Seit dem frühen Morgen stehen die beiden Jungs am Bahnhof Buchrain. Die Aufgabe der zwei Nummern-Boys: Den Menschen den Weg zeigen zur Mall of Switzerland. Heute ist die monumentale Anlage nach über 15 Jahren Planungszeit eröffnet worden.

Mit seiner Fläche von 65'000 Quadratmetern steht der Zentralschweizer Konsumtempel von Tag eins an als zweitgrösstes aller 198 Schweizer Shopping-Centers da.

17 Prozent der Flächen noch leer

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Was bietet die 450-Millionen-Franken-Kiste? Sie bietet ein gutes Einkaufserlebnis: Hohe Decken, ein wuchtiges Glas-Top, hochwertige Materialien und so genannte «jumping facades». Das sind vor- und zurückspringend angelegte Ladenfassaden, die den Kunden das Gefühl eines Einkaufsbummels in einer Altstadt geben sollen.

Das Shopping-Gefühl wird dabei nicht gestört vom Fakt, dass erst 83 Prozent aller Flächen vermietet sind. Die Designer haben es geschafft, noch leere Flächen gut zu kaschieren.

1000 Läden in Schweizer Shopping-Centers gefährdet

Was die Branche der Shopping-Centers nicht kaschieren kann: Ihr droht, mindestens im angestammten Bereich der Detailhandelsvermietungen, eine trübe Zukunft. Im «Shopping Center Marktreport», der morgen erscheinen wird, steht es klar und deutlich. 275 befragte Experten, Händler, Investoren und Berater gehen davon aus, dass in den nächsten fünf bis acht Jahren rund 1000 der aktuell 5350 Läden in Schweizer Shopping-Centers schliessen werden. Weil Online boomt. Weil die Händler ihre Ladennetze straffen. Und dazu noch bestehende Flächen verkleinern.

Marcel Stoffel, Geschäftsleiter des Branchenverbands Swiss Council of Shopping Centers und Autor des «Shopping Center Marktreports», glaubt bezüglich der düsteren Prognose nicht an Schwarzmalerei: «Das ist als realistisch einzustufen. Viele der 198 Schweizer Shopping-Centers müssen sich mit dem Thema Umnutzung befassen. Oder an der Positionierung hin zum Themen-Center arbeiten: Das Einkaufszentrum als Sport-Spezialist, als Einrichtungshaus, als Food-Tempel.»

Stoffel sieht eine Welle von Umnutzungen und Revitalisierungen auf die Shopping-Center-Schweiz zukommen. Das könne kurzfristig schmerzhaft sein, sei aber der einzige Weg: «Umnutzung und Revitalisierung wird in den nächsten Jahren gewaltige Ausmasse annehmen, das Stücki in Basel gibt einen Vorgeschmack.» In diesem Basler Center wurde der abwandernde Detailhandel mit einer Megaplex-Kinoanlage ersetzt.

Low-Digital-Mall

Auch in der Mall of Switzerland rückt man das Wort «Shopping Center» in den Hintergrund. Lieber spricht Center-Manager Jan Wengeler von einer «Familien- und Freizeit-Destination». Und auch hier spielt ein riesiger Kino-Komplex eine Hauptrolle.

Was in der Mall of Switzerland – wenn man sie etwa mit den Shopping-Center-Ideen von Alibaba in China vergleicht – eine weniger wichtige Rolle spielt: Digitalangebote, die hausübergreifend zum Einsatz kommen. Ja, da ist eine interaktive Info-Wand, die auf Fingerdruck den Weg zu den Läden zeigt. Ja, da ist eine Garderobe, die sich mit dem Swiss Pass öffnen und schliessen lässt. Und ja, da sind smarte Umkleiden, die sich mit einem Video-Hintergrund individuell einstellen lassen. Aber viel mehr Digitalia ist da nicht.

Digital vs. Erlebnis

Wie digital soll ein Schweizer Einkaufszentrum heute sein? Die Branche ist sich uneins. Eine klare Meinung dazu hat Dirk Morschett, Professor an der Universität Fribourg und E-Commerce-Experte. Statt Shopping-Centers digital hochzuzüchten und über die ganze Mieterschaft hinüber für teures Geld eine Digital-Plattform zu errichten, sollten Einkaufszentren besser ihre analogen Qualitäten ausspielen und vorbereitet sein auf neue Mieter – weil die bestehenden Mieter oftmals ihre Netze straffen und Flächen verkleinern: «Einkaufszentren sollten die Faktoren Emotion, Personal und Beratung ausspielen. Wo Mieter aus dem klassischen Detailhandel wegfallen, muss man sich um Nachfolger aus dem Freizeit-Bereich kümmern. Freizeit funktioniert.»

Tatsächlich hat sich auch der Mall-of-Switzerland-Center-Manager Jan Wengeler «Erlebnisse» auf die Fahne geschrieben. Nach dem ersten Tag muss die Mall nun dafür sorgen, dass die Erlebnis-Dichte stimmt. Dass die restlichen Flächen attraktive Mieter finden. Und vor allem, dass die Leute kommen.

Ende 2018 wird man eine erste Zwischenbilanz ziehen können. Die zwei Nummernboys vom Bahnhof Buchrain sind nur noch bis Samstag da.

Andreas Güntert
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