BILANZ: Der angekündigte Auszug von Lego aus der Schweiz hat breite Entrüstung ausgelöst. Können Sie diese Empörung nachvollziehen?

Jørgen Vig Knudstorp: Ich kann diese Reaktion durchaus verstehen. Ein Verlust von Arbeitsplätzen in diesem Ausmass ist immer schlimm, gerade in einer Region wie Willisau. Andererseits mussten wir dringend etwas unternehmen, um die Firma wieder auf Kurs zu bringen. Lego ist heute unter den grossen Spielzeugfabrikanten der letzte, der immer noch in westlichen Ländern produziert. Wir haben so lange wie nur möglich versucht, an diesen Standorten festzuhalten. Doch nun ist ein Punkt erreicht, wo wir uns neu orientieren müssen. Denn seit längerer Zeit stehen wir unter gehörigem Druck. Unsere Konkurrenten lassen in Billiglohnländern produzieren, und dadurch fallen die Verkaufspreise und damit auch die Margen in unserer Branche laufend.

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Zehn Jahre lang hat Lego in Willisau von günstigen Steuern profitiert, das Abkommen ist Ende 2004 ausgelaufen. Wäre Lego geblieben, wenn das Arrangement verlängert worden wäre?

Nein. Der Entscheid, die Produktion zu verlegen, ist nicht vor dem Hintergrund von Steuerüberlegungen gefallen. Ausschlaggebend dafür war vielmehr die Einsicht, dass wir eine flexiblere Produktionsbasis benötigen. Wir sind in einem saisonal geprägten Geschäft tätig und zudem immer kürzeren Modeströmungen im Spielwarengeschäft unterworfen. Im Weiteren haben wir festgestellt, dass die Fabrik in Willisau, in einem globalen Kontext betrachtet, eine zu geringe Skalengrösse erreicht. Obwohl wir dort die Produktivität verdoppelt haben, mussten wir einsehen, dass eine Verlagerung in osteuropäische Billiglohnländer wie die Slowakei, Tschechien oder Rumänien sich in einer bedeutenden Kostenersparnis niederschlagen würde. Die Schliessung der Werkzeugfertigung in Steinhausen dagegen erfolgt nicht nur auf Grund von Kosten- und Flexibilitätsüberlegungen. Da wir unsere Aktivitäten konzentrieren, ist unser Bedarf an Werkzeugen geringer.

Nochmals, der Entscheid zur Produktionsverlagerung geschah vor dem Hintergrund von Flexibilitäts- und Kapazitätsüberlegungen sowie natürlich auch von Kosteneinsparungen, aber nicht aus Steuergründen.

Bedenken Sie: Wir haben über die letzten Jahre in Willisau Verluste geschrieben. Deshalb ist das Steuerabkommen für uns gar nicht ins Gewicht gefallen. Kein Punkt war im Weiteren, dass das Steuerabkommen Ende 2004 auslief. Wären wir in Willisau geblieben, hätten wir die Verluste der Vergangenheit sowieso über die nächsten Jahre mit den allfälligen Gewinnen aufrechnen können.

Nur bezahlt Lego im tschechischen Kladno, in das der bedeutendste Teil der Willisauer Produktion verlagert wird, angeblich gar keine Steuern.

Das stimmt nicht. In den osteuropäischen Ländern sind die Steuern zwar tatsächlich geringer als in den meisten Staaten Westeuropas. Nur sind die Fiskalabgaben in der Schweiz ebenfalls vergleichsweise tief. Wir haben mit Kladno kein Abkommen abgeschlossen, wir haben dort von Anfang an die ortsüblichen Steuersätze zu entrichten. Diese liegen etwa in demselben Rahmen wie in Willisau. Wir legen unsere strategischen Entscheidungen auf sehr lange Sicht fest, weshalb die Steuerbelastung kein grosses Thema sein kann.

Ein Thema bei Lego-Angestellten und Gewerkschaften in der Schweiz ist allerdings die Informationspolitik. Hat Lego schlecht informiert, wie Ihnen vorgeworfen wird?

Im Oktober des letzten Jahres haben wir damit begonnen, die weltweiten Lego-Standorte einer Überprüfung zu unterziehen. Das habe ich Anfang November den Mitarbeitern in Willisau und Steinhausen persönlich mitgeteilt. Ich verschwieg damals nicht, dass im schlechtesten Fall die Produktionsbetriebe geschlossen würden. Im April dieses Jahres habe ich alle Lego-Angestellten orientiert, dass es nach unseren Abklärungen der letzten Monate zwingend sei, einen grossen Teil unserer Produktion vom Westen in Tiefkostenländer zu verschieben. Wir würden noch in diesem Jahr unsere endgültigen Pläne offenlegen. Das ist denn auch vor kurzem geschehen. Also von daher kann man uns keinen Vorwurf machen, wir hätten nicht ausreichend informiert.

Weshalb hat Lego 1993 überhaupt eine Fabrik in Willisau hochgezogen, wenn doch alle Konkurrenten in den Fernen Osten gezogen sind?

Lego verfügte damals bereits über Betriebe in Baar. Da machte eine weitere Fabrik in relativer Nähe durchaus Sinn. Zudem hat die Lego-Besitzerfamilie Kristiansen eine enge Beziehung zur Schweiz. Sie waren überzeugt davon, dass sich sogar eine teure, dafür hochmoderne Produktionsanlage auf einen Zeithorizont von zwanzig bis dreissig Jahren auszahlen würde. Die enormen Fortschritte in der Automation und Produktivität in den folgenden Jahren schienen diesen Entscheid zu bestätigen. Wohl nicht zuletzt deshalb fragen sich viele Angestellte, weshalb sich die Welt in nur zehn Jahren derart rapide verändert haben sollte. Nur hat die Globalisierung in der letzten Dekade tatsächlich die Voraussetzungen für die industrielle Fertigung in Westeuropa in einem Tempo verschlechtert, das auch mich überrascht hat.

Die Lego-Europazentrale in Baar dagegen wurde erst vor gut einem Jahr eingerichtet und nun bereits geschlossen. War das damals eine Fehlentscheidung?

Einst haben wir Europa in fünf Regionen eingeteilt, jedes Gebiet wurde von einem Manager geführt. Das war dem Anspruch einer flachen Hierarchie hinderlich. Deshalb fassten wir alles zusammen und konzentrierten die Marketing- und Verkaufsaktivitäten in Baar. Damit wollten wir auch einen Kulturwechsel bei Lego erreichen, indem die Spezialisten aus verschiedensten Ländern unter einem Dach zusammenarbeiteten. Dieses Ziel haben wir erreicht. Nun scheint es uns angezeigt, diese 15 Personen wieder näher zur Konzernzentrale zu rücken, also nach Billund in Dänemark.

Um wie viel billiger wird die Produktion in Tschechien sein, verglichen mit der Schweiz?

Einen Totalbetrag kann ich nicht nennen, sondern nur einige Beispiele geben. Bei der Herstellung von Vorschulspielsachen und Duplo-Steinen sowie beim Verpacken derselben werden wir jährlich zehn Millionen Euro sparen. Beim Einkauf von Werkzeugen auf dem freien Markt sollten Einsparungen von mehreren Millionen resultieren. Die grössten Kosteneffekte erzielen wir bei den Löhnen. In Tschechien sind die Saläre um 25 bis gut 50 Prozent billiger als in der Schweiz. Doch diese Ansätze gelten für den westlichen Landesteil von Tschechien. In der Slowakei, in Rumänien oder Bulgarien liegt das Lohnniveau dagegen weitaus tiefer.

Wie ist es nur möglich, dass ein einst finanzstarker und blühender Konzern wie Lego derart tief in die Krise abgestürzt ist?

Da kann ich Ihnen eine ganz simple Erklärung liefern. Noch 1993 war die Lego-Gruppe äusserst profitabel. Dann begann sich die Struktur des Spielwarenmarktes zu verändern. Die Kinder verlangten zunehmend nach elektronischen und anderen neuartigen Spielzeugen, die wir damals nicht im Sortiment führten. Zudem wurde der Markt mit billigen Spielwaren überschwemmt, was die Margen der gestandenen Anbieter drückte. Zudem verlangten die mächtigsten Detailhandelskonzerne laufend günstigere Preiskonditionen. All diese Faktoren haben den Konkurrenzkampf angeheizt und die Gewinne geschmälert. Lego reagierte auf diese Situation mit einer Ausweitung des Produktsortiments. Diese Expansion erhöhte zwar die Umsätze, die Erträge jedoch konnten dieser Entwicklung nicht folgen. Anfang 2004 haben wir den Turnaround eingeläutet. Was wir seither unternehmen, ist simpel: Wir konzentrieren uns erneut auf das Kerngeschäft und sorgen dafür, dass wir mit den Bausteinen wieder Gewinne erzielen. Nun bauen wir zwar eine kleinere, dafür klar fokussierte Unternehmensgruppe auf, die wieder das darstellt, was sich die Konsumenten von uns gewohnt waren. Neben den vertrauten Bausteinen wollten die Kunden keine weiteren Produkte, auf denen ebenfalls Lego draufsteht. Aus diesem Grund haben wir die vier Legoland-Freizeitparks verkauft. Zwar gaben diese uns einen guten Einblick in die Lego-Welt der Kinder. Doch es kann ja nicht zu unserem Kerngeschäft gehören, Familienparks zu führen.

Und für diese Erkenntnis hat das Management zehn Jahre gebraucht. Ein jämmerlicher Ausweis.

Bei Lego pflegen wir eine Kultur der Freundlichkeit, sie werden bei uns fast nur liebenswürdige Menschen treffen. Was nicht verhindert hat, dass wir uns in den letzten Jahren zunehmend arroganter verhalten haben. Wir hatten die Kunst verlernt, auf unsere Kunden und die Händler zu hören, und vor allem hörten wir nicht mehr auf unsere Angestellten. In der Folge expandierten wir an den Bedürfnissen der Konsumentinnen und Konsumenten vorbei, ein katastrophaler Fehler, den wir mit hohen Verlusten bezahlten.

Woher kommt diese Arroganz?

Den Hauptgrund sehe ich im unglaublichen Erfolg der Lego-Gruppe. Das Unternehmen war während annähernd 70 Jahren stark gewachsen und verfügte über eine hohe Profitabilität. Erst 1998 wurden, erstmals seit der Gründung, rote Zahlen geschrieben. Erfolg macht blind, man hört nicht mehr auf die Kunden und produziert an den Marktbedürfnissen vorbei. Diese Lektion habe ich gelernt. Heute ist mir klar, dass ich alleine mit aufmerksamem Zuhören fast alles lernen kann, was es zum Führen eines Unternehmens wie Lego braucht. Ich habe schon immer einen ehrlichen und offenen Führungsstil gepflegt. Zusätzlich treffe ich nun oft Kunden, also Kinder, spiele mit ihnen und höre mir an, wie sie mit unseren Produkten zufrieden sind und was sie erwarten. Zudem chatte ich viel oder nehme an Diskussionsforen im Internet teil, um noch mehr über die Bedürfnisse unserer Konsumenten zu erfahren.

Was nichts daran ändert, dass in der Vergangenheit böse Managementfehler begangen wurden. Müssen die Schweizer Mitarbeiter nun dafür büssen?

Wenn Manager Fehler begehen, bekommen das auch die Angestellten zu spüren. In diesem Fall sehe ich jedoch keinen direkten Zusammenhang. Lego ist in erster Linie in Schwierigkeiten geraten, weil die Spielwarenbranche über die letzten Jahre eine ungeheure Dynamik entwickelt hat. Dazu gesellten sich die Einflüsse der Globalisierung.

In Willisau ist die Identifikation mit Lego hoch. Wird das auch in Tschechien der Fall sein?

Diese Identifikation ist wichtig, und ich bin überzeugt, dass das auch in Tschechien so sein wird. Lego ist in Osteuropa ja kein Nobody, seit 1974 verkaufen wir dort unsere Produkte. In Ländern wie Ungarn, Tschechien, Polen oder Russland sind wir in den Gestellen der Spielwarenläden und Supermärkte die Nummer eins. Tschechien ist für uns eine Art Heimmarkt, immerhin beschäftigen wir dort bereits rund 1000 Personen. In Kladno gelten wir als beliebter Arbeitgeber, der Bedingungen bietet, die zu den besten im Land gehören. Wir stellen konzernweit eine hohe Loyalität fest, denn unsere Mitarbeiter wurden immer anständig behandelt, und sie lieben das Produkt. Speziell Eindruck gemacht hat mir aber die Loyalität unserer Angestellten in Willisau. Und das macht die Situation für mich als Firmenleiter zusätzlich schwierig. Doch auch für die Familie Kristiansen ist die Auslagerung ein schmerzhafter Prozess. Wir können einzig Fairness bieten, also einen offenen Dialog führen und die Mitarbeiter so weit wie möglich im Voraus orientieren, damit sie sich frühzeitig auf die neue Situation einzustellen vermögen. Ich kann die Globalisierung nicht verhindern. Doch ich kann versuchen, deren Konsequenzen für die Betroffenen erträglicher zu machen.

Weshalb verlässt Lego ausgerechnet jetzt die Schweiz, wo das Geschäft wieder anzieht und der Verkauf der Legoland-Freizeitparks Geld in die Kasse spült?

Das Unternehmen hat seit über zehn Jahren keinen Return on Investment mehr erzielt. Das Verhältnis zwischen einer anständigen Rendite und dem Risiko, eine Gesellschaft wie Lego zu führen, ist in keiner Art und Weise mehr gewahrt. Doch wer als Firmenbesitzer auf seinem Kapitaleinsatz keinen oder zu wenig Ertrag erzielt, investiert sein Geld besser in ein Wertschriften-Portefeuille. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Lego wieder anständige Profite erzielt, damit die Familie Kristiansen das Unternehmen weiterhin in ihrem Eigentum halten kann. Gemessen an den Erträgen unseres Konkurrenten Mattel, sind wir noch ein ganzes Stück von diesem Ziel entfernt. Mit anderen Worten: Wir müssen in den nächsten Jahren Lego weiter restrukturieren.

Sie sind ein McKinsey-Mann. Wurden Sie an die Spitze von Lego gestellt, um mit harter Hand aufzuräumen?

Ja und nein. Ja, weil man als McKinsey-Mann Fähigkeiten erlernt, die man später in einem Unternehmen anwenden kann. Ich denke da an die Umsetzung von strategischen Perspektiven, die Auswirkungen der Globalisierung, den Einfluss kultureller und organisatorischer Zwänge. Nein, weil man bei McKinsey viele Dinge nicht lernt. Dinge, die ich als die weiche Seite des Managements bezeichne: den Aufbau eines Teams, die Schaffung von Vertrauen in die Firma, Diskussionen rund um Marketing und Führungsqualitäten, die Pflege von Unternehmenstraditionen. Solches lernt man nicht als Berater. Ich glaube, gerade die Frage, ob ich als Person in die Traditionen, ja das Erbe einer Lego passe, war ausschlaggebend für meine Ernennung.

Bringen Sie Lego überhaupt nochmals auf Erfolgskurs zurück?

Würde ich das nicht glauben, sässe ich am falschen Platz. Gegen Ende 2006 oder im Verlauf von 2007 erwarte ich wieder eine einigermassen ansprechende Verzinsung des investierten Kapitals. Zu dem Zeitpunkt werden wir allerdings noch nicht jene Erträge erzielen, die in unserer Branche Standard sind. Das dauert möglicherweise bis zum Ende dieser Dekade. Der Grund für diese langsame Erholung ist darin zu suchen, dass die Familie Kristiansen weitaus mehr Wert auf eine sozialverträgliche und auch dem Unternehmen Lego bekömmliche Restrukturierung legt, als möglichst rasch wieder hohe Profite einzufahren.

Ihr Vorgänger als Lego-CEO, Kjeld Kirk Kristiansen, ist bekannt als sozial denkender Mensch. War er zu wenig hart, um den Turnaround herbeizuführen?

Die Öffentlichkeit kennt ihn als ausgesprochen netten Menschen, und das hat ihm wohl den Ruf eingetragen, Führungsschwächen zu haben. Dabei stand er dem Unternehmen 25 Jahre als CEO vor, und in dieser Periode ist das Unternehmen um mehr als das Zehnfache gewachsen. Zudem hat Kristiansen bereits vor meiner Ernennung ein gewaltiges Stück der Restrukturierungsarbeiten geleistet. Er ist immer noch ein wichtiger Teil der Kultur und des operativen Geschäfts von Lego, doch er hat quasi auf dem Rücksitz des Autos Platz genommen. Kristiansen unterstützt mich stark, doch gleichzeitig lässt er mir die für meine Aufgabe nötige Ellenbogenfreiheit. Meine Autorität in der Firma beziehe ich nicht zuletzt daraus, dass mir die Besitzerfamilie volle Rückendeckung gibt.