Sie ist eine Frau, kommt aus Ostdeutschland und hat in der Partei keine Hausmacht. Mit diesen Voraussetzungen kann man in der konservativen CDU eigentlich nichts werden. Aber Angela Merkel ist keine normale Politikerin.

Mit taktischem Geschick und weit gehender Fehlerlosigkeit hat sie es in nur 15 Jahren Politik an die Spitze geschafft. Frühere Förderer hat sie längst hinter sich gelassen, etwa den letzten DDR-Regierungschef, Lothar de Maizière, und Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der Merkel «mein Mädchen» nannte. Kohl machte sie zur Ministerin, von ihm schaute sich Merkel die Techniken der Machterhaltung ab. Als Kohl 1999 in eine Parteispendenaffäre verstrickt war, forderte sie ihre Partei in einem Zeitungsbeitrag auf, sich vom Übervater zu lösen.

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Wen sie nicht mehr brauchen könne, den lasse sie emotionslos fallen, sagen CDU-Funktionäre, halb bewundernd, halb verängstigt. Andere nennen sie «offen und warmherzig». Sie gilt als Strategin. Hat die Physikerin ein Ziel definiert, geht sie mit naturwissenschaftlicher Konsequenz den Weg dahin, Winkelzüge auf Kosten anderer nimmt sie dabei in Kauf: Aus dem Rennen um das Amt des Bundespräsidenten ging der frühere CDU-Chef Wolfgang Schäuble stark beschädigt hervor. Am Ende setzte Merkel ihren Favoriten Horst Köhler durch.

Merkels Misstrauen ist sprichwörtlich. Volles Vertrauen hat sie wohl nur zu ihrem «Girlscamp». Dazu gehören ihre langjährige Büroleiterin Beate Baumann und Sprecherin Eva Christiansen. Wichtige Fragen – «Wie war die Rede?» – stellt sie zuerst diesen beiden. Enge Vertraute sind auch Annette Schavan, die nach einem Wahlsieg Bildungsministerin werden kann, und die junge Wirtschaftsexpertin Hildegard Müller. Um ihr «Girlscamp» herum hat Merkel eine Beratergruppe aufgebaut, die als «Boygroup» verspottet wird. Eine Schlüsselrolle unter diesen ehrgeizigen Jungpolitikern nimmt der Rechtsexperte Norbert Röttgen ein, der quasi als Merkels Hausmeister das Tagesgeschäft im Parlament organisiert.

Geschickt hat Merkel frühere Widersacher eingebunden, die ihr nun loyal zuarbeiten. Der wichtigste unter ihnen: CDU-Generalsekretär Volker Kauder. Er hatte bei der Bundestagswahl 2002 noch die Kanzlerkandidatur von Edmund Stoiber gegen Merkel unterstützt. Kauder ist für eine Regierung als Kanzleramtsminister gesetzt. Der mächtige Stoiber, Chef der Schwesterpartei CSU, will erst nach der Wahl entscheiden, ob er sich Merkel in einem Kabinett unterordnen will. Den schwachen Chef der Freidemokraten (FDP), Guido Westerwelle, stützt sie; er dankt es mit einer Koalitionszusage. Westerwelle dürfte unter Merkel Vizekanzler werden.

Merkel ist auf Kanzlerinnenkurs, auch bei einem der heikelsten Themen: ihrer Frisur. Sie lässt sich – wie übrigens auch Gerhard Schröder – die Haare vom Berliner Star-Figaro Udo Walz schneiden.

Konkurrenten und Feinde

Merkels Erfolgsrezept ist der Erfolg – solange die CDU unter ihr Wahlen gewinnt, müssen die Konkurrenten stillhalten. Am schwersten fällt es dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, seinen Drang an die Spitze zu kaschieren. Bayerns Landesvater Edmund Stoiber war bereits Kanzlerkandidat, hatte also seine Chance. Das heisst aber nicht, dass er Merkel nun rückhaltlos unterstützt. Gefährlich könnte Christian Wulff werden, der Regierungschef Niedersachsens. Regelmässig wird er bei Umfragen zum beliebtesten Politiker gekürt. Zudem kann er seinen Ehrgeiz zügeln. Koch und Wulff gehören zum «Andenpakt», den Jungpolitiker vor 25 Jahren auf einer Südamerika-Reise gegründet haben. Viele Paktmitglieder, allesamt Männer, haben sich in der Partei über Jahrzehnte hochgedient – das unterscheidet sie von der ostdeutschen Senkrechtstarterin Merkel.

Regelrechte Feinde Merkels sind zwei Männer: ihre Vorgänger als Partei- beziehungsweise als Fraktionschef, Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz. Beide sind fachlich hoch geachtet, beide hat Merkel zur Seite geschoben. Schäuble gilt als verbittert. Merz, den sie rabiat aus dem Amt drängte, hat sich zurückgezogen und lauert im Hintergrund auf eine neue Chance.

Diskrete Kontakte

In der Wirtschaft verfügt Merkel über «ein gutes Netzwerk, aber sie redet grundsätzlich wenig darüber», sagt ihr Biograf Wolfgang Stock. Der Industrieverband BDI rühmt ihren «Sachverstand», McKinsey-Regionalchef Jürgen Kluge gehört zu Merkels wichtigsten Beratern. So eng wie bei Gerhard Schröder, dem «Genossen der Bosse», sind die Bindungen aber wohl nicht. Dafür hat sie strategische Kontakte zu Medienkonzernen, etwa zur starken Frau bei Bertelsmann, Liz Mohn, und zur Verlegerwitwe Friede Springer. Deshalb wird sie gut behandelt von der «Bild»-Zeitung. «Focus»-Verleger Hubert Burda hat zu Schröder und Merkel guten Kontakt. Mit Davos-Organisator Klaus Schwab ist sie bekannt, und vor allem zu Schweizer Grossbanken hat sie einen guten Draht.

Die Wissenschaftler

Ihr Privatleben hält Dr. rer. nat. Angela Merkel unter Verschluss. Mit ihrem zweiten Ehemann, Joachim Sauer, Professor für Quantenchemie, zeigt sie sich selten. Das Paar lebt in Berlin. Kinder hat Merkel nicht: «Ich wäre nicht der Typ für die Mutterrolle», sagte sie einmal. Merkel, geborene Angela Dorothea Kasner, ist Tochter eines Pfarrers und einer Lehrerin. Den Nachnamen übernahm sie vom ersten Gatten, Ulrich Merkel, Naturwissenschaftler auch er. Die Ehe hielt nur fünf Jahre.

Dirk Ruschmann
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