Am Abend des 4. April, eines Freitags, war Rolf Soiron am Ziel seiner Träume. Die Fusion der französischen Lafarge mit der schweizerischen Holcim war durch alle Gremien, auch die Grossaktionäre – Thomas Schmidheiny, Nassef Sawiris – waren zufrieden. Nun würde der Turbo gezündet, war Soiron, damals Holcim-Präsident, überzeugt. Der weltgrösste und innovativste Zementkonzern sollte nun entstehen – und Soiron war der Architekt. Das war exakt vor vier Jahren.

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Heute offenbart sich, dass Soiron mit seinen Prognosen danebenlag – und wie sehr er in den Verhandlungen von der Lafarge-Seite ausgetrickst worden war. Die Folgen all der Fehleinschätzungen: Schlagzeilen über mögliche Terrorfinanzierung, Abschreiber in Milliardenhöhe, Personalwechsel auf der obersten Etage, Reputationsverlust, Schwindsucht an der Börse. Dort hat das Fusionsprojekt LafargeHolcim bislang 15 Prozent an Wert eingebüsst, derweilen legte Konkurrent Heidelberg Cement um 15 Prozent zu. Von den von Grossaktionär Schmidheiny prognostizierten 100 Franken je Aktie ist man meilenweit entfernt. Nun droht der nächste schmerzhafte Schritt: Die zuständige französische Behörde gibt bisher geheime Verteidigungsdokumente frei, in denen die Aktivitäten von Lafarge, heute LafargeHolcim, in Syrien protokolliert werden.

Beim Merger von Lafarge und Holcim war es so: Hier war Soiron, der das Verhandlungsdossier im Holcim-Verwaltungsrat an sich riss und im Alleingang den Deal mit den Franzosen aufgleiste. Dort Bruno Lafont, der Alleinherrscher von Lafarge, der grösstes Interesse hatte, die Elefantenhochzeit möglichst schnell abzuschliessen – und der Öffentlichkeit als «Merger of Equals» zu verkaufen.

Prestigefabrik zwischen Bürgerkriegsfronten

Die Zeit drängte, denn Lafont hatte ein Problem: Syrien, genauer die neue Mega-Zementanlage im Norden des Landes. Bis 2007 gehörte die Fabrik zu Orascom Cement, der Baufirma des heutigen LafargeHolcim-Verwaltungsrats Nassef Sawiris. Dieser verkaufte seinen Baukonzern an Lafarge – zum Fantasiepreis von 13 Milliarden Dollar. Der neue Eigner, Bruno Lafont, investierte 680 Millionen Dollar in die Fabrik, die 2010 den Betrieb wieder aufnahm. Doch schon bald stand die Prestigefabrik zwischen allen Bürgerkriegsfronten. Mal fuchtelten die Kurden vor den Toren mit ihren Waffen, dann die Krieger des Al-Kaida-Ablegers Nusra-Front oder die Truppen des Islamischen Staates IS. Die Lafarge-Chefs, das zeigen Abhörprotokolle, die «Le Monde» publizierte, setzten alles daran, die Anlage am Laufen zu halten.

Ab November 2013 – bei Verhandlungsbeginn mit den Schweizern – erscheint der IS erstmals auf der Liste des verantwortlichen Lafarge-Mittelsmanns, der ein Vertrauter von Sawiris war. Mal war in Mails von Schutzgeld die Rede, dann von Materiallieferungen, dann von Steuern, schliesslich verlangten die IS-Terroristen 10 Prozent des Umsatzes oder 66'000 Dollar monatlich in Cash.

Finanzexperten bei den Islamisten

Die Geschäftigkeit der Islamisten war in Paris bekannt. Am 29. Juni 2014 mailt der Lafarge-Vertraute neue Forderungen des IS in die Zentrale. «Die haben echte Finanzexperten an Bord», war er erstaunt. Derweil fragte der Syrien-Länderchef zurück: «Wie stark tangierte der Deal mit dem IS unsere operative Marge?» Und fügte an: «Vergiss nicht, dass der IS eine Terror-Organisation ist.»

Lafont kam höchst ungelegen, dass ausgerechnet während der Fusionsverhandlungen mit den Schweizern die syrische Grossfabrik in ihrer Existenz bedroht war. Er konnte sich ausmalen: Eine Schliessung oder Zerstörung der hochmodernen Anlage hätte einen Abschreiber in dreistelliger Millionenhöhe ausgelöst und seine Position im anstehenden Stellenpoker geschwächt. Es stand einiges auf dem Spiel: Er war immerhin als Konzernchef von LafargeHolcim vorgesehen. Ergo zahlte und schmierte man die Gotteskrieger, die über das Schicksal der Fabrik entschieden. Bis Herbst 2014 – ein halbes Jahr nach der Fusionsankündigung – ging die Rechnung auf. Heisse Fragen zur Werthaltigkeit des Syrien-Engagements oder zur Corporate Governance kamen bei den Schweizer Fusionspartnern nicht auf, wiewohl die anderen Westfirmen – im Gegensatz zu Lafarge – längst ihre Aktivitäten im Bürgerkriegsland eingestellt hatten.

Umfassende Due Dilligence fehlte bei Lafarge und Holcim

Wie unbedarft die Schweizer waren, zeigt die Informationsbroschüre zum «Merger of Equals» zuhanden der Holcim-Aktionäre. Zitat: «Die Verhandlungen zwischen Holcim und Lafarge erfolgten auf Basis von Informationen, die jeder Partei öffentlich zugänglich waren, sowie auf Informationen, welche jede Partei der anderen gegenüber freiwillig offenlegte.» Weder Holcim noch Lafarge hätten eine umfassende Due Diligence vor Abschluss der Zusammenschlussvereinbarung durchgeführt, heisst es weiter. Mit andern Worten: Statt die Werthaltigkeit der Lafarge-Assets und damit des Aktientauschverhältnisses zu prüfen, verliess man sich auf die Angaben des Lafarge-Managements. Dabei waren bei näherer Betrachtung Assets in Milliardenhöhe von Wertberichtigungen bedroht. 2014 fiel bei Lafarge fast die Hälfte des Goodwills auf die Hochrisikozonen Nahost und Nordafrika.

Die fehlende Analyse hatte finanzielle Folgen für LafargeHolcim: Seit der Firmengeburt mussten enorme Wertberichtigungen vorgenommen werden wegen Märkten wie Algerien, Ägypten oder Syrien. Allein fürs Algerien-Geschäft musste LafargeHolcim letztes Jahr 1 Milliarde Franken abschreiben – Erbschaften aus dem Lafarge-Imperium, das sein Schwergewicht in Afrika und Nahost hatte.

Was die Fusionsarchitekten versäumten, erledigen nun die französische Justiz und die neue Konzernleitung. Während die Behörden gegen Bruno Lafont und fünf weitere Lafarge-Topkader ermitteln, setzen VR-Präsident Beat Hess und CEO Jan Jenisch auf einen Neustart. Hess redet in der Einladung zur GV vom nächsten Dienstag Klartext: Er verurteile die Fehler in Syrien in aller Form, sie seien «inakzeptabel». Weiter hält LafargeHolcim fest, man unterstütze die französische Justiz vollumfänglich und unternehme sämtliche Anstrengungen, um eine umfassende Tatsachenfeststellung zu erleichtern.