Ein welscher Karikaturist zeichnete ihn im Vorfeld der bereits legendären Nestlé-Generalversammlung als unerschrockenen Aktionär, der als Einziger keinen Bückling vor den mächtigen Konzernchefs vorne auf dem Podium macht. Der Künstler täuschte sich.

Dominique Biedermann war mitnichten allein im Lausanner Palais de Beaulieu. Zusammen mit dem Chef der Genfer Anlagestiftung Ethos verpassten 36 Prozent der Anwesenden dem abtretenden Präsidenten Rainer E. Gut und dem nachrückenden Konzernchef Peter Brabeck einen unerwarteten Denkzettel, der die Schweizer Wirtschaftslandschaft nachhaltig verändern dürfte. Von nun an wissen auch die Anleger von grossen Unternehmen, dass sie sich gegen unliebsame Vorschläge ihrer Rennleitung zur Wehr setzen können.

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Biedermann setzte sich gute Unternehmensführung bereits zum Lebensziel, als die hiesigen Investoren noch nicht einmal wussten, wie Corporate Governance buchstabiert wird. Vor seinem Wechsel zu Ethos 1998 verwaltete der Romand jahrelang das Pensionskassenvermögen des Kantons Genfs. Unter seinen Vorgesetzten finden sich berühmte Magistraten: der Genfer Regierungsrat Olivier Vodoz von den Liberalen und die heutige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP). Ob rechts oder links stehend: Bei beiden genoss Biedermann viel Vertrauen.

Dass er kein Marktschreier und Rattenfänger ist, merkten die Zuschauer der denkwürdigen «Arena» von SF DRS vor drei Wochen sofort. Rainer E. Guts Angriffe parierte er emotionslos, und trotz sprachlichen Hürden – Deutsch ist eine Fremdsprache für ihn – argumentierte der Ethos-Chef präzis. Sukkurs erhielt er von Ulrich Grete, dem ehemaligen UBS-Topbanker, der heute die Milliarden der AHV verwaltet und nicht im Verdacht steht, ein linker Wirtschaftskritiker zu sein.

Gretes Unterstützung könnte den oft als Ideologen kritisierten Biedermann zur salonfähigen Vorreiterfigur guter Unternehmensführung machen. «Wir sind keine Dogmatiker», betont der Ethos-Chef. «Aber wenn eine Firma unsere Vorstellungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen will, dann müssen wir Anträge stellen und an der Generalversammlung dafür kämpfen. So wie bei Nestlé.»

Als eine Art wandelndes Corporate-Governance-Lexikon trifft Biedermann bei jedem Big Shot den interessanten Punkt. Bei CS-Präsident Walter Kielholz fragt er: Warum ist dieser nur Teilzeitpräsident? Bei UBS-Präsident Marcel Ospel: Warum übernimmt er keine Fremdmandate? Bei Multi-VR Kaspar Villiger: Warum ist er nirgends Präsident? Jeder Fall sei speziell. So opponierte Biedermann bei der Credit Suisse gegen die Wiederwahl der VR Peter Brabeck, Thomas Bechtler und Lindt-&-Sprüngli-Chef Ernst Tanner – wegen deren Arbeitsüberlastung.

Die Bewegung

Der Siegeszug der Corporate Governance rollt je nach Kontinent und Kulturkreis unterschiedlich schnell. Während die grossen Aktionäre in der angelsächsischen Welt ihre Mitbestimmungsrechte seit 15 Jahren wahrnehmen, zeichneten sich die Investoren in Kontinentaleuropa bis vor kurzem durch Passivität aus. So musste Ethos, die Stiftung mit den «Anlagefonds für nachhaltige Entwicklung», in der Schweiz Pionierleistungen erbringen.

Den Start erleichtert haben zwei Bankiers mit berühmtem Stammbaum: Patrick Odier von der Genfer Privatbank Lombard Odier und Eric Sarasin von der gleichnamigen Basler Bank standen Ethos-Chef Dominique Biedermann beim Aufbau der Anlagestiftung zur Seite. Zusammen mit UBS, Vontobel und der Banque Pictet gehört die zu Lombard Odier Darier Hentsch erweiterte Bank noch heute zu den Partnern, nicht mehr dabei ist hingegen Sarasin. Die Stiftung verwaltet 900 Millionen Franken von 82 Schweizer Pensionskassen. Diese können nicht rundum zufrieden sein: Ethos erzielte seit ihrer Gründung eine leicht unterdurchschnittliche Rendite.

Die Zukunft

Laut Biedermann haben hierzulande immer noch viele Konzernchefs und VR-Präsidenten nicht verstanden, wie sehr sich der Wind in der Frage der Topshot-Entlöhnung gedreht hat. In Deutschland gelang es SPD-Chef Franz Müntefering mit einer einzigen Rede gegen die Millionensaläre der Manager, eine Grundsatzdebatte über den Kapitalismus auszulösen. Vergleichbares passierte kürzlich in Frankreich, wo ausgerechnet Finanzminister Thierry Breton, bis vor kurzem Chef von France Télécom, ein neues Gesetz vorschlägt, um den Eigentümern das letzte Wort über die goldenen Fallschirme zu ermöglichen. Für den Ökonomieprofessor und Publizist Bruno S. Frey eine unheilvolle Entwicklung. Nicht neue Gesetze brauche es, sondern selbstbewusste Aktionäre.

Der Nachhaltige

Im Winter fährt Biedermann Ski im französischen Chamonix, im Sommer reist er in die Ägäis, zusammen mit seiner Frau Yola, die aus Athen stammt, den Söhnen, 14 und 16 Jahre alt, und der 18-jährigen Tochter. Sie alle wohnen in einem Genfer Vorort ohne attraktives öffentliches Verkehrsnetz. So nimmt der Ethos-Chef das Auto für die Fahrt in die Genfer Innenstadt. Einen VW Lupo 3L fährt er, und betont den umweltschonenden Verbrauch von drei Litern. Für ihn ist Nachhaltigkeit ein Lebensprinzip.