Er macht es dem Besucher nicht einfach, ihn auf Anhieb zu mögen.

Aarburg, Kanton Aargau, Firmengelände der Franke-Gruppe, Betriebsrundgang, Produktionshalle für Kaffeeautomaten. Ein älterer Mann ist mit der Endkontrolle von Kaffeemaschinen beschäftigt. Ohne die kleine Besuchergruppe zu beachten, klebt er in aller Ruhe kleine Etiketten auf die Geräte. Michael Pieper, der dem Gast eben noch erklärt hat, dass er wegen der gedrückten Margen nicht ins Geschäft mit Kaffee-Haushaltmaschinen expandieren wolle, geht auf den Arbeiter zu: «Achtung, wir haben Besuch. Tun Sie wenigstens so, als ob Sie rascher arbeiten würden.» Sagt es und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

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Im ersten Stock, wo die Verwaltung der Division Coffee Systems ihre Büros hat, sitzt eine Frau alleine in einem verglasten Sitzungszimmer und führt eine Videokonferenz. Kaum hat Pieper realisiert, dass am anderen Konferenzort Leute von Bremer sitzen, dem 2002 akquirierten deutschen Produzenten von Kaffeeautomaten, reisst er die Türe auf, grüsst kurz und schmettert in die Kamera: «Wie sind denn die Verkaufszahlen für April ausgefallen?» Bevor die andere, sichtlich überraschte Seite reagieren kann, ist Michael Pieper wieder aus dem Glaskäfig herausgestürmt. Einige Schritte weiter, im Grossraumbüro der Informatik, spielt der Chef wieder Chef: «Hallo, aufwachen!»

Keine Spur von Corporate Correctness.

Doch der Eindruck täuscht. Michael Pieper, CEO und Inhaber der auf Küchentechnik spezialisierten Franke-Gruppe, kennt nicht nur fast jede Maschine im Betrieb samt Anschaffungspreis, Einsatzmöglichkeiten, Macken; er kennt auch die meisten Arbeiter, und diese wiederum kennen seine ruppig wirkenden Auftritte. Pieper hält es nie lange in seinem Büro aus. Dann marschiert er durch die Produktionshallen, spricht mit den Leuten, erkundigt sich nach Problemen. Und nicht selten krempelt der 59-Jährige seine Hemdsärmel nach oben und packt selbst an. So jüngst beim Abbruch einer Halle. Da sei der Chef doch tatsächlich «selbst in den Bagger geklettert und hat beim Abriss mitgeholfen», erinnert sich ein Arbeiter.

Michael Pieper beschreibt sich selbst als offen, pragmatisch, direkt, fordernd, manchmal etwas zu gutmütig und vor allem sehr spontan. Gerade seine Spontaneität löst in seinem Umfeld immer wieder Irritation aus. Es sei schon vorgekommen, erzählt ein Manager, dass Pieper in einem Restaurant den ausländischen Kellner nach Namen, Herkunft und seinen privaten Lebensumständen ausgefragt habe – einfach aus Neugierde am Menschen. Oder er stürmte in Zofingen in die Galerie Leupi und sagte, er müsse den Künstler kennen lernen, der diese wundervollen Stahlskulpturen im Schaufenster geschaffen habe. So kam die Künstlerin Gabriela von Habsburg, Tochter Ottos von Habsburg, des ältesten Sohnes des letzten Kaisers von Österreich, zu einigen grossen Aufträgen von Franke.

Finanzchef Wolfgang Cach arbeitet seit 35 Jahren bei Franke und kennt seinen Chef besser als alle anderen im Topmanagement. «Michael Pieper ist trotz Erfolg und Vermögen einfach und gradlinig geblieben. Allerdings hat er im Vergleich zum Durchschnittsschweizer eher rigide Vorstellungen bezüglich Tagesablauf und Arbeitseinsatz», sagt der gebürtige Österreicher. «Da fordert er viel. Das funktioniert nur, weil Pieper selbst Vorbild ist.» Wobei «rigide» eine gehörige Verniedlichung ist, denn Piepers Arbeitszeiten sind legendär: Obwohl er im steuergünstigen Hergiswil wohnt und bis zu seinem Arbeitsplatz zuerst einmal mit seinem Auto über 50 Kilometer abspulen muss, sitzt Pieper allerspätestens um fünf Uhr morgens an seinem Pult. Am Abend steigt er um sieben wieder ins Auto, um neun, spätestens um zehn Uhr ist Lichterlöschen. Piepers Bemerkung «Für Konzert- oder Theaterbesuche habe ich unter der Woche keine Zeit» vermag da nicht zu überraschen. Doch auch am Wochenende sieht man den Hochbeschäftigten selten in Hergiswil, höchstens mal beim «Rasenmähen in Knickerbockern», wie ein Nachbar beobachtet hat. Falls er samstags oder sonntags nicht auch noch im Büro sitzt.

Das Management hat sich seinem Tagesablauf anzupassen, doch sei er bei dessen Arbeitsbeginn grosszügig. Dennoch liegt die «Höflichkeitslimite allerallerspätestens bei sieben Uhr», zeigt sich Michael Pieper strikt. Wem das zu früh sei, der gehe von selbst wieder. Dass nicht alles passionierte Frühaufsteher sind, muss Pieper immer wieder zur Kenntnis nehmen. Als er einst eine Pressekonferenz auf morgens um halb sieben angesetzt hatte, war der Zuspruch äusserst bescheiden – heute wird die Journalistenschar auf christliche neun Uhr aufgeboten. Dafür freut sich Michael Pieper, wenn das Kader früher als gewohnt antritt. Im vergangenen Jahr wurde er mit einem Früh-Frühstücksbuffet überrascht, Anlass waren 15 Jahre piepersche Führung. Dabei hatten sich alle Beteiligten um halb fünf in der Früh einzufinden, um ja auch vor ihm da zu sein. Als Pieper dann kam, «war er sichtlich bewegt», beobachtete Kurt Blum, Redaktor des «Zofinger Tagblatts». Gefrühstückt wurde übrigens in Eile: Auf sechs Uhr war eine Videokonferenz mit Japan angesagt.

Sein leidenschaftlicher Arbeitseinsatz löst in seiner Umgebung Bewunderung aus. «Seine Kraft und sein Durchstehvermögen sind aussergewöhnlich», meint Andreas Hauswirth, zuständig für Corporate Services bei Franke. «Wie ein Hundertmetersprinter, der in diesem Tempo täglich über eine Distanz von 10 000 Metern läuft.» Andere machen sich Sorgen ob seines Elans. «Er ist wie eine Kerze, die gleichzeitig an zwei Enden brennt», sagt Moritz Suter, einstiger Crossair-Chef und ein alter Freund von Michael Pieper. Er mahne ihn immer wieder, dass er mehr Sorge zu sich tragen solle. Vergebens.

Was treibt den mit 59 Jahren nicht mehr allzu jungen Unternehmer an? «Franke ist mein Erbe. Der Vater hat mir damals die Auflage gemacht, das Unternehmen vorwärts zu bringen. Also bringe ich es vorwärts.» Michael Pieper kommt aus einer klassischen Unternehmerfamilie. Bereits in seiner Jugend gab es am väterlichen Esstisch nur zwei Gesprächsthemen: das Unternehmen und Segeln. Vater Willi war ein erstklassiger Segler, der für die Schweiz dreimal an Olympischen Spielen antrat. Sein Segeltalent hat er an den zweitältesten Sohn, Ronald, vererbt, der heute 56-Jährige segelte 1972 an der Olympiade in München. An Michael dagegen gab der Vater die Leidenschaft des Vollblutunternehmers weiter.

Michael Pieper beschreibt seinen Vater als zeiteffizient, sportlich, sparsam und, nach einer längeren Pause, als äusserst dominant. «Bei ihm gab es nur die Möglichkeiten: sich fügen oder gehen.» Das musste der Sohn am eigenen Leib erfahren. Nach dem Wirtschaftsstudium an der Hochschule St. Gallen trat Pieper bei RWD, dem Unternehmen des Vaters, seine erste Stelle an. Auch Bruder Ronald arbeitete in derselben Firma. Als Vater Willi von seinem Versprechen, mit 65 Jahren seinen Söhnen Platz zu machen, nichts mehr wissen wollte, drohte ihm Michael mit seinem Weggang. Michael Pieper erinnert sich noch genau an die Antwort seines Vaters: «Sag mir, wenn du das Büro geräumt hast.»

Mit wenig Geld ging Michael Pieper nach Amerika, heiratete dort und arbeitete als Bankier. Als er nach sechs Jahren in die Schweiz zurückkehrte, holte ihn sein Vater erneut ins Unternehmen, diesmal zur Franke-Gruppe, die er 1975 seinem Freund Walter Franke abgekauft hatte. Dort solle er beweisen, dass er etwas tauge als Unternehmer. Gerade mal drei Jahre dauerte es, dann knallten die beiden Dickschädel erneut zusammen. Michael Pieper verliess das Unternehmen im Streit und gründete 1986 seine eigene Firma, ein Finanzinstitut in Zürich. Zwei Jahre danach sprach Willi Pieper bei seinem ältesten Sohn vor. Er liess einen Schuhkarton voller Aktien auf dessen Pult fallen und sagte: «Ich habe dir die Franke-Papiere überschrieben, du musst sie nur noch gegenzeichnen.» Bruder Ronald erhielt die Reppisch-Werke, eine Firmengruppe, die gemäss seinen eigenen Angaben in diesem Jahr einen Umsatz von etwas über 100 Millionen Franken erzielen werden. Schwester Beatrice, das dritte der Pieper-Kinder, sowie die beiden Brüder erhielten Kreuzbeteiligungen von je fünf Prozent an den beiden Gesellschaften, doch wurden diese Ende des vergangenen Jahres gegenseitig zurückgekauft.

1989 übernahm Michael Pieper die Führung bei Franke. «Das damalige Management war davon überzeugt, dass der neue Besitzer die Firma sofort wieder verkaufen werde», blickt Finanzchef Wolfgang Cach zurück. Zum Erstaunen aller entfaltete Michael Pieper jedoch sogleich eine grosse Geschäftigkeit. In einem atemberaubenden Tempo läutete der frischgebackene CEO eine rasante Expansionsstrategie ein. In kurzer Kadenz wurden Unternehmen akquiriert, die in das von Pieper entworfene Bild eines zünftigen Küchenbauers mit verwandten Dienstleistungen passten. Das Management riet zur Mässigung, zuerst sollten die Übernahmen konsolidiert werden. Andreas Hauswirth, Leiter Corporate Services: «Pieper hat dennoch das Akquisitionstempo nie zurückgenommen, und heute ist diese Rasanz zur Gewohnheit geworden.»

Unter der Ägide von Michael Pieper ist Franke stark gewachsen: Innerhalb von 16 Jahren hat sich der Umsatz mehr als verdreifacht, der Cashflow stieg um knapp das Vierfache (siehe unten «Drang zur Grösse»). Dagegen hat sich die Anzahl der Mitarbeiter unterdurchschnittlich um das Zweieinhalbfache erhöht, was auf die deutlichen Produktivitätsfortschritte hinweist. Das Wachstum wäre noch deutlicher ausgefallen, hätte Pieper nicht wenig versprechende oder nicht mehr zur Franke-Gruppe passende Aktivitäten wie das Grossküchengeschäft, das Badezimmergeschäft, den Metallbau und anderes verkauft. Denn der Perfektionist Pieper will in allen Disziplinen der Beste sein. Wenn er dieses Ziel nicht erreichen kann, wird die entsprechende Firma oft abgestossen. So geschehen mit dem Lenksäulengeschäft der einstigen Tochter Lanz Industrietechnik. «Als wir erkannten, dass Konkurrent Adval Tech dieses Geschäft weitaus besser betreibt und wir da nie die Besten werden, haben wir die Firma verkauft», sagt Pieper.

Beachtlich ist übrigens noch eine andere Zahl: Seit 1989 wurden runde 1,5 Milliarden Franken investiert – finanziert wohlgemerkt ausschliesslich aus dem eigenen Sack. Denn Michael Pieper hat sich einen der obersten Grundsätze seines Vaters zu Eigen gemacht: zuerst verdienen, dann ausgeben. Zwar ginge es auch in diesem Geschäft nicht ohne Bankschulden. «Doch netto haben wir weitaus mehr Guthaben bei den Banken als Verbindlichkeiten», beeilt sich der Franke-Lenker zu sagen. Diese Abneigung gegenüber Bankgeld wurzelt in alten Tagen. Vor Dekaden zog Piepers Grossvater aus Deutschland in die Schweiz. Der vermögende Einwanderer erwarb am Zürichsee eine Villa, die mit einer kleinen Resthypothek belastet war. Kaum war der Kaufvertrag unterzeichnet, kündigte die Bank dem Ausländer die Hypothek. Das hat zwei Pieper-Generationen geprägt.

Die Erhaltung der Finanzkraft des Unternehmens geht Pieper über alles. Jeder Franken, der aus der Firma abfliesst und nicht produktiv investiert wird, ist ein verlorener Franken. Diesem Credo ordnet er auch persönliche Ansprüche unter. Beispielsweise beim Lohn. Michael Pieper: «In der Konzernleitung beziehe ich das mit Abstand tiefste Salär», angeblich deutlich weniger als 300 000 Franken. Doch auch bei den Dividenden hält sich der Alleinaktionär zurück. Ausgeschüttet werden gegen drei Prozent des Gewinns, was exakt ausreicht, damit er die Steuern berappen kann. Zwar braucht die Familie nicht zu darben. Einige private Investments sowie diverse Verwaltungsratsmandate, so bei Swiss, Hero oder Forbo, bessern sein Gehalt merklich auf. Dennoch sieht sich Michael Pieper gerne in der Rolle des Rappenspalters.

Sparsamkeit ist seit Generationen eines der obersten Gebote in der Pieper-Familie. Eine Tugend, die Michael Pieper fast genüsslich, nicht ungern auch öffentlich zelebriert. Etwa wenn der Franke-Chef strahlend von seinem BMW erzählt, dessen Tacho gegen 300 000 Kilometer strebt. Die magische Grenze allerdings wird nie fallen, auch bayrische Wertarbeit überdauert keine Ewigkeiten. Das Auto ist zusammengebrochen, eigentlich Anlass genug, endlich ein neues Fahrzeug zu kaufen. Nicht für Michael Pieper – er fährt nun mit dem Audi seines Sohnes zur Arbeit.

Michael Pieper ist zwar sparsam, doch keinesfalls geizig. Im Gegenteil. Er kann ausgesprochen grosszügig sein, sei es in Belangen der Kultur, im Sport oder für karitative Zwecke. Und wenn Freunde um Hilfe anklopfen, lässt sich Pieper schnell erweichen. Denn für seine zwar nicht übermässig zahlreichen, dafür guten Freunde tut Michael Pieper fast alles. So vor einigen Jahren, als Moritz Suter, Freund und Pate des Sohnes von Michael Pieper, Risikokapital für die zu gründende rumänische Regionalfluggesellschaft Carpatair suchte. «Ich wollte einfach die jungen Leute unterstützen, die in einem Land mit schwierigen Rahmenbedingungen etwas Neues aufziehen wollten», erinnert sich Suter.

Offene Ohren fand der einstige Crossair-Gründer just bei jenen Investoren,
die einst auch zu den ersten Aktionären der Basler Fluggesellschaft zählten: Ikea-Stammvater Ingvar Kamprad beispielsweise, Bankier Thierry Lombard oder eben Michael Pieper. Diese Gruppe überwies rund zwei Millionen Franken in die rumänische Stadt Timisoara und erkaufte sich damit einen Anteil von 49 Prozent. 1999 nahm eine zehnköpfige Mannschaft die Flugverbindung zwischen der in Transsilvanien gelegenen rumänischen Stadt Cluj und dem italienischen Treviso auf.

«Dieses Engagement bin ich aus Sympathie zu Moritz Suter und dem lokalen Management eingegangen», meint Michael Pieper. Sympathie, die sich, wenn auch eher unverhofft, bezahlt gemacht hat. Nach den wichtigsten Kennzahlen befragt, meldet Nicolae Petrov, Präsident und CEO der Carpatair, unverhohlen stolz: 14 Saab-Flieger, 20 Routen, 52 Millionen Dollar Umsatz und 1,8 Millionen Gewinn. Und das nach gerade mal fünf Jahren. Da könnte sogar die Swiss noch etwas lernen. Piepers Anteil von 7,6 Prozent jedenfalls dürfte inzwischen einen Wert von gegen zwei Millionen Franken repräsentieren, was einer Versechsfachung des Einstandes entspricht.

Nach 16 Jahren mit Michael Pieper an der Spitze präsentiert sich Franke als Kraftpaket und führende Firmengruppe im internationalen Küchenbau (siehe Nebenartikel «Franke-Gruppe: Ein Unternehmen aus Stahl»). Die Gesellschaft ist in den meisten Tätigkeitsgebieten Marktführer oder die Nummer zwei. Doch Pieper mag nicht die zweite Geige spielen. Unter dem Schlachtruf «Konzentrieren und dominieren!» versucht er, überall zur Nummer eins zu avancieren. Deshalb wird munter weiterakquiriert. Bis ins Jahr 2010 erwartet Pieper eine Umsatzverdoppelung auf gut drei Milliarden Franken. Angesichts dieser Grössenordnung stellt sich Pieper die Frage, ob er überhaupt noch der richtige CEO für Franke sei. Gerade der Kraftakt bei Forbo, als er in seiner Rolle als Hauptaktionär den Verkauf des Unternehmens ins Ausland verhindern konnte, hätten ihm die Grenzen seiner Kraft vor Augen geführt. «Ich werde mit 80 bestimmt nicht mehr hier sitzen», verspricht der 59-Jährige.

Michael Pieper hat zwei erwachsene Kinder; dennoch ist die Nachfolge innerhalb der Familie offen. Die 23-jährige Tochter studiert in München an der Schule für Design und Mode. Der 21-jährige Sohn absolvierte eine Lehre im Metallbau und wurde im vergangenen Herbst vom Vater für ein Jahr in einen Franke-Betrieb in die USA geschickt. Für Michael Pieper ist eines klar: «Franke ist viel zu wertvoll, als dass mein Sohn oder meine Tochter morgen alles erbt und CEO wird. Sie müssen sich zuerst extern bewähren und Erfolge nachweisen können.»

Bleibt zu hoffen, dass Michael Pieper wirklich eines Tages bei Franke loslassen kann. Sonst wiederholt sich am Ende die Geschichte.