BILANZ: Wir zitieren aus einem Communiqué: «Peter Bamert ist der ideale Nachfolger von Philippe Gaydoul, freut sich …» Wer hat sich da gefreut? Dieter Berninghaus: Natürlich haben wir uns gefreut. Nach nur zwölf Monaten warfen Sie die «ideale Besetzung» wieder hinaus. Leider hat das Engagement nicht länger gedauert. Dieser Personalabgang war kein Spontanentscheid, wir haben lange gemeinsam diskutiert, schliesslich sind wir zum Entscheid gelangt, dass wir uns im gegenseitigen Einvernehmen trennen. Bamert war früher Ex-Libris-Chef, kam also nicht aus dem Food-Geschäft. Man hätte vorgewarnt sein müssen. Ich kann mich hier nicht zum aktuellen Fall äussern. Grundsätzlich ist es so: Wer ein Food-Unternehmen führt, steht vor einem Puzzle, das aus 1000 strategischen Einzelteilen besteht. Setzt man es zusammen, muss es ein sinnvolles Bild ergeben. Wenn man aber bei zu vielen Einzelteilen unterschiedliche Meinungen hat, kann sich kein passendes Gesamtbild ergeben. Wann präsentieren Sie den neuen Denner-Chef? Wir haben noch keinen Nachfolger und stehen nicht unter Druck. Die Denner-Geschäftsleitung hat das operative Geschäft im Griff. Das Massnahmenpaket für die nächsten Monate ist definiert. Für mich steht eine passende CEO-Wahl im Vordergrund, nicht der Zeitpunkt. Denner-Chef ist ein Topjob im Detailhandel. Wie viele Kandidaten gibt es? Der Job ist sehr gefragt. Wir werden von Direktbewerbungen regelrecht überflutet, bis dato haben sich gegen 30 Manager gemeldet, die sich für den Posten des Denner-Chefs interessieren, darunter sind auch zwei Journalisten. Valable Kandidaten? Keine Ahnung, die Leute müssen in einem professionellen Auswahlprozess eingeordnet werden. Der neue Denner-Chef muss zweifellos Food-Erfahrung haben. Ein Deutscher sei Favorit, hört man. Die Nationalität steht nicht im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, ein Unternehmen zu führen, das eine ganz besondere Geschichte und eine wichtige Funktion für die Konsumenten hat. In sechs bis acht Monaten wird entschieden. Wie wäre es mit einem Aldi- oder Lidl-Manager, ein paar sind auf dem Markt? Die kommen eher nicht in Frage, weil diese Leute es gewohnt sind, ein Unternehmen nur über ein Instrument zu positionieren – über den Preis, das ist eine sehr eindimensionale Strategie. «Der Schweizer Discounter», heisst der Slogan von Denner – also Tiefpreise. Aber eben nicht nur! Die Marke Denner muss mit viel Feingefühl geführt werden. Sie ist zwischen Aldi und Lidl, zwischen Coop und Migros positioniert. Mit 770 Standorten ist man sehr nahe beim Verbraucher, dann hat man neben den eigenen Filialen noch 330 Franchisenehmer. Denner hat eine klare Tiefpreispolitik, aber ein erstklassiges Weinsortiment, das auch hochpreisige Produkte einbezieht. Der neue Chef muss wissen, wie man ein Unternehmen positioniert, das traditionell als Vorkämpfer für den Schweizer Verbraucher auftritt. Das heisst, Denner ist ein spannendes, hochkomplexes Unternehmen. Das Motto kann also nicht nur sein: Preis runter, Preis runter, Preis runter. Vielmehr muss man mit viel Souplesse schnell agieren können. Ein Preis-Klopper bringt zu wenig mit. Der frühere Chef des Discounters Penny, Armin Rehberg, sucht einen Job. Die deutsche Penny hat eine andere Positionierung als Denner. Nein, Rehberg ist kein Kandidat, er würde auch nicht ins Salärprofil der Schweiz passen. Kommt ein ausländischer Branchenfachmann überhaupt in Frage, zumal die Löhne im Ausland zwei- bis dreimal höher sind als bei Migros oder Denner? Wer diesen Job kriegt, macht dies nicht nur wegen des Geldes, sondern muss sich auch mit der Firma total identifizieren. Man geniesst grosse Freiräume und unterliegt kaum einer Konzerndisziplin – im Gegensatz zu deutschen Discountern wie Penny oder Netto, wo Logistik und Einkauf mit der Muttergesellschaft synchronisiert sind. Denner agiert im Gegensatz stark autonom. Das Salär ist bei dieser attraktiven Führungsaufgabe nur eine Komponente unter anderen. Sie sind neben Denner auch für Interio zuständig. Den Denner-Chef schickten Sie nach zwölf, jenen von Interio nach achtzehn Monaten. Stehen Sie für das Prinzip Hire and Fire? An mein Departement Handel sind zehn Unternehmen angeschlossen, das heisst, zehn Unternehmensleiter sind mir direkt unterstellt. Von diesen zehn Leuten sind innerhalb von drei Jahren zwei ausgewechselt worden. Von einer hohen Fluktuation kann wohl keine Rede sein. Und von den rund 60 Geschäftsleitungsmitgliedern sind in den letzten drei Jahren fünf oder sechs ausgewechselt worden. Auch da ist die Fluktuationsrate tief. Interio verliert seit Jahren Marktanteile, 2010 waren es 1,9 Prozent. Konkurrent Ikea legte um 3,6 Prozent zu. Ist Interio ein Dauer-Sanierungsfall? Nein, aber Interio hat einen Repositionierungsbedarf, denn Einrichtungshäuser waren und sind in einem schwierigen Segment. Man ist nicht so billig wie Ikea. Zudem hat Interio einen wichtigen Trend im Möbelbereich verpasst – mehr Emotionalität in den Filialen und im Sortiment. Interio stand früher für ein Lebensgefühl, das müssen wir wieder rüberbringen. Und wann soll es aufwärtsgehen? Wir sind daran, die Häuser emotional aufzuladen. Bei Interio Dübendorf machen wir einen ersten Pilotversuch, dann werden die nächsten Häuser umgestellt. Dieses Jahr sind es vier bis sechs, nächstes Jahr die übrigen. Wir haben schon viel konzeptionelle Vorarbeit geleistet. Das soll sich in den nächsten 12 bis 24 Monaten in Zahlen niederschlagen, das ist der Anspruch. Migros operiert im Einrichtungsbereich mit vier Marken: Interio, Micasa, Depot und Depot-Interio. Wer soll das noch verstehen? Vielleicht begreifen Sie das nicht. Aber der Unterschied zwischen Micasa und Interio ist jedem Verbraucher klar. Beide sind zwar günstig. Micasa steht für familienorientiertes Wohnen, während Interio einen höheren Designanspruch hat. Und Depot-Interio? Das ist ein Accessoires-Geschäft. Das Kerngeschäft von Interio ist aber das Einrichtungshaus Interio. Damit machen wir 90 Prozent des Umsatzes, das sind über 250 Millionen Franken. Die Depot-Interio-Läden laufen nicht gut, heisst es. Wir sind zufrieden und expandieren weiter. Das ist sehr erfreulich. Trotzdem: Die Boutiquen sind für uns in der Schweiz nicht der Hauptfokus. Hier reden wir von nicht einmal 30 Millionen Umsatz. Sehen wir über die Grenzen hinaus, sieht das allerdings ganz anders aus. Dort ist Depot das am schnellsten wachsende Non-Food-Konzept im deutschsprachigen Raum. 2010 haben wir 80 Läden eröffnet, dieses Jahr werden es wieder 80 sein. Vom Markt kriegen wir ein unheimlich positives Feedback. Derzeit haben wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz 220 Läden. Wir geben Vollgas. Migros ist Minderheitsaktionär, Depot-Gründer Christian Gries hält 51 Prozent. Das ist absolutes Teamwork zwischen den Gesellschaften. Christian Gries lenkt die Expansion, wir organisieren das Wachstum. Zudem haben wir klare Abmachungen für die Zukunft. Ein Vorkaufsrecht? Wir haben mit Christian Gries einen klar definierten Fahrplan, der vorsieht, dass wir schrittweise unseren 49-Prozent-Anteil erhöhen. Migros übernimmt die Mehrheit? Ja, es war von Anfang abgemacht, dass es klare Verhältnisse gibt und die Migros die Mehrheit übernimmt. Die Kooperation mit Christian Gries macht echt Spass. Derzeit diskutieren wir über ein riesiges Logistikzentrum in der Nähe von Frankfurt, die Dimensionen sind gewaltig: rund 200 000 Palettenstellplätze, über 200 Meter lang und 40 Meter hoch. Auch die Tankstellenshops Migrolino sind Ihnen unterstellt. Ja, das ist für die Migros eine schöne Wachstumsgeschichte. Migros-Konzernchef Herbert Bolliger will, dass Sie 2011 die Pronto-Shops des Konkurrenten Coop einholen. Wir haben innert zweier Jahre 164 Läden eröffnet, das ist eine tolle Teamleistung. Natürlich geben wir Gas mit neuen Läden, wir wollen die Marktführerschaft angreifen. Dieses Jahr machen wir wiederum 20 bis 30 neue Filialen auf. Macht 190 Shops. Coop hat bereits heute 229 Pronto-Läden. Das stört mich nicht. Bei Convenience-Shops ist die Qualität des Konzepts entscheidend, da sind wir jetzt am Optimieren. Bezüglich der Sympathiewerte und der Glaubwürdigkeit sind wir ohnehin absolut Spitze. Ob wir 2011, 2012 oder 2013 mehr Standorte als Coop haben, ist für mich sekundär. Wir wollen das beste Konzept haben. Daran arbeiten wir. Dazu gehört, dass wir die Migrolino-Aktivitäten geografisch bündeln. Deshalb bauen wir in Suhr AG ein Logistikzentrum auf, auch die Migrolino-Zentrale wird von Bern dorthin verlegt. Künftig soll Migrolino zentral geführt und die ganze Wertschöpfungskette selbständig abgedeckt werden. Eine weitere Baustelle ist M-Way. Das ist ein Pionierprojekt. Vor drei Monaten haben Sie das Konzept präsentiert, die Plattform für Elektromobilität. Wie viele Elektroautos Think City für 39 000 Franken sind verkauft? Meine Herren, das ist genau die falsche Frage. Dann können Sie uns sicher sagen: Wie viele Elektro-Scooters haben Sie verkauft? Sie gewähren derzeit auf diesem Angebot 20 Prozent Rabatt, das tönt nicht nach Verkaufserfolg. Wenn Sie es genau wissen wollen: Wir haben rund 50 Elektroautos verkauft. Bei M-Way geht es aber um mehr als nur um den Verkauf von Elektromobilen. Sie sind doch Verkäufer und wollen Geld verdienen. Zwischen dem Machen von schnellem Geld und einem Unternehmer gibt es einen Unterschied, ich sehe Migros in der Rolle des langfristig ausgerichteten Unternehmers. Wir haben uns vor drei Monaten entschieden, diese Mobilitätsplattform aufzubauen, und einen ersten Laden eröffnet. Nun haben wir drei Monate hinter uns, und Sie fragen: Wie viel haben Sie von diesem und jenem Produkt verkauft? Das ist nicht unser Ansatz. Sie wollen nicht verkaufen? Nochmals: Wir gleisen hier ein Pionierprojekt auf. Und weil wir im Migros-Konzern eingebettet sind, haben wir den Vorteil, bei so zukunftsweisenden Projekten nicht vom ersten Tag an darauf schauen zu müssen, was unter dem Strich herausschaut. Was ist denn das Pionierhafte an M-Way? Mobilität und erneuerbare Energie sind Themen, die uns alle zukünftig noch mehr betreffen werden. Deshalb haben wir uns entschieden, diese Themen mit M-Way aufzugreifen und neue Alternativen für die Schweizer Konsumenten zu entwickeln. Wir wollen nicht Autoverkäufer sein, sondern eine Idee entwickeln, die über den Autoverkauf hinausgeht. M-Way soll eine Innovationsplattform für Elektromobilität sein. Wie ein Fachmarkt möchten wir ein breites Angebot von Produkten anbieten, die man kaufen, leasen oder teilen kann. Wir suchen nach visionären Wegen. Wie gross ist das Investment? Wir bauen jetzt eine Produktpalette auf, streben Partnerschaften an, suchen nach innovativen Konzepten wie Zwei-Rad- oder Vier-Rad-Sharing. Wir sind überzeugt, dass sich die Mobilität verändern wird. Ich weiss nicht, ob meine Kinder einmal ein Auto mit möglichst vielen PS erwerben. Vielleicht sind sie in Zürich mit dem Elektro-Scooter unterwegs, fliegen nach Berlin und fahren dort mit einem Vier-Rad-Elektroauto oder einem Elektro-Bike herum. Jedenfalls werden sie ganz anders denken als wir heute. Wie viel lässt sich die Migros dies kosten? Das Investment bewegt sich in überschaubarem Rahmen. Wie gesagt: Wir belegen das Thema Elektromobilität und wollen mutig sein. Und wenn es nicht schnell genug geht, gibt es sicher Kritik von Ihnen. Klar, wer Quartalsgewinne optimiert, wird es sein lassen. Wir aber sagen: Jetzt versuchen wir einmal etwas. Dieser Pioniercharakter ist typisch für die Migros. Auch bei der Einführung der Klubschulen, der Golfplätze oder der Fitness-Parks ist die Migros pionierhaft vorangegangen. Auch wenn Sie die Frage überflüssig finden: Wann soll M-Way rentabel sein? In vier bis sechs Jahren soll der Breakeven-Punkt erreicht werden. Entscheidend ist, dass auf der Ausgabenseite exakt geplant wird. Das Investment darf nicht aus dem Ruder laufen, die Einnahmen sind schwieriger zu prognostizieren. Das Angebot ist gut. Diese Woche war ich mit Scooter und Elektroauto unterwegs. Ihr Eindruck? Der Think ist ein cooles Stadtauto. Klein, schnell, und man kann im Wagen super telefonieren, weil er keine Geräusche macht. Mit oder ohne Freisprechanlage? Mit, natürlich. Der Chefhändler Der Betriebsökonom Dieter Berninghaus (45) kennt den Detailhandel aus dem Effeff. 1992 begann er bei der Metro in Zug, dann wechselte er zu Rewe nach Köln. 2004 musste er als CEO zurücktreten. 2006 holte ihn Denner-Chef Philippe Gaydoul als Berater. Nach dem Denner-Kauf durch die Migros stieg er 2008 bei der Migros-Konzernleitung ein. Er ist verantwortlich für Denner, Migrol, Migrolino, Globus, Interio, Ex Libris, Office World und LeShop.ch. Berninghaus ist Vater von zwei Söhnen.
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