Sie thronen ganz oben in der Hierarchie des Finanzplatzes Schweiz und sind gern gesehene Gäste auf dem roten Teppich: Josef Ackermann und Walter Kielholz. Und sie haben ein gemeinsames Kürzel auf der Visitenkarte: oec. HSG. Kielholz und Ackermann – zwei Schwergewichte der Schweizer Wirtschaft. Zwei Stars in der exklusiven Liga der obersten Konzernlenker. Durch ihre Karrieren haben sie den Namen der Hochschule St. Gallen (HSG) in die Welt hinausgetragen: Ackermann, seit 2012 Präsident der Zurich, schaffte es als Schweizer, zehn Jahre an der Spitze der Deutschen Bank zu stehen, und Walter Kielholz, Präsident von Swiss Re, war bis vor kurzem auch noch als Präsident der Credit Suisse gebucht. Indes: Die beiden illustren HSG-Alumni werden in nicht so ferner Zukunft von der Bildfläche verschwinden.

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Wer rückt nach, wenn diese Aushängeschilder abtreten? Fraglos werden Swiss Re und Zurich für die beiden Herren mühelos Ersatz finden. Aber die HSG? «Es ist weit und breit kein HSGler in Sicht, der als Aushängeschild die Nachfolge übernehmen könnte», sagt Bjørn Johansson, Zürcher Headhunter und selbst Absolvent der HSG.

Erfolgreiche HSG-Absolventen gibt es in der Schweiz zwar zuhauf, wie ein Blick auf die drei Seiten lange Liste zeigt, die die Pressestelle auf Anfrage unter dem Titel «Auswahl von HSG-Alumni in Führungsfunktionen in der Schweizer Wirtschaft» zusammengestellt hat: Christoph Loos, designierter CEO der Hilti Group, Georges Kern, Chef von IWC, Tamedia-Präsident Pietro Supino, Magdalena Martullo-Blocher, Herrin der Ems-Chemie, Pierin Vincenz, CEO Raiffeisen, Monika Ribar, (noch) CEO Panalpina, und Raymond Bär, Ehrenpräsident von Julius Bär, um nur einige zu nennen. Die Galerie ist eindrücklich. Aber: An der Spitze der grössten Schweizer Unternehmen des SMI ist die HSG in den drei Schlüsselfunktionen Präsident, CEO und CFO kaum mehr vertreten (siehe «Ausgedünnt» unter 'Downloads'). Ackermann und Kielholz sind die einzigen VRP mit HSG-Hintergrund, Roland Iff von Geberit der einzige CFO, und von den CEOs hat nur Nick Hayek, Lenker der Swatch Group, in St. Gallen studiert. Allerdings nur vier Semester, dann verabschiedete er sich – an die Pariser Filmakademie.

Nicht hungrig genug. Warum aber ist das prestigeträchtige HSG-Kürzel in den Teppichetagen der Schweizer Grosskonzerne nur noch so dürftig vertreten? Die Absolventen von heute seien nicht hungrig genug, sagt ein Karriereberater, der namentlich nicht zitiert werden will. Die HSG sei ins Mittelmass abgerutscht, meint ein ebenfalls anonymer Alumnus, der St. Gallen 1986 als Dr. oec. HSG verliess. Einig sind sich beide, dass die Hochschule St. Gallen nicht mehr ist, was sie zu Ackermanns Zeiten war. «Früher hatten die HSGler in der Schweiz mehr oder weniger das Monopol auf eine Karriere in der Finanz-, Beratungs- und Konsumgüterindustrie», sagt Bjørn Johansson, «zudem haben persönliche Seilschaften aus Militär und Politik für die Karriere eine wichtige Rolle gespielt.» Das ist passé: Schweizer Grosskonzerne rekrutieren ihre Topkader längst global, HSG-Alumni sind nur noch einige unter vielen: «Es gibt sehr gute Alternativen.» Hat die St. Galler Kaderschmiede an Glanz verloren? «Ja», sagt Johansson, «die HSG hat zwar Pionierarbeit geleistet und vieles richtig gemacht, aber sie hat ihren Elitestatus verloren.» «Nein», widerspricht Guido Schilling, ein anderer Zürcher Headhunter, «die HSG ist nicht schlechter geworden, sondern andere Business Schools haben aufgeholt.»

Für den Alumnus Johansson ist das Glas halb leer, für Schilling, Absolvent der Universität Zürich, halb voll. Recht haben wohl beide: «Vor der Globalisierung hatte die HSG im weitgehend geschützten Arbeitsmarkt des deutschsprachigen Europa keine Konkurrenz», sagt Rektor Thomas Bieger. «Heute ist der Markt für Führungskräfte global.» Geändert hat damit auch das Selbstverständnis der St. Galler Hochschule. War man jahrzehntelang stolz darauf, im deutschsprachigen Raum einmalig und die Kaderschmiede Nummer eins zu sein, strebte man fortan danach, europaweit führend zu werden. Dieses Ziel ist erreicht, im European Business School Ranking der «Financial Times» schaffte es die HSG vergangenes Jahr erstmals unter die Top Ten. «Dafür haben wir hart gearbeitet», sagt Bieger, «nun werden wir eindeutig unter den führenden Wirtschaftsuniversitäten Europas wie HEC Paris, London Business School und dem IMD Lausanne eingestuft.» Die Munterkeit in seiner Stimme kommt nicht von ungefähr: Ein siebter Platz in dieser berühmten Hitparade weckt Interesse, bringt Studenten. Im Klartext: Bieger kann leben ohne den Glamour und die Ausstrahlung von Topshots wie Ackermann und Kielholz.

Die Bologna-Falle. Den Weg in die europäische Topliga hat Biegers Vorvorgänger Peter Gomez, noch bis Mai Präsident der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange, eingeschlagen. Als Rektor der HSG erklärte er den vorherrschenden Betrieb für antiquiert und zog die Neukonzeption der Lehre nach dem Bologna-Modell mit grossem Tempo durch. Dank international angepassten Standards auf Bachelor-, Master-, Doktorats- und Ph.D.-Stufe wurden die St. Galler Studienangebote rasch international kompatibel und vergleichbar – zum Preis eines Verlusts an Exklusivität und der Identität von einst. «Die HSG ist formell gleichgeschaltet worden», sagt Arbonia-Forster-Präsident und HSG-Alumnus Edgar Oehler. «Ein St. Galler Abschluss sagt per se nicht mehr viel aus.» Mit dem Redesign à l’américaine ist aus der kleinen, elitären Hochschule St. Gallen (HSG) die Universität St. Gallen geworden, mit Bachelor- und Masterstufe – und mit fast doppelt so vielen Studenten wie vor der Reform. Aktuell sind an der HSG – das Kürzel ist geblieben – 7325 Studierende immatrikuliert.

Neue Schatten. Die neuen Dimensionen werfen neue Schatten: «Die Bologna-Reform hat das ganze Set-up verändert», sagt Urs Landolf, HSG-Alumnus und Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers. «Es ist aufwendiger geworden, den HSG-Spirit hochzuhalten, dieses Wir-Gefühl, für das die HSG bekannt ist.» Früher absolvierten die Studenten vier bis fünf Jahre Studium zusammen, heute bleiben sie nur noch sechs bis sieben Semester im Bachelor-Studium. Zudem, so Landolf, sei alles vielschichtiger geworden.

Das Attribut vielschichtig gilt insbesondere für die Studentenschaft. «Die Streuung zwischen den besten und schlechtesten Studierenden ist grösser geworden», sagt Rolf Dubs, HSG-Rektor von 1990 bis 1993, «auch, weil die HSG nicht mehr nur von denen als Alma Mater gewählt wird, die tatsächlich hier studieren wollen, sondern auch von solchen, denen es nicht reicht fürs Medizinstudium oder für die ETH.»

Markus Kühne, der Geschäftsleiter des Career Services Centers (CSC) der HSG, das Absolventen bei Karriereplanung und Berufseinstieg berät, fühlt fast täglich den Puls der künftigen Alumni-Generation. Seine Diagnose: Der typische HSGler von einst – karrierehungrig, erfolgsdurstig und zielstrebig – prägt nach wie vor das Bild an der HSG. Was geändert habe, sei die Idealvorstellung einer Karriere. «Ihnen wäre eine Karriere in einem Work-hard-play-hard-Umfeld lieber, als kontinuierlich Stufe um Stufe in einer Hierarchie hochzuklettern», sagt Kühne. Work hard, play hard: Auf intensive Arbeitseinsätze folgen intensive Auszeiten. «Noch sind die meisten Firmen nicht so weit», sagt Kühne, «interessant ist auch die Frage, wer sich durchsetzt: Passen sich die Absolventen den Unternehmen an und absolvieren den klassischen Karriereverlauf, oder machen die Unternehmen den Schritt?» Das Thema scheint vor allem CSC-intern von Wichtigkeit zu sein, nicht an der eigentlichen Jobfront: «Unsere Absolventen sind in Unternehmen sehr gefragt.» Bieger doppelt nach: «Beim Abschluss hat jeder Absolvent zwei Stellenangebote auf dem Tisch», sagt er und knipst den Scheinwerfer an: «Wir gehören zu den platzierungsstärksten Universitäten der Schweiz.»

Platzierungsstark, Platz sieben im «FT»-Ranking, Top-Wirtschaftsuni in der Schweiz und in Europa. What’s next? «Die Märkte für Professoren, aber auch für talentierte Studenten sind global», sagt Bieger, «entsprechend strebt nun auch die HSG nach globaler Ausstrahlung.» Seine Vision für die HSG-Zukunft: ein Spitzenplatz an der wirtschaftsuniversitären Weltspitze. Um das zu erreichen, verlinkt er die HSG mit international bedeutsamen Netzwerken – «meine Star-Alliance» – und fokussiert auf die Qualität von Lehre und Forschung, «die wollen wir weiter verbessern». Das Projekt ist angelaufen und befindet sich bereits in einer sehr entscheidenden Phase: «Derzeit evaluieren wir, mit welchen drei, vier Profilbereichen wir uns künftig weltweit auszeichnen können und wollen», sagt Bieger, «diese benötigen dann auch die entsprechenden Ressourcen.» Das heisst: Ist entschieden, mit welchen Fachgebieten die HSG künftig aus der weltweit riesigen Masse an Business Schools herausragen will, werden die Mittel gesprochen, die es braucht, um das dafür nötige Personal, also international angesehene Wissenschaftler, zu rekrutieren.

Zurück in die Zukunft. Der Wegweiser in die Zukunft zeigt in die Vergangenheit: Die HSG ist nämlich vor allem dank herausragenden Querdenkern wie Hans Ulrich zu Respekt und Achtung gekommen. Ulrich forderte vor etwa 40 Jahren, keine Betriebswirtschaftler mehr auszubilden, sondern Manager und Führungskräfte, die nicht länger in betriebswirtschaftlichen Häppchen denken, sondern in Systemen. Sein von Grund auf neues Denken über die Kunst des Steuerns nannte er «St. Galler Managementmodell». «Ulrich hat damals schon die Frage nach der Mission der Universität gestellt», sagt Fredmund Malik, der seinerzeit Forschungsmitarbeiter von Ulrich war, «und St. Gallen innerhalb von zwei Jahren berühmt gemacht.» Kombiniert mit der Öffnung gegenüber der Wirtschaft, wurde damit der Grundstein für die Karrieremaschine HSG gelegt.

In den neunziger Jahren verabschiedeten sich die St. Galler dann aber weitgehend vom systemischen Ansatz und schlossen sich dem Shareholder-Value-Denken der Angelsachsen an. Die Finanzkrise hat die Risiken und Nebenwirkungen dieses Fokus offengelegt und die Wirtschaftshochschulen inklusive der HSG wachgerüttelt.

Heute ist die St. Galler Uni vor allem wegen Alumni wie Ackermann und Kielholz bekannt, wegen Toppositionen in den europäischen Ranglisten. Morgen, so Biegers Vision, wird sie bekannt sein, weil sie die Betriebswirtschaft mit Vordenkern ein zweites Mal reformiert hat, «nicht mit einem Big Bang, sondern mit konsequenter Arbeit». Ein ehrgeiziges Vorhaben, bei dem Topmanager als Aushängeschilder künftig, wenn überhaupt, eine winzig kleine Rolle spielen werden. Oder wie es Bieger sagt: «Für den Anschluss an die Weltspitze brauchen wir Forschungserfolge.»

Iris Kuhn Spogat
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