Empört knallt der Wanderer aus der Deutschschweiz die Tür der Alpkäserei hinter sich zu. Das Stück Käse, das er sich eben hat einpacken lassen, liegt noch auf der Theke. 14 Franken hätten ihn die rund 300 Gramm gekostet. Ein stolzer Preis für ein Stück Alpkäse.

Ein Preis allerdings, den Tessiner für Alpkäse von der Piora – so heisst die grösste bewirtschaftete Tessiner Alp oberhalb von Airolo – bezahlen, ohne mit der Wimper zu zucken. In Bellinzona auf dem Markt geht der begehrte Käse auch zu Preisen von fünfzig Franken das Kilogramm weg. «Würden wir den Käse billiger verkaufen, hielten ihn die Tessiner für eine Fälschung», sagt Adriano Dolfini, Sekretär der Piora-Alpgenossenschaft.

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Absatzschwierigkeiten kennen die Piora-Käser nicht, die rund zwanzig Tonnen Jahresproduktion sind verkauft, bevor der Käse überhaupt im Keller reift. Neunzig Prozent davon werden im Tessin konsumiert, nur ein kleiner Rest gelangt in die Deutschschweiz, auch wenn die Nachfrage viel grösser wäre. Selbst den Käse, den sie auf der Alp verkaufen, mussten die Piora-Käser im Frühjahr von einem Genossenschafter beziehen, denn was hier bis im Herbst in den Kellern reift, wird nach der Alpsaison an die Mitglieder verteilt. Selbst angesehene Tessiner Gastronomen haben sich zu diesem Zweck eine Kuh angeschafft, die sie auf der Piora grasen lassen, damit sie ein Anrecht auf den einen oder anderen Piora-Laib haben. Denn auf dem freien Markt ist der Käse etwa so selten zu finden wie die weissen Murmeltiere, die sich auf der Tessiner Alp nur mit sehr viel Glück beobachten lassen.

Sorgen um das Ende der schweizerischen Käseplanwirtschaft mussten sich die Piora-Käser nie machen. Da sie bis heute an der klassischen Käseteilet festhalten, tangierte sie das Ende der Käseunion 1998 mit ihren festen Abnahmegarantien für Emmentaler, Gruyère, Sbrinz & Co. wenig, und die Mengen reichen sowieso nicht aus, um davon in grossem Stil zu exportieren.
Im Gegensatz zu den grossen und bekannten Schweizer Käsen mussten sich die Piora-Käser auch nie Sorgen um Nachahmungen machen. Wer Piora kauft, kann auch damit rechnen, dass er Schweizer Käse bekommt.

Auch wenn eine Weltkäsestatistik bis heute fehlt, zeigen Schätzungen, dass vom global produzierten Käse mit einem Schweizer Namen oder mit Schweizer Ursprung gerade mal ein Prozent in der Schweiz produziert wird. Allein in den USA wird an Käse mit der Bezeichnung «Swiss» – meist ein mit dem Emmentaler verwandter Käse – ein Mehrfaches dessen produziert, was der gesamte Schweizer Käsemarkt jährlich liefern kann.

Während der Emmental français oder der Allgäuer Emmentaler die bekanntesten Kopien von Schweizer Produkten sind, haben auch andere Schweizer Käse ihre Nachahmer weltweit gefunden. Der Gruyère etwa wird in Finnland unter der Bezeichnung «Perniön Gruyère» verkauft, türkische Geschäfte importieren auch hierzulande «Gravyer Peyniri» aus ihrer Heimat, und selbst die Milch griechischer Kühe wird zu «Graviera» verarbeitet. Noch weniger bekannt ist indes, dass selbst der mit 40 000 Tonnen meistproduzierte französische Käse (was einem Viertel der gesamten Schweizer Käseproduktion entspricht), der Comté, nichts anderes als eine Gruyère-Kopie ist – auch wenn die französischen Käsemarketingstrategen alles daransetzen, die selbst in Frankreich weit verbreitete Bezeichnung «Gruyère de Comté» zu begraben. Derweil wird auf den savoyischen Käsemärkten der regionale Beaufort mit Stolz als «Gruyère de Beaufort» vermarktet.

Die Geschichten über die chinesische Raubkopiererei im CD- und DVD-Bereich wirken gegenüber der über Jahrhunderte gewachsenen Tradition, Schweizer Käse weltweit zu kopieren, wie eine Bagatelle. Sich darüber zu beklagen, bringt indes wenig. Einziges Gegenmittel ist der Ursprungsschutz als Schweizer Emmentaler oder Gruyère Swiss, ein Weg, den die Schweizer Käser seit Jahren mit Erfolg beschreiten.

Allerdings sind es nicht die grossen Käsemarken, die für den Aufbruch im Markt gesorgt haben. Daran ändert auch wenig, dass Gruyère, Appenzeller und Tilsiter auch 2006 steigende Exportzahlen verzeichnen konnten. Zugenommen haben vor allem die Ausfuhren von Frischkäse und den übrigen Halbhartkäsen, viele Produkte, die erst mit dem Ende der Käseunion entstanden sind. «Die Entlassung der Käser in die Marktwirtschaft hat viel Innovationspotenzial freigesetzt, die Auswahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv vergrössert», sagt Anton Schmutz, Direktor der Käseorganisation Fromarte. «Die Produktionskenntnisse sind schon lange vorhanden, lokale Spezialitäten haben die Käser immer hergestellt. Nur fehlte es ihnen lange am Vermarktungswissen.»

Wer den Markt frühzeitig entdeckt hat, der wurde belohnt. Allen voran gingen die Alpkäser des waadtländischen Pays-d’Enhaut mit ihrem Etivaz. Lange vor den Emmentaler- und Gruyère-Käsern verabschiedeten sich die Etivaz-Produzenten schon 1945 aus der Käseunion, seit 1989 hat sich die Genossenschaft zu einer total unabhängigen Verwaltung und Kommerzialisierung verpflichtet. Und dies mit grossem Erfolg: Absatzschwierigkeiten kennen die Käser keine, zu gross ist die Nachfrage allein aus Frankreich. Ein Drittel der Gesamtproduktion wird ins Nachbarland exportiert. Kein angesehener Pariser Affineur, der nicht mindestens einen einjährigen Etivaz im Angebot hätte. Im Sommer gilt das kleine Dorf Etivaz auf dem Weg zum Col des Mosses denn auch als beliebte Destination französischer Gruppen, die in Cars anreisen, um sich ein Stück des begehrten Alpkäses zu ergattern.

Die Selbstvermarktung hat sich ausbezahlt, die Etivaz-Käser geniessen in dieser Region ein grosses Ansehen, waren es doch historisch gesehen vor allem sie, die für den Wohlstand der Region verantwortlich sind. Während in anderen Käseregionen die Sorge um den Nachwuchsmangel umgeht, verarbeiten hier noch immer 73 Familien die Milch ihrer Alpkühe über dem Holzfeuer zu 25 bis 35 Kilo schweren Laiben.

Das Durchschnittsalter der Käser liegt bei 40 Jahren. Und auch Henri-Daniel Raynaud, Präsident der Etivaz-Genossenschaft, muss sich keine Sorgen über die Zukunft seiner Alp am Fusse des Vanils-Massivs machen. Sohn Aimé hat sich längst dazu entschieden, in die Fussstapfen des Vaters zu treten und die Tradition in der fünften Generation weiterzuführen. Die Zukunftsaussichten sind gut, seit Jahren wächst die Produktion von Etivaz-Käse um durchschnittlich fünf Prozent, und das Angebot liegt noch weit unter der steigenden Nachfrage.

Verantwortlich für die Käseinnovationen sind vor allem Käser, die sich auf Nischen spezialisiert haben. Sie setzen entweder neue Ideen um oder graben altes Wissen über Käsesorten aus, das längst als verloren galt. Vor 17 Jahren etwa hat Vreni Cadurisch zusammen mit ihrem Mann damit begonnen, im idyllischen Isola am Silsersee in Graubünden wieder Mascarpin herzustellen, einen traditionellen, aber in den Schweizer Südtälern kaum mehr produzierten Ziegenfrischkäse. Die Nachfrage nach dem Käse ist vor allem im Sommer enorm, wenn die Italiener das Bergell und das Engadin erobern. «Meist ist der Käse schon mittags ausverkauft, viele Italiener lieben ihn, wenn er noch leicht warm aus der Form kommt.» Rund zwanzig Kilogramm Käse stellen die Cadurischs mit Hilfe eines Hirten und einer Praktikantin täglich her. Abnehmer sind das Luxushotel Waldhaus in Sils Maria, der lokale Detailhandel und vor allem die Passanten und Touristen.

Vreni Cadurisch hat das Käsen von einer alten Bäuerin in Isola gelernt. In der Anfangszeit musste sie zwar gelegentlich Lehrgeld bezahlen, doch haben es die Cadurischs auch ohne Erfahrung im Käsen geschafft, aus dieser Tätigkeit ihre Haupteinnahmequelle zu machen. Zwar arbeitet das Ehepaar teilzeitlich noch in ihrem angestammten Beruf, doch hat Vreni Cadurisch bereits ihre Fühler ins Unterland ausgestreckt. «Es wäre schön, wenn wir dereinst vom Käsen leben könnten, das ist aber noch ein weiter Weg», erzählt die Jungkäserin.

Damit kleine Produzenten und ihre Innovationen auch Beachtung finden, hat die Käseorganisation Fromarte vor sechs Jahren einen Wettbewerb lanciert, den «Swiss Cheese Award». Eine Liste der Preisträger gibt einen Überblick über die Schaffenskraft im Schweizer Käsemarkt. Ob Bleuchâtel oder Gourmet-Kugeli Amselspitz, ob Brie von Sternenberg oder Tomme de chèvre de Couvers, vom handgeschöpften Weichkäse bis zum in Chardonnay eingelegten Weissschimmelkäse hat eine Unzahl neuer Käsesorten den Markt erobert. Auch zeigt sich, dass die Schweizer sich offensichtlich nicht scheuen, erfolgreichen ausländischen Käseprodukten nachzueifern. Allein im industriellen Bereich der Käseproduktion zeigt sich diese Kopierfreudigkeit: Fast neun Prozent der landesweiten Käseproduktion werden mit Mozzarella bestritten. Damit liegt der italienische Brühkäse auf Rang drei hinter dem Emmentaler mit 19,6 Prozent und dem Gruyère mit 16,4 Prozent.

Was Vermarktung bedeutet, scheint man im Käsemarkt aber noch längst nicht überall gemerkt zu haben. So werden selbst gestandene Branchenvertreter nicht müde, laut von den asiatischen Wachstumsmärkten zu schwärmen. Dass die grosse Mehrheit der Asiaten indes wegen einer Laktoseintoleranz nicht in der Lage sind, Milchzucker abzubauen, scheint hier völlig vergessen zu gehen. Das zeigt sich auch in der Exportstatistik. Achtzig Prozent des exportierten Schweizer Käses gehen nach Europa, traditionell ist Italien mit seiner historisch gewachsenen Vorliebe für Schweizer Hartkäse vor Deutschland der grösste Exportmarkt. Nimmt man die USA und Kanada noch hinzu, so sind es gar mehr als 92 Prozent aller Exporte, die in der westlichen Welt landen, für den Rest bleiben gerade mal noch 7,5 Prozent. Die Mengen, die nach Asien geliefert werden, liegen nicht einmal im Promillebereich. Es ist anzunehmen, dass vor allem die Schweizer Botschaften für ihre 1.-August-Feiern beliefert werden …

So wird Europa auch nach der vollständigen Liberalisierung des Käsemarktes Mitte dieses Jahres der Hauptabsatzmarkt der Schweizer Käser bleiben.

Entscheidender für die Innovatoren unter den Schweizer Käsern ist jedoch, wie sich die heimischen Konsumenten mit dem neuen Angebot anfreunden können, denn qualitativ hoch stehende Rohmilchkäse und in kleinen Betrieben produzierte Spezialitäten werden auch künftig eher lokal und regional vertriebene Produkte bleiben. Den erfolgreichen Absatz zahlreicher neuer Käseinnovationen treiben vor allem die privaten Affineure wie der Aargauer Rolf Beeler oder der Thuner Christoph Bruni voran. Zwar sind es vor allem in der Deutschschweiz erst einige wenige, die sich dem Käse mit Haut und Haaren verschrieben haben, doch setzen sie mit ihrer Auswahl Massstäbe.

Sowohl Beeler als auch Bruni beweisen mit ihren Angeboten auf den Wochenmärkten, dass man für eine Auswahl an perfekt gereiften Käsen nicht immer ein Vermögen liegen lassen muss. Allerdings müssen sich auch die an industrielle und vakuumierte Massenware gewöhnten Supermarktkonsumenten nicht darüber wundern, wenn etwa beim begehrten Piora die Marktgesetze spielen und die Preise wegen mangelnden Angebots und steigender Nachfrage Rekordwerte erzielen.