Mary Barra schaut etwas hilflos umher, als sie die glänzende, massive Trophäe im Berliner Axel-Springer-Haus überreicht bekommt. Das «Goldene Lenkrad» ist eine der wichtigsten Auszeichnungen in der Autobranche und ausserdem eine von einigem Gewicht. Die GM-Chefin reicht sie weiter, bevor sie einen Zettel zückt und sich bedankt – für das Ehrenlenkrad. «Ich bin so stolz auf das, was Opel erreicht hat», sagt sie. Jetzt wolle man gemeinsam nach vorn schauen.
Das war vor drei Monaten. Letzte Woche war Mary Barra wieder in Deutschland, in Rüsselsheim bei Opel. Diesmal meidet sie die Öffentlichkeit. «Keine Interviews, kein Kommentar», heisst es dort. Von Stolz ist nun nicht mehr die Rede – sondern von Verkauf. General Motors will seine deutsche Tochter an PSA Peugeot Citroën weiterreichen. Seit Wochen verhandeln GM und PSA darüber. Wahrscheinlich schon seit November, als Barra Opel in Berlin so lobte. In Deutschland war man weitgehend ahnungslos. Bis Dienstag.
Turbulente Zeiten
«Dass diese Gespräche laufen, wurde durchgestochen. Das war zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant», sagt ein Opel-Aufsichtsrat verärgert. Amerikaner und Franzosen wollten vollendete Tatsachen schaffen, bevor man die Mitarbeiter und die Politik in Deutschland einweiht. Auf Opel kommen nun turbulente Zeiten zu. Für GM könnte der Deal ein Gewinn sein, für PSA auch. Aber der wahrhaft grosse Profiteur – der bleibt im Hintergrund. In China, in der Stadt Wuhan, Provinz Hubei.
Dort sitzt der Autobauer Dongfeng. 14,1 Prozent halten die Chinesen an PSA, so viel haben als Einzelaktionäre nur noch der französische Staat und die Familie Peugeot. Dongfeng Motor baut Laster und kleinere Pkws. In der Volksrepublik ist der Konzern ein Riese, im Ausland ein Nichts. Aber Know-how, Einfluss in der Branche und Absatzmärkte lassen sich kaufen. Nicht bei den Japanern, die empfindlich auf chinesische Beteiligungen reagieren. Aber im Westen, vor allem in Europa.
Chinesische Expansion
Die Marke Rover haben sich die Chinesen gesichert, dann Saab geschluckt – beides Fehlinvestitionen –, schliesslich Volvo übernommen. Seit 2014 rollt die zweite Expansionswelle. Mit Dongfeng steigt erstmals ein chinesischer Autobauer direkt bei einem der wirklich grossen europäischen Wettbewerber ein. Und es geht dabei nicht darum, stiller Teilhaber zu sein, sein Geld gut anzulegen. So wie es die Scheichs bei Daimler oder Volkswagen tun. Denn die Stuttgarter und Wolfsburger verdienen Geld, PSA dagegen fährt 2014 mehr als eine halbe Milliarde Euro Verlust ein. Und das ist noch gut im Vergleich zu den Vorjahren.
Die Chinesen wollen in die Autobranche hineinwachsen. Sie wollen wissen, wie man moderne Automobilhersteller führt, sie wollen den Zugriff auf Technologien. Sie spinnen ein Netzwerk aus Gemeinschaftsunternehmen und Beteiligungen. Reihenweise werden Zulieferer wie Kuka, Kiekert, Hilite aufgekauft. Alles, was man kriegen kann.
«Chinesen durch die Hintertür»
Aus eigener Kraft hat es China nicht geschafft, eine schlagkräftige, exportfähige Automobilindustrie aufzubauen. Obwohl man alle ausländischen Anbieter, die in der Volksrepublik Fahrzeuge verkaufen wollten, in Gemeinschaftsunternehmen zwang. Nun versuchen die Chinesen, sich das Wissen direkt in Europa zu verschaffen. Dass PSA mit Opel zu einem Drei-Marken-Konzern wächst, ist ein Glücksfall für Dongfeng. Erstmals haben die Chinesen bei einem deutschen Automobilhersteller den Fuss in der Tür – wogegen sich die Branche hierzulande jahrelang gewehrt hat.
Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach spricht von einer «schleichenden Globalisierung einiger chinesischer Hersteller». Mit eigenen Autos aus der Volksrepublik wären die Chinesen in Europa gescheitert. «Jetzt kommen die Chinesen durch die Hintertür», sagt Bratzel. «Ich halte das für sehr viel Erfolg versprechender als die früheren Versuche.» Die chinesische Regierung habe das Ziel ausgegeben, dass einige heimische Hersteller auch in anderen Regionen der Welt erfolgreich werden sollen. «Die Chance ist gross, dass einige chinesische Autobauer zu weltweit aufgestellten Anbietern werden», sagt Bratzel. Und das geht vorerst nur mit Anschubhilfe westlicher Partner.
Chinesische Autos in Europa
Deren Managements geniessen alle Freiheiten, selbst wenn sie ganz in chinesischen Händen sind – vorerst. «Bislang reden die chinesischen Investoren noch nicht beim operativen Geschäft mit. Aber das könnte noch kommen», sagt Analyst Frank Schwope von der NordLB. Mittelfristig könnten chinesische Hersteller wie der PSA-Grossaktionär Dongfeng durchaus versuchen, über die Vertriebskanäle der Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, auch ihre in China produzierten Fahrzeuge im europäischen Markt unterzubringen. «Es kommt den Chinesen durchaus gelegen, dass sie nun über den Umweg von Beteiligungen eine Chance auf dem europäischen Markt bekommen», sagt der Analyst.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer zeichnet ein ähnliches Bild: «Ich halte es mittelfristig für wahrscheinlich, dass günstig in China produzierte Autos unter der Marke Opel in Europa auf den Markt gebracht werden.»
Neue Konzernwelt
Opel oder Kuka seien erst der Anfang, sagen Experten voraus. Sie glauben nicht, dass es bei den bisherigen Beteiligungen von chinesischen Firmen in Europa bleibt. «Neue Konzerne von Weltrang werden in den nächsten Jahren insbesondere in China, aber auch in Indien entstehen», meint Frank Schwope. «Zudem werden chinesische Konzerne etablierte schwächelnde Marken mithilfe staatlicher Gelder übernehmen, sobald sich die Gelegenheit bietet und sofern dem keine protektionistischen Massnahmen entgegenstehen.»
Was nicht zum Schaden der Übernahmekandidaten sein muss. Beispiel PSA und Opel: Beide Hersteller sind stark auf Europa fokussiert und im Rest der Welt nur schwach vertreten. Vor allem im grössten Automarkt der Welt: China. Opel ist dort gar nicht aktiv, und die Franzosen sind viel später als die Konkurrenz dazugestossen und bislang wenig erfolgreich. Grossaktionär Dongfeng könnte helfen, dass sich das ändert. Er kennt den Markt und die Spielregeln, er hat die nötigen Verbindungen und Werke, in denen Peugeot, Citroën oder Opel für China vom Band laufen könnten und jene Gewinne einfahren, die Volkswagen, BMW oder Mercedes so stark machen.
Chinesen als Rettung
Manch einer in der Branche sieht in den Chinesen inzwischen sogar die Rettung: Bei Grammer, einem bayerischen Zulieferer, der vor allem die Innenausstattung von Fahrzeugen baut, steigt gerade ein Investor aus Fernost ein – als weisser Ritter. Grammer drohte die feindliche Übernahme durch die bosnische Familie Hastor, die 2016 Schlagzeilen schrieb, weil sie mit einem Lieferstopp ihrer Prevent-Gruppe die VW-Produktion zeitweise lahmlegte.
Auf dem Höhepunkt des Machtkampfs bei Grammer steigt nun der chinesische Zulieferer Ningbo Jifeng ein, eigentlich ein Konkurrent. Aber indem Ningbo Jifeng gut neun Prozent übernimmt, verschieben sich die Mehrheitsverhältnisse. Lieber die Chinesen als die Bosnier, heisst es in Bayern. Denn die wollen nicht wie Hastor Grammer komplett umkrempeln, den Vorstandschef und fast den ganzen Aufsichtsrat austauschen. Die wollen, dass Grammer gut läuft – und sich einiges abschauen.
Dieser Text erschien zuerst bei unserem Schwesterblatt «Die Welt» unter dem Namen «Der wahre Sieger des Opel-Deals heisst Dongfeng».