Der Satz war kurz. Die wenigen Worte, die Jesper Brodin im September 2018 der «NZZ am Sonntag» diktierte, lauteten so: «Wir entwickeln ein Konzept, um Möbel zu vermieten.» Die Neuigkeit raste um die Welt und machte Schlagzeilen von Malmö bis Mumbai.

Seit den famosen Worten des Ikea-Big-Bosses wurde es ruhig um die Idee. Jetzt zeigt sich: Im Stillen haben die Schweden auf weltweiter Ebene an ihrem Projekt gearbeitet. Und: Zuerst läuft das Thema Miet-Commerce in der Schweiz an, wie Ikea-Sprecher Aurel Hosennen Recherchen der «Handelszeitung» bestätigt: «Zuallererst wird die Möbelmiete in der Schweiz lanciert, das ist eine Ikea-Weltpremiere, die diese Woche beginnt.»

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Allerdings spielt der gelb-blaue Riese das Thema Möbelmiete zu Beginn anders als erwartet. Anders und kleiner. Ging die Weltöffentlichkeit davon aus, dass nun Klassiker wie Billy-Regal, Klippan-Sofa oder Pax-Schranksystem an jedermann und jedefrau vermietet würden, konzentriert sich Ikea vielmehr auf ausgesuchte Sortimente und Kundenkreise. Die Möbelmiete werde in verschiedenen Märkten auf unterschiedliche Art getestet, sagt Hosennen; in den Niederlanden etwa mit Studierenden, weitere Testgruppen seien in Schweden und Polen geplant. 

Erstes Zielpublikum in der Schweiz sind Firmenkunden. Dabei werden nicht Einzelmöbel vermietet, sondern ganze Pakete (siehe «So funktioniert Ikeas Schweizer Mietplan»). Ikeas Einstieg in ein Abomodell (Subscription Economy) sei nicht als zeitlich limitierter Pilotversuch zu verstehen, sondern als definitiver Schritt in ein neues Feld, sagt Hosennen: «Wir sind im stetigen Beta-Prozess. So wie eine Software ständig Updates erhält, wollen wir das Möbelabo ständig verbessern.»

«Dies ist der ­absolute ­Anfangspunkt für uns.» Aurel Hosennen Ikea Schweiz

Wer länger mietet, bezahlt weniger

Den Nutzen für das eigene Unternehmen sieht man bei den Schweden im Herantasten an ein neues Modell: «Per Möbelabo können wir den Ansatz der Zirkularwirtschaft ausprobieren. Wenn die Kunden das Abo beenden, nehmen wir das vermietete Mobiliar zurück und führen es über das Programm ‹Second Life› dem Wiederverkauf zu.» Der -Nutzen für die Kunden: Ihr Kapital ist nicht gebunden, sie bleiben bezüglich Möblierung flexibel und können dabei auch auf Personalfluktuation reagieren. Letzteres dürfte vor allem von Startups geschätzt werden, die ihre Personalplanung oft nicht genau einschätzen können. Grundlegendes Prinzip des Programms: Je länger die Miete dauert, desto günstiger wird sie. 

Für ihr Schweizer Premiereprogramm stapelt Ikea-Schweiz-Länderchefin Simona Scarpaleggia fürs Erste einmal tief: Aktuell werden zwanzig KMU und Startups in der deutschen Schweiz für die Büromöbelmiete gesucht. 

Simona Scarpaleggia, CEO Country Manager IKEA Schweiz, spricht waehrend einer Pressekonferenz zum Thema "Simona Scarpaleggia: die Geheimnisse einer Frau an der Spitze von IKEA", am Dienstag, 26. Mai 2015, in Lugano. (KEYSTONE/Ti-Press/Pablo Gianinazzi)

Simona Scarpaleggia, Ikea-Chefin Schweiz

Quelle: Keystone

Zwar bieten in der Schweiz heute schon einige kleinere Player Büro-möbelmiete an. Mit dem Einstieg von Ikea könnte das grundlegende Modell des Miet-Commerce aber stark an Fahrt aufnehmen, glaubt Thomas -Rudolph vom St. Galler Forschungszentrum für Handelsmanagement: «Mainstream wird dieser Dienst wohl nicht so schnell. Aber wenn eine Top-of-Mind-Marke wie Ikea ins Thema Möbelabo einsteigt, kann dies den ganzen Sektor beleben.» Für das Ikea-Angebot spreche zudem, dass es als Rundum-sorglos-Paket daherkomme: «Wenn Leistungen wie Lieferung und Montage inbegriffen sind, spielt natürlich der Aspekt Bequemlichkeit. Ein gewisser Teil der Ikea-Kundschaft legt darauf bestimmt Wert.» Bei einem Teil der Konsumenten könne auch die Idee punkten, dass man Möbel quasi als modisches Produkt mieten und sich einige Saisons damit umgeben könne.

Thomas Rudolph zeichnet zusammen mit Severin Bischof als Autor der kürzlich erschienen Studie «Subskriptionen und Abomodelle für den Schweizer Handel». Wo Bischof eine Herausforderung sieht für den schwedischen Riesen: «Das Problem bei phy-sischen Produkten wie Möbeln: Sie können nicht gleichzeitig von mehreren Konsumenten genutzt werden, weshalb nicht im selben Ausmass Skaleneffekte zur Wirkung kommen wie bei digitalen Gütern. Auch wenn die Möbel anschliessend von weiteren Kunden genutzt werden können.»

So funktioniert Ikeas Schweizer Mietplan

Paket: Vermietet werden nicht Einzelmöbel, sondern Business-pakete in zwei Themen-feldern. Thema eins: Arbeitsplätze mit Bürostuhl, Bürotisch, -Korpus, Schrank sowie smartem -Beleuchtungssystem
per App oder Fernsteuerung. Thema zwei: Sitzungszimmer.

Abstufung: Bezüglich Arbeitsplatz stellt Ikea Schweiz sechs verschiedene Pakete zur Auswahl, die bezüglich Stil und Standard voneinander abweichen. 18 verschieden grosse Pakete sind es für Sitzungszimmer. 

Rechnung: Für das günstigste Arbeitsplatzpaket (Warenwert 950 Franken) beträgt die Miete im ersten Jahr 70 Franken pro Monat. Mindestlaufzeit: zwölf Monate. Im zweiten Jahr reduziert sich die Monatsmiete auf die Hälfte (35 Franken), die Kündigungsfrist beträgt noch zwei Monate. Lieferung und Montage sowie Rückbau und Rücklieferung sind inbegriffen.

Wo bleibt der BTI-Effekt?

Konkreter: Es ist ein grundlegender Unterschied, ob sich ein Abo mit virtuellen Netflix-Filmen und Spotify-Musik beliebt machen will oder
mit realen Gütern wie Möbeln. Die Kosten können im Falle physischer Güter weniger effizient auf eine Masse von Usern verteilt und gedrückt werden. Kommt hinzu: Preislich offeriert Ikea – mindestens in der Anfangsphase – nicht den BTI-Effekt, für welchen die Firma so berühmt ist. BTI bedeutet «breath taking item» und bezeichnet einen Artikel, der preislich so tief angesiedelt ist, dass der Kundschaft (und der Konkurrenz) die Luft wegbleibt. Ikea Schweiz argumentiert ähnlich wie die St. Galler Aboversteher: «Der BTI-Faktor lebt stark von der Skalierung. In einer ersten Phase müssen wir das System implementieren – dies ist der absolute Anfangspunkt der -Möbelmiete für uns.» 

Ikea-typischer Name fehlt

Erfolge, glaubt Bischof, könnten sich trotz gefühlt hohem Preispunkt einstellen. Greifen könnte ein Mechanismus, der als «easy in, hard out» -bekannt ist. Was der St. Galler Handelsforscher damit meint: Wenn der Kunde einmal ein Mietverhältnis eingegangen ist, kann es ihm zu mühsam sein, dieses wieder aufzulösen. Oder zu kostspielig, weil eine Neuanschaffung im Vergleich zum Abopreis teuer erscheint.

Obwohl man sich bei Ikea Schweiz noch ganz am Anfang der Mietangebotsentwicklung sieht, plant man bereits die weiteren Schritte: «Fernziel ist es, ein solches Abo der breiten Bevölkerung anbieten zu können», sagt Sprecher Hosennen. «Momentan klären wir auch ab, ob und wie wir mit einem -Finanzpartner so zusammenarbeiten könnten, dass die Möbelmiete einem Autoleasing gleichkäme.»

Um nachhaltig zu reüssieren, müsste Ikea wohl noch etwas an der Preisschraube drehen. Und ein weiteres Manko aufheben: das Naming. «Einen originellen, Ikea-typischen Namen müssen wir noch finden», heisst es bei Ikea Schweiz. Aktuell läuft das Projekt unter den Namen «Büromöbelmiete» oder «Furniture as a Service» (FaaS). 

Atemberaubend klingt anders.