Derzeit diskutiert Amazon mit der US-Grossbank J.P. Morgan über eine Zusammenarbeit beim Banking: Amazon-Kunden sollen Konten angeboten werden, mit denen sie nicht nur auf der Plattform, sondern darüber hinaus auch im Alltag Zahlungen vornehmen, Geld sparen und Kredite bewirtschaften können. Die Gespräche seien noch in einem frühen Stadium, beeilten sich die Parteien mitzuteilen.
Auch wenn nicht J.P. Morgan, sondern eine andere Bank der Partner von Amazon würde – die Wirkung wäre mittelfristig immens: Gemäss der Beratungsfirma Bain könnte Amazon innert fünf Jahren einen Stamm von 70 Millionen Kunden aufbauen. Damit wäre man auf der Höhe der Nummer drei in den USA, das ist derzeit Wells Fargo.
Längst eine Quasi-Bank
Rechnen würde sich ein solcher Schritt, auch wenn dieser in Form einer Kooperation erfolgen würde, so Bain. Denn Amazon könnte zumindest einen Teil der jährlich anfallenden Kreditkarten-Interchange-Gebühren in die eigenen Kanäle lenken. Angesichts des dreistelligen Milliardenumsatzes klingt das zuerst mal nach wenig. Aber im Retail-Geschäft sind die Reingewinnmargen tief einstellig, und das Feilen an vielen kleinen Verbesserungen ist alltäglich; damit würde dieser Schritt eine Verbesserung um einige attraktive Zehntelprozent-Gewinnmargenwerte bedeuten.
Analysten wiesen nach den bekannt gewordenen Gesprächen darauf hin, dass Amazon de facto längst auch ein Finanzdienstleister sei. Für KMUs, welche über die Plattform Produkte und Services verkaufen, gibt man Kredite. Das Amazon-Kundenkonto hat eine Art Cash-Kontenfunktion, allerdings lediglich innerhalb des Amazon-Imperiums. Und mit ersten Versicherungsprodukten breitet man sich auch schon in die Richtung aus, welche die grosse chinesische Plattform Alibaba vorgegeben hat: E-Commerce-Plattformen können auch Allfinanz-Geschäfte abwickeln.
Pluspunkte von Amazon wären nicht nur die Bedienungsmöglichkeiten via Alexa-Sprachassistent. Erste angepeilte Zielgruppe sind junge Menschen sowie generell Leute ohne bisherige Bankbeziehungen, die sogenannten «Underbanked». Diese sind laut Analysten eigentlich gar kein lukratives Kundensegment. Aber wenn junge Menschen ihre Ausbildungen und Weiterbildungen abgeschlossen haben, wachsen sie für Amazon zu attraktiven Kunden heran.
Darüber hinaus hat Amazon mit dem eigenen «Prime»-Kundenbindungsprogramm (Partner ist JP Morgan Chase), der Datenanalyse und bestehenden Kreditkartenprogrammen (Partner ist Visa) bereits vieles vorbereitet und angelegt, das jetzt so viel Wirbel verursacht. Ziel ist jeweils immer die Förderung des Kerngeschäfts E-Commerce durch begleitende Massnahmen. Amazon zielt auf sie und profitiert massiv von ihnen, von den notorischen Schwächen der Banken in einigen Bereichen. Allerdings macht das Amazon, ohne die Schwächen des Bankings selber in Kauf nehmen zu wollen. Dazu zählen nicht nur die Regulierung und die Eigenmittelvorschriften. Beides sind laut Analysten entscheidende «Show Stopper» für Amazon auf dem Weg zu einer «richtigen» Bank. Nicht ganz zufällig spricht man denn auch immer von einem «Konto-ähnlichen Produkt» und nicht von einem vollwertigen Bankkonto. Amazon, so zeichnet sich ab, zielt vielmehr auf eine speziell ausgestaltete Kooperation, welche die grundlegenden Schwächen der Banken aufzeigt:
• Kundenbindung: Das Prime-Programm, bei dem die Kunden knapp 100 Dollar pro Jahr für Gratisleistungen (Lieferungen) und Vergünstigungen bezahlen, bildet das Rückgrat. Prime-Kunden kaufen öfters und mehr als alle anderen Amazon-Kunden.
• Beseitigung von Friktionen: Separate Eingaben von Kreditkarten-Details schrecken Kunden ab. Aus Untersuchungen weiss man, dass die Eingabe der drei- bis vierstelligen Sicherheitszahlen die Abbruchquoten von Kaufvorgängen massiv erhöht. Wenn Karten- und Kontendetails hinterlegt werden, entfällt dieser Schritt, und es kommt zu viel weniger Abbrüchen des Verkaufsprozesses.
• Vertrauen: Gemäss dem LendEDU-Survey, der in den USA die E-Commerce-Landschaft aus Kundensicht vermisst, können sich 44,5 Prozent der im 2017 Befragten vorstellen, ein Konto bei Amazon zu eröffnen. 39 Prozent zeigten sich unsicher, und lediglich 16,4 Prozent sagten «nie im Leben». Unter den Prime-Kunden gaben sogar 55,3 Prozent an, dass sie sich vorstellen könnten, bei Amazon ein Konto zu haben.
Das ist auch Ausdruck des Vertrauensvorschusses, den gerade die Technologiefirmen bei jungen Menschen aufgebaut haben. Das Vertrauen ist hier teilweise grösser als gegenüber den Banken, von denen die Medien in regelmässigen Abständen von Skandalen berichten. Bezüglich Facebook mehrt sich nach dem Datenskandal im März die Skepsis, aber über Amazon sagen 87 Prozent der Befragten, dass die E-Commerce-Plattform immer oder überwiegend die Interessen der Kunden vertritt und in den Vordergrund stellt.
Konto im Abo-Modell
Amazon schaffte es bisher, Produkte und Services geschickt zu bündeln und sie den Konsumenten gewinnbringend zu verkaufen. Gemäss einer Umfrage der US-Beratungsfirma Cornerstone Advisors wünschen sich mögliche Kunden am ehesten ein Gratis-Konto sowie ein damit verbundenes Serviceangebot wie Versicherungen gegen den Diebstahl der digitalen Identität und/oder des Smartphones. Dafür wären viele Kunden bereit, zwischen fünf und zehn Dollar pro Monat extra springen zu lassen, dies über die Abo-Gebühren, an die Amazon ihre Kunden schon gewöhnt hat.
Amazon zeigt laut Analysten aber vor allem auf, wie attraktiv ein einfaches Konto im Datenzeitalter ist. Genau das war eine der grössten Schwächen der Banken bisher: Einfache Konten sind aus der Sicht traditioneller Banken vor allem ein Kostenfaktor, ein Topf, aus dem Kunden ihre Rechnungen begleichen. Die Gebühren liegen aus Wettbewerbsgründen bei null. Das ist auch Ausdruck der fehlenden Wertschätzung von allen Seiten.
Aus der Sicht von Amazon (und Google, Apple, Facebook, usw.) ist dahinter ein Datenschatz verborgen. Denn man sieht, wofür Menschen Geld ausgeben und wie sie aktiv handeln. Hinzu kommen weitere Möglichkeiten, die Amazon mit dem Prime-Programm bereits aktiviert hat: Ein Gratis-Konto dürfte es nicht geben, es ist hingegen ein Servicepaket inklusive (mindestens) kostendeckender Kontoführung zu erwarten.
Gefragt sind überlegene Prozesse
Banken sind indes laut Analysten keinesfalls hilflos. Als unzweckmässig hat sich inzwischen die Übertragung des Amazon-Warenhausansatzes auf das Banking erwiesen: Abgesehen von den Vermögensverwaltern, Kundenberatern und den Selbstentscheidern, die zusammen 7 bis 10 Prozent der Kunden ausmachen, würde kaum jemand regelmässig eine Amazon-ähnliche Plattform, die noch vor zwei Jahren als «Walled Garten» und als «Marktplatzbank» bezeichnet worden war, aufsuchen.
Banking hat, wie Piyush Gupta, CEO von DBS, der grössten Bank Singapurs, Mitte März an der Money-2020-Konferenz in Singapur sagte, lediglich dann eine Chance, wenn es durch für die Kunden spürbar überlegene Prozesse im Hintergrund glänzt. Für Gupta ist das grösste Problem der Banken nicht, eine attraktive Position in der Wertschöpfungskette zu finden, sondern attraktive Kunden zu vertretbaren Kosten zu finden und zu halten. Längerfristig dürfte es lediglich acht bis zehn grosse dominierende digitale Plattformen geben, welche das Leben und den Konsum vieler Menschen bestimmen werden.
Mindestens ebenso wichtig ist ein weiterer Umstand: Gemäss einer Studie von McKinsey entfällt im Banking auf die Distributionsseite (Origination und Sales) weltweit 65 Prozent der Profite der Bankindustrie. Lediglich 35 Prozent der Gewinne wird mit den hoch regulierten bilanzbezogenen Bereichen einer Bank eingespielt, auch weil da die Kosten höher liegen und vielerorts längst nicht alle Hausaufgaben bei der Prozessoptimierung und bei der Digitalisierung gemacht wurden.