Über den Wolken herrscht heutzutage nicht mehr die grenzenlose Freiheit, sondern ein grenzenloser Preiskrieg. Eines der wenigen Mittel, mit denen Airlines Geld sparen können, ist das Gewicht. Kein Wunder also, dass bereits in diesem Sommer die Flugzeuge der italienischen Eurofly mit dem kürzlich von Lantal präsentierten «pneumatischen Sitzkissen» abheben; schliesslich lassen sich damit bis zu anderthalb Kilo Gewicht pro Sitz einsparen. Werden dann noch die elektrischen Motoren der Sitze durch Pneumatik ersetzt, kann ein Sitz bis zu acht Kilo weniger wiegen. Pro Grossraumflugzeug und Jahr soll dies zusätzliche operative Gewinne von bis zu einer halben Million Franken durch eingesparte Kerosinkosten ermöglichen. Das Verschwinden der Schaumkissen dürfte bloss noch eine Frage der Zeit sein, zumal die pneumatischen Sitzkissen, an denen auch die Automobilhersteller interessiert sind, weniger brennbares Material enthalten. Mit dieser Innovation hat Lantal die Leading Position ein weiteres Mal gestärkt: Schon heute sind sechzig Prozent aller Flugzeuge weltweit mit Lantal-Textilien ausgestattet.

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Für potenzielle Mitbewerber ist die Eintrittsschwelle in diesen speziellen Textilienmarkt hoch, weil die zu produzierenden Mengen klein sind, die Anforderungen an die Funktionalität der Textilien jedoch viel Know-how erfordern. Die Stoffe müssen schwer entflammbar sein und dürfen nur minimal Rauch entwickeln. Deshalb lassen die vier chinesischen Fluggesellschaften ihre Textilien auch nicht bei Billigproduzenten im eigenen Land, sondern in Langenthal herstellen.

Dass das Unternehmen diesen Nischenmarkt erobert hat, ist auf die KLM zurückzuführen, die vor fünfzig Jahren wegen Textilien für Flugzeuginterieurs angefragt hat. Besitzer Urs Baumann konzentrierte sich damals als Unternehmer auf diesen Markt, weil der Wettbewerb im so genannten Objektbereich, also bei Polstertextilien, eigentlich immer auf ein Preisdrücken hinauslief. Während die übrige Schweizer Textilindustrie auf Talfahrt ging, gehörten bald die Air France, die Swissair, die Lufthansa und die British Airways zu den Lantal-Kunden. Urs Baumann hat das Unternehmen nun durch ein Management-Buy-out (MBO) an den CEO Urs Rickenbacher und das Management verkauft; sie besitzen jetzt die Mehrheit der Aktien.

«Transportation-Fashion», so beschreibt Urs Rickenbacher die strategische Ausrichtung. Also Textilien im Bereich Mobilität, Stoffe, Teppiche und Vorhänge für die Interieurs von Flugzeugen, Zügen, Autocars und Schiffen. In den Schifffahrtsbereich ging Lantal vor zwei Jahren und machte im letzten Jahr 746 000 Franken Umsatz. Vom Objektbereich hat sie sich definitiv getrennt. Lantal konnte im vergangenen Jahr 31 neue Stellen schaffen und den Umsatz pro Mitarbeiter zugleich von 258 000 auf 271 000 Franken erhöhen.

«Am Produktionsort Schweiz haben wir keine Chance, wenn es um Preiskampf geht, also müssen wir uns über Innovationen profilieren», sagt Urs Rickenbacher, der ein clever konzipiertes Innovationsmanagement betreibt. Einmal im Jahr führt Rickenbacher, der nach seiner Dissertation an der Hochschule St. Gallen bei Kuoni, Jelmoli und beim Möbelhersteller USM gearbeitet hat, einen Workshop bei einem Kunden und einem Nichtkunden durch. Die Resultate dieser qualitativen Befragungen werden bei einem externen Institut ausgewertet. Im Bereich der Textilien wird rege geforscht. So gewinnen Textilien in Verbindung mit Gesundheitsaspekten an Bedeutung, etwa Stoffe, die schädliche Bakterien oder unangenehme Gerüche neutralisieren. In Langenthal verfolgt man diese Entwicklungen sehr genau. Und man kooperiert mit innovativen Zulieferern und der Universität Lausanne, wo in Nanotechnologie geforscht wird.

«Wir sind kommunikativ und geben viel Wissen weiter», sagt Urs Rickenbacher, «unternehmerische Stärke entwickelt sich nicht, wenn man Wissen hütet.» Für jeden Geschäftsbereich soll pro Jahr eine so genannte Durchbruch-Innovation lanciert werden. Im Jahr 2004 waren dies Textilien, bei denen das Gewicht um 20 Prozent reduziert werden konnte. Im laufenden Jahr ist es beispielsweise das pneumatische Sitzkissen, das Lantal mit der Schweizer Entwicklungsfirma Prospective Concepts erarbeitet und mit dem deutschen Sitzhersteller Recaro Aircraft Seating auf den Markt gebracht hat.

«Als ich vor zwei Jahren bei Lantal anfing, fragte ich nach einer Unternehmensphilosophie», sagt Urs Rickenbacher, «und dann wurde eigentlich immer die Person von Urs Baumann beschrieben.» Rickenbacher versuchte, die personifizierten Werte zu artikulieren und sie mit System in die Unternehmenskultur zu integrieren. So werden alle acht bis zehn Wochen «Mittags-Anlässe» durchgeführt, in denen im Werk in Langenthal und Melchnau alle Mitarbeitenden zum Essen eingeladen werden: Putzfrauen, Färber, Textilexperten, Marketingverantwortliche, Maschinenreiniger und Geschäftsleiter kommen auf sozialer und inhaltlicher Ebene zusammen.

Um Verständnis für die Produktionsprozesse bei Textilien zu entwickeln, arbeitete Rickenbacher fünf Wochen in den Werkstätten. «Ich habe jeden einzelnen Produktionsschritt durchgemacht», sagt der Chef. Er habe gewoben, gefärbt und ausgerüstet. «Ich bin mit meinem selbst produzierten Stück Stoff bei der Qualitätskontrolle tatsächlich durchgekommen, auch wenn ich wesentlich länger gebraucht habe als die anderen.»

Rickenbacher öffnete die Strukturen auf mehreren Ebenen: Er hat die Trennwände in den Büros herausgenommen und die einzelnen Zellen, in denen sequenziell gearbeitet wurde, in Grossraumbüros verwandelt. Er spricht diesbezüglich von einem «Wandel von formellen Meetings zu einer informellen Struktur, in der die Face-to-Face-Kommunikation gefördert wird». Auch ein Marketing im eigentlichen Sinne gab es früher nicht. Dieses ist nun mit dem Design zusammengelegt worden. Kunden und Lieferanten sollen einbezogen werden, damit alle entlang der Wertschöpfungskette denken. Seinen Führungsstil bezeichnet er als «situativ-kooperativ». Er lasse viel Handlungsfreiheit beim Weg, aber Ziele und Zeitrahmen seien gesetzt.

Wenn man nach einem MBO weiter zusammenarbeite, sagt Urs Rickenbacher, sei es wichtig, in Kapitalfragen wie in Kompetenzbereichen Transparenz herzustellen. Urs Baumann ist operativ draussen. Er wirkt weiter von seinem kleinen Büro in Melchnau aus als Berater, und er tüftelt an Innovationen. «Wir haben am Anfang schriftlich ausgehandelt, was uns wichtig ist; während der Verhandlungen, die gelegentlich kämpferisch waren, konnten wir uns dann auf die ursprüngliche Idee zurückbesinnen.» Für alles, was über die Unternehmenskultur und Wertvorstellungen hinausgeht, wurden Experten zugezogen: für Steuern, Finanzierung und Bewertung. Baumann und Rickenbacher sind zusammen nach Nordamerika und Asien gereist, um Kunden und Lieferanten zu besuchen und vor allem um sich gegenseitig kennen zu lernen.

«Gerade letzte Woche hat uns die Korean Air kontaktiert, dass am Wochenende vier Leute vorbeikommen, um Stoffmuster zu entwickeln», sagt Urs Rickenbacher. Also habe man Hotels organisiert und das Programm für vier Arbeiter umgestellt. Die Koreaner standen neben der Maschine, als ihre Stoffe gewoben wurden. Vier Tage danach sind sie mit diesen Mustern zurück in die Heimat geflogen, um sie ihrem Management zu präsentieren. In solchen Situationen müsse man auch Verständnis für die Kultur der Kunden haben, sagt Rickenbacher. «Die Farbe Grün bedeutet im Nahen Osten etwas anderes als in China.»

Das laufende Jahr habe sehr gut angefangen. Die Lantal konnte den Airbus 380 mit Sitzbezugsstoffen, Teppichen und Vorhängen einrichten. Dieser Trend dürfte so weiterlaufen, denn trotz dem 11. September 2001 und trotz Fernanwesenheit und Videokonferenzen nimmt die physische Mobilität zu. Airbus und Boeing schätzen, dass allein China bis im Jahr 2020 rund 1800 bis 2000 neue Grossraumflugzeuge brauchen werde. Da Lantal aber auch im Bereich der kleineren Fluggesellschaften massiv Potenzial sieht, wurde ein Baukastensystem entwickelt, bei dem Stoffe in rund 200 Farben zur Auswahl stehen; der Kunde soll so Zeit sparen. Die grösseren Airlines lassen ihre Interieurs selbstverständlich weiterhin auf ihre Corporate Designs abstimmen.

Urs Baumann hat das Unternehmen mit viel Pioniergeist zum Marktleader gemacht. Er ist ein Repräsentant der wirtschaftlichen Aufbau- und Nachkriegsgeneration. Ein Patron, der das Unternehmen mit Intuition und Gespür geführt hat und der noch heute in den Büros der Angestellten das gewünschte Bild seiner Kunstsammlung an die Wand nagelt. Urs Rickenbacher hingegen ist so etwas wie die kontemporäre Version dieses Typs, einer, der die Werte mit Baumann teilt, der sie allerdings nicht mehr derart charismatisch verkörpert, sondern eher systemisch in die Unternehmenskultur einbaut. Der Übergang von Urs Baumann zu Urs Rickenbacher ist daher mehr als eine Angelegenheit von Individuen, er bildet einen Paradigmawechsel innerhalb der Wirtschaftsgeschichte ab.