Mini-Saltimbocca mit caramelisierten Trauben, Zanderroulade mit Kaviar und rotem Mangold, Kaninchenfilet mit Blattspinat und weitere Gourmandisen stehen bereit, als die 300 Unaxis-Aktionäre nach überstandener Generalversammlung auf die Terrasse des KKL Luzern zum Apéritif eilen. Ratlos – was ist das, und wie isst man es? – steht der pensionierte Bauer aus dem Entlebuch vor den gestylten Platten. Die Lust auf eine handliche Bratwurst steht ihm, wie vielen anderen auch, ins Gesicht geschrieben. Aber: Die Firmenlenker haben den Aktionären wortreich von Neuanfang, Modernität und Aufbruch erzählt, haben wortreich für den neuen Firmennamen OC Oerlikon geworben. Wäre da eine Bratwurst nicht der falsche Abschluss?

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Diese und hundert weitere Fragen stellt sich Eugen Brunner, wenn er eine Generalversammlung wie die von Unaxis konzipiert. Brunner ist Geschäftsleitungsmitglied bei der Zürcher Veranstaltungsagentur Rufener Events und stellt mit drei Partnerunternehmen, dem Messebauer Andreas Messerli, den Technikern der Firma Habegger und den Brand-Spezialisten McKinivanMoos, Aktionärsanlässe auf die Beine, die mehr sein wollen als lieb- und ambitionslos abgespulte Pflichtübungen: «Events» eben. «Der Aktionär soll die Marke erleben», sagt Brunner, und zwar so direkt wie möglich. Als es bei Unaxis vor zwei Jahren kriselte, wurden den Aktionären einfache Canapés vorgesetzt. Und als ABB vor vier Jahren einen Verlust von 700 Millionen Dollar einfuhr, gab es nicht einmal Gipfeli zum Kaffee.

Dieses Jahr konnten Brunner und seine Partner aber aus dem Vollen schöpfen. Die sechs Schweizer Blue-Chip-Unternehmen, für die sie deren Generalversammlungen organisiert haben, stehen entweder grossartig da oder haben Grossartiges vor. Neben Unaxis sind es die Grossbanken UBS und Credit Suisse, die Swisscom, die Zurich Financial Services und der Rückversicherer Swiss Re.

Die Grossbank UBS lud unter dem gefühligen Slogan «You & Us» zur Generalversammlung ein. Gleich zu Beginn tanzten zehn weiss gewandete Artisten durch die Basler St. Jakobshalle, in den Händen Transparente, auf denen zu lesen war: «Denken wie Sie, handeln wie wir», «Im Kopf des Kunden spazieren gehen» oder «Ein Team, ein Ziel und eine Sprache». Dann und wann hoben die Artisten, an Seilen befestigt, in Richtung Saaldecke ab und klemmten die Sprüche an einer Drahtkonstruktion fest. Am Ende der Vorstellung – es war ein bisschen Cirque-du-Soleil-Feeling aufgekommen – schwebten vier Mobiles über den Köpfen der Aktionäre. Und unten im Saal präzisierte Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel später: «‹You & Us› drückt aus, wie wir denken, wie wir arbeiten und woran wir glauben.»

Die zirzensische Darbietung diente zur Überbrückung der Ladezeit, wie die Stunde zwischen Türöffnung und Versammlungsbeginn genannt wird. «Wir bemühen uns immer, den Aktionären etwas zu bieten», sagt Hans-Peter Fischer, Executive Director im Corporate Center der UBS. «Die Generalversammlung ist für uns auch ein Aushängeschild.»

Der diesjährige Event erforderte aufwändige Proben: Um herauszufinden, ob die Nummer mit den Riesenmobiles und den schwebenden Akrobaten funktionieren würde, mietete die deutsche Künstlertruppe Flying Circle ein Testgelände mit St.-Jakobshallen-Dimensionen. Die Proben dauerten mehrere Tage. Ein Aufwand, den die Aktionäre durchaus zu schätzen wussten: «Ganz gelungen», fand etwa ein älterer Herr aus dem Bernbiet. Als dann das Licht ausging und der formelle Teil der Veranstaltung begann, fügte er an: «So, jetzt will ich aber sehen, wie Herr Ospel seinen Lohn rechtfertigt.»

Viele dachten wie er. Das Gros der Shareholder interessierte sich nicht für die künstlerische Umsetzung von «You & Us», sondern für die Bezüge der Chefs. Auch von den Journalisten erwähnte keiner die Vorstellung der deutschen Künstler, genauso wenig wie die deliziösen Häppchen von Promikoch Jacky Donatz, die nach der GV bereitstanden. Egal, was alles geboten worden war – Thema war überall das achtstellige Salär von Marcel Ospel. Das Einzige, was daneben berichtenswert erschien, war die Installation «Hau den Lukas», welche die Gewerkschaft Unia vor dem Eingang aufgestellt hatte. Der Lukas hatte das Gesicht von Marcel Ospel.

Eugen Brunners Bilanz ist dennoch positiv: «Das war ein toller Event, ohne nennenswerte Zwischenfälle.» Für ihn und seine beiden Partner ist entscheidend, dass die Veranstaltung technisch und organisatorisch reibungslos abläuft. Dazu gehört, dass Validierungsgates, Abstimmgeräte, Beamer und Teleprompter funktionieren, dass die richtigen Slides im richtigen Moment auf die Leinwand projiziert werden. Dass es hell wird im Saal, wenn die Aktionäre ihre Stimme abgeben, und dunkel, wenn die Männer auf dem Podium das Wort ergreifen. Dass die Stimmen der Redner gut abgemischt sind, die Liveübertragung gestochen scharf ist, die Simultanübersetzung einwandfrei. Dass die Juristen, die backstage die Antworten auf Aktionärsfragen vorbereiten, mit dem Votantenpult und dem Podium sicher vernetzt sind.

Bei Generalversammlungen spielt Hightech eine immer zentralere Rolle. Ein Ausfall der technischen Anlagen käme einem K.o. für die ganze Veranstaltung gleich. Daher wird das gesamte Equipment in doppelter Ausführung installiert. Sogar ein Notstromaggregat steht bereit. Bis zu drei Lastwagenladungen an technischer Ausrüstung karren die Eventunternehmer an eine GV an. Ihr Service geht aber noch viel weiter: Sie bestellen Vasen und Blumen, instruieren die Sicherheitsmannschaft und engagieren Schminkkünstler. Sie kümmern sich auf Wunsch sogar um das Outfit der Hostessen – die weissen Blusen der Unaxis-Damen wurden auf Geheiss von Eugen Brunner bei H&M gekauft –, und sie sorgen dafür, dass hinter der Bühne für alle Helfer Sandwiches, Früchte und Getränke bereitstehen. Brunner wacht auch darüber, dass mehrere Stuhlreihen abgesperrt werden, damit die Konzernleitungsmitglieder, die in der vordersten Reihe sitzen, ihre Aktionäre nicht direkt im Nacken haben.

Die Organisation einer GV erfordert eine generalstabsmässige Planung: Im Fall der UBS schätzt Brunner seinen Aufwand – von der Idee bis zur Ausführung – auf 50 Arbeitstage. Gegen 500 Männer und Frauen waren am 19. April in der St. Jakobshalle mit Aufgaben betraut, darunter 50 Sicherheitsleute, 6 Juristen (backstage), 15 Techniker, 200 Catering-Angestellte und gegen 100 UBS-Mitarbeiter. Wie viel sich die Unternehmen die Generalversammlungen kosten lassen, ist Kundengeheimnis. Die Budgets grosser Konzerne dürften zwischen 500 000 und zwei Millionen Franken betragen. Gemäss einer Faustregel müssen Kosten von 500 bis 1000 Franken pro Aktionär einkalkuliert werden – eine stattliche Summe, verglichen mit den Dividenden, über die an diesen Anlässen abgestimmt wird: Unaxis 0 Franken, UBS 3.20 Franken, CS 2 Franken, Swisscom 16 Franken.

Beinahe absurd wirkt der Aufwand vor dem Hintergrund, dass nur wenige an einer GV teilnehmen: An der Swisscom-GV erschienen von 57 500 registrierten Aktionären lediglich 1945, an der UBS-GV von 183 706 Anteilseignern gerade mal 2311. Von diesen wenigen sind es wieder nur ganz wenige, die an einer GV auch die Entscheide fällen. Theoretisch könnten die Konzerne ihre GV bei einem Mittagessen in einem Restaurant abhalten. Da sie von Gesetzes wegen aber dazu verpflichtet sind, jeden Aktionär einzuladen, machen die Unternehmen aus der Pflicht eine Tugend – und aus der GV ein Instrument zur Markenpflege. Landauf, landab haben Marketingleute die Aktionärsanlässe als Spielwiese entdeckt.

«An der Generalversammlung können wir mit den Aktionären kommunizieren», sagt «Zürich»-Sprecher Daniel Hofmann. Dieses Jahr war auch die GV des Versicherers der internationalen Kampagne gewidmet. Vor Beginn der GV wird im Hallenstadion der Werbefilm gezeigt – auf einer 40 Meter breiten Leinwand. Das Motorrad, von dem in der Plakatwerbung nur die Gabel zu sehen ist, steht als Original vor einem Highway-Plakat, und der Mars-Lander, der in der Kampagne vorkommt, schwebt vor einem Grossbild einer Planetenlandschaft von der Decke herunter.

«Brand Experience» heisst das Zauberwort, mit dem Eugen Brunner seine Kunden anlockt und gewinnt. «Die Kommunikation und die Präsenz der Marke werden neben dem formalen Teil immer wichtiger», sagt er. Im Fall der UBS entwickeln Brunner und Partner ihre Ideen ausgehend vom Motto des Geschäftsberichts, diesmal «You & Us». Als das Thema «Garten» hiess, schafften sie in der St. Jakobshalle parkähnliche Zustände und liessen 40 Birken aufstellen.

Nicht alles steht aber in Brunners Macht: Bei der Aktionärsversammlung der Credit Suisse etwa erwies sich der Zeitplan schon kurz nach der Eröffnung als Makulatur: 13 Votanten taten ihren Unmut gegenüber den exzessiven Salären und dem ominösen Anreizsystem Performance Incentive Plan (PIP) kund. Zwei Stunden dauerte der Protest. Danach erst konnte Verwaltungsratspräsident Walter Kielholz den formellen Teil der Versammlung durchgehen und Punkt für Punkt abhaken. Konsequenzen hatten die langen Voten enervierter Kleinaktionäre einzig für den Caterer, der mit seinen Häppchen, die im Steamer garten, arg ins Rotieren kam.

«Essen ist für die Aktionäre an einer Generalversammlung etwas vom Wichtigsten», weiss Brunner. Das Catering wird im Vorfeld der GV so weit vorbereitet, dass es innerhalb von 30 Minuten fertig gestellt werden kann. Beginnen diese 30 Minuten zu laufen, gibt Brunner via Funk ein Signal in die Küche. Dort sassen die Köche im Fall CS wie auf Nadeln, weil das Signal einfach nicht kommen wollte.

Nur etwas schätzen die Aktionäre fast noch mehr als das Essen: das, was die Marketingstrategen «Giveaways» nennen und die Aktionäre «Bhaltis». Die meisten Unternehmen verzichten heute aus Budgetüberlegungen darauf. Die wenigen, welche die Tradition weiter pflegen, tun es mit Bedacht: So erhielt jeder Unaxis-Aktionär beim Eintritt einen Bon für eine Schachtel Lindt-&-Sprüngli-Pralinés. Der Gutschein soll verhindern, dass Aktionäre gleich mehrere Schachteln hamstern, wie das früher einmal der Fall gewesen ist, als das Angebot hinten und vorne nicht reichte. Normalerweise tauchen 60 Prozent der angemeldeten Aktionäre an der GV auch auf. «Auf dieser Basis bereiten wir alles vor», sagt Brunner, «auch die Geschenke.»

Den Trend, aus der GV einen Event zu machen und mehr zu bieten als das vom Gesetz vorgeschriebene Pflichtprogramm, hat die Swisscom in der Schweiz lanciert. Nach dem Börsengang 1998 wünschte die Konzernspitze eine Generalversammlung, die nicht 08/15 sein sollte, und beauftragte einige Agenturen damit, Ideen auszuarbeiten. Brunner, der den Auftrag schliesslich erhielt, schlug beispielsweise vor, quer zum Raum und nahe am Aktionär Einzelpültchen aufzustellen, statt vorne im Hallenstadion Pultburgen aufzubauen. Transparenz sollte das vermitteln und Nähe schaffen zu den Shareholdern, von denen die allermeisten auch Swisscom-Kunden sind. «Uns ist es wichtig, dass die GV nicht nur statutarisch korrekt abläuft», sagt Swisscom-Generalsekretär Alfred Bissegger.

Inzwischen sitzt der Swisscom-Verwaltungsrat auch vorne im Saal, frontal zum Publikum. Allein die Liveübertragung auf eine Leinwand im Kinoformat machte diese Aufstellung nötig. Die Nähe zu den Aktionären wird vor und nach der GV zelebriert. Mit der Losung «Marke erlebbar machen» wurde dieses Jahr im Foyer der Swiss Life Arena in Luzern eine Mini-Messe installiert: Jeder Geschäftsbereich der Swisscom hatte einen Stand aufgebaut. Bei Swisscom Mobile gab es die neusten Handymodelle und das jüngst eingeführte Live-TV zu testen. Bluewin lockte Dutzende ins Internet. Hier und da gab es etwas mitzunehmen: Popcorn, Kugelschreiber, einen Gutschein für Toto-Lotto via Handy und sogar einen kleinen Papiershredder.

Nach der GV lädt auch die Swisscom zu einem schicken Apéro ein. «Wir wollen es schon ein bisschen gepflegter haben als mit Bratwurst und Kartoffelsalat», sagt Bissegger. Als Reverenz an die bodenständigen unter den Aktionären lugt beim Apéro riche der Swisscom aber immerhin ab und zu eine Cipollata hervor.

Iris Kuhn Spogat
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