekombranche: Mit Abstand grösster Deal war der 130 Milliarden Dollar schwere Verkauf des US-Mobilfunkgeschäfts von Vodafone an Verizon. Die M&A-Banker, die um ihre Boni zum Jahresende bangen, hoffen nun, dies könne eine Reihe weiterer Konzerne animieren. Christian Zorn, der bei Morgan Stanley das Investmentbanking für Deutschland und Österreich leitet, hebt vor allem eines als positives Signal hervor: Die Märkte seien, anders als in den Sommermonaten des Vorjahres, trotz der Unsicherheit über den weiteren geldpolitischen Kurs der US-Notenbank Fed offen geblieben.
In den aktuellen «League Tables», den jedes Quartal mit Spannung erwarteten Ranglisten jener Investmentbanken, die am besten im Geschäft sind, hat sich in den ersten neun Monaten Goldman Sachs auf dem Spitzenplatz behauptet. Die US-Bank kam auf ein Transaktionsvolumen von mehr als 500 Milliarden Dollar und 278 Deals. Auf den Plätzen zwei und drei folgen JP Morgan und Bank of America Merrill Lynch. Die Deutsche Bank, die im Investmentbanking eigentlich Marktanteile ausbauen will, rutschte im internationalen M&A-Ranking vom vierten auf den siebten Platz ab.
«Verhalten optimistisch»
Für das M&A-Geschäft in Deutschland sei das Institut «nicht euphorisch, aber verhalten optimistisch», sagt Berthold Fürst, der das M&A-Geschäft der Deutschen Bank hierzulande leitet. Inzwischen stünden viele Konzerne Fusionen und Übernahmen wieder etwas aufgeschlossener gegenüber. Das M&A-Volumen werde in absehbarer Zeit allerdings nicht«dramatisch steigen», der Boom von 2005 bis 2008 sei eine Sondersituation gewesen, die sich nicht wiederholen werde.«Inzwischen hat sich das Volumen auf einem deutlich niedrigeren Niveau stabilisiert, und das dürfte die neue Normalität repräsentieren.»
(reuters/tke/vst)