Good morning, America. Die Schweizer Implantatefirmen Nobel Biocare und Straumann sind im Anflug. Hotel Marriott in Chicago – hier will Straumann diesen Frühling die Kundschaft für sich begeistern; ein paar Wochen später, Ende Juni, ist Nobel Biocare an der Reihe. Der Konkurrent setzt auf die feinste Adresse New Yorks: Hotel Waldorf Astoria, Park Avenue. «Grossartige Redner» verspricht CEO Richard Laube für das Nobel Biocare Global Symposium 2013. Und: «Unsere Gäste werden den Anlass geniessen.»

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Die Aktionäre der Implantatefirma auch?

Die Show im Luxushotel mit über 100 Rednern wird Millionen verschlingen und dem schwindsüchtigen Firmenwert kaum neues Gewicht verleihen. Das aber wäre dringend notwendig. Dies weiss keiner besser als Gastgeber Laube. Bei seinem Amtsantritt im Mai 2011 kaufte er persönlich für zwei Millionen Franken Nobel-Biocare-Aktien. Eine schöne Geste, die Aufbruch und Zuversicht symbolisieren sollte. Das Ergebnis: Laubes Investment hat sich unter seiner Führung gut halbiert.

Auch Chicago-Fahrer Straumann ist unter Druck. Kürzlich musste CEO Beat Spalinger sein Büro räumen. Nachfolger Marco Gadola soll dem Weltmarktführer frische Fantasie einhauchen. Trotz Glamour in den USA: Es steht schlecht um die beiden weltweiten Leader in diesem exklusiven Medtech-Nischenmarkt, der auf 3,5 Milliarden Franken geschätzt wird.

Innovationen nicht in Sicht

Es ist ein Fall wie aus dem Lehrbuch: Während Jahrzehnten trieben Straumann und Nobel Biocare den Markt, bestimmten Innovationsrhythmus und Pricing – und fuhren dabei operative Traummargen von gegen 34 Prozent ein. In den letzten Jahren hat sich der Markt fundamental verändert: Billiganbieter, deren Zahl sich fast täglich erhöht, machen den verwöhnten Premiumanbietern im Hauptmarkt Europa das Leben schwer.

Implantate sind heute eine Commodity, bahnbrechende Innovationen, die Zahnärzte in den Bann ziehen, sind nicht in Sicht. Zudem ist Nobel Biocare mit komplexen Produkten in der umfassenden Gebissrestauration stark, während Straumann bei den Einzelimplantaten regiert. Diese sind – im Gegensatz zu den teuren Gebissbehandlungen – krisenresistenter. Doch selbst hier weichen die Patienten oft auf einfache Brücken aus. Kurzum: Ein neues, robustes Geschäftsmodell muss her, für Nobel Biocare wie für Straumann. Und ein zupackendes Management obendrauf.

Die De-luxe-Kostenstruktur der beiden Premiumanbieter drückt bedrohlich auf die Renditen. Experten schätzen, dass bei den beiden 10 bis 20 Prozent zu holen seien, bei Nobel Biocare mehr als bei Straumann.

Immerhin, Straumann hat auf die Fundamentalkrise vor ein paar Monaten reagiert und ein Kostensenkungsprogramm aufgelegt. Damit soll der Betriebsgewinn bis in zwei Jahren 40 Millionen Franken höher ausfallen. Mit der «Vision 2020» präsentierte CEO Beat Spalinger eine Road Map bis ins kommende Jahrzehnt.

Nobel-Biocare-Chef Laube, bis 2010 Nestlé-Topmanager und als Chef der Division Nutrition der Herr des Functional Foods, verkannte die dentale Metamorphose zu lange. In der Annahme, die Branche leide bloss unter einer Konjunkturschwäche, baute er das Personal um 4,7 Prozent aus, während der Umsatz schrumpfte. Mit entsprechender Kostenfolge. Ein Mitbewerber, der beide Firmen kennt: «Straumann hat die Dramatik der Lage erkannt – Nobel nicht.»

Zu selbstbewusst

Noch vor einem Jahr kündigte Laube Investitionen von 20 bis 25 Millionen an, und in einem seiner raren Interviews letzten Sommer sagte er hoffnungsfroh: «Das Unternehmen ist auf Kurs, und das spiegelt sich allmählich auch in der Aussenwahrnehmung.» Weiter hielt er eine Wachstumsrate «im oberen einstelligen oder sogar im tiefen zweistelligen Bereich» für realistisch. Branchenkenner staunten ob so viel Optimismus.

Etwas anders tönte es bei den Analysten von Morgan Stanley letzten Dezember: «Preise und Volumen werden bei den Premiumanbietern noch stärker unter Druck geraten.» Die Margen im Premiumsegment stiegen nur in Kleinstschrittchen, ist Morgan Stanley überzeugt. Ein bedrohliches Szenario, das da beschrieben wird. Die Ebit-Margen von Nobel Biocare und Straumann haben sich in den letzten sieben Jahren bereits halbiert (siehe Grafik «Schrumpfende Margen» unter 'Downloads'). Wie Laube seine angekündigte Wachstumsstrategie in einem stagnierenden und heiss umkämpften Markt umsetzen will, ist zumindest von aussen nicht einsichtig. Für ein klärendes Hintergrundgespräch stand er im Vorfeld der Quartalszahlen nicht zur Verfügung.

Die Ungeduld rund um die Firma ist mittlerweile gross. Das zeigt das Beispiel des früheren Industriemanagers und Aktionärs Oskar Ronner, der gegen drei Prozent an Nobel Biocare hält. Der ehemalige Elektrowatt-Chef will sich im Frühling in den Verwaltungsrat wählen lassen und für Remedur sorgen. Der Grossaktionär ist sauer: «Es ist mir schleierhaft, wie der einstige Dentalimplantatepionier in nur fünf Jahren die Weltmarktführerschaft an Straumann verlieren konnte.»

Nun sei es «höchste Zeit für einen Turnaround», sagte der Branchenkenner, der jahrelang im Verwaltungsrat von Konkurrent Straumann sass, gegenüber der «Finanz und Wirtschaft». Derzeit ist der unzufriedene Aktionär mit dem Nomination Committee unter VR-Präsident Rolf Watter im Gespräch. Der VR wird schliesslich eine Wahlempfehlung abgeben müssen. Ronner, der derzeit nicht mit der Presse reden will, hat offenbar Grosses vor. Er könne sich durchaus vorstellen, früher oder später das VR-Präsidium von Watter zu übernehmen, habe er in Londoner Finanzkreisen erzählt.

Selbst im eigenen Kader wächst die Skepsis: Laube sei analytisch stark, intelligent, aber entscheidungsschwach und introvertiert; ihm gehe auch das Charisma ab, das seine Vorgänger Domenico Scala und vor allem Heliane Canepa versprühten.

Klinkenputzen gefragt

Ein Tiefpreisanbieter, der mit Vorliebe Nobel-Biocare-Kunden anpeilt, berichtet, Scala habe früher persönlich zum Telefonhörer gegriffen, um einen Zahnarzt vor dem Absprung zur Konkurrenz zu immunisieren oder mit einem Gegenangebot zu ködern. «Laube dagegen sind wir beim Kampf um Kunden noch nie begegnet», sagt der Konkurrent, der mit wachsendem Erfolg in Nobel-Biocare-Stammlanden wildert.

Die Lehre für jeden Chef: Bei den beiden Marktleadern Nobel Biocare und Straumann, im fragmentierten Implantatemarkt eigentlich zwei Biotech-Boutiquen, sind Klinkenputzen bei Key Accounts und Hands-on-Führung gefragt. Aber sicher keine hochtrabenden Marketing-Exkurse im Stil von Big Corporate. Schon gar nicht bei den standesbewussten Zahnärzten, die langfristige Fachbeziehungen schätzen.

Kommunikationsfähigkeit und Charisma gingen Straumann-Chef Spalinger ab, der Anfang Jahr unsanft vor die Türe gesetzt wurde. Sein Schicksal könnte mittelfristig auch Laube blühen. Gelingt es dem Nobel-Biocare-Chef nicht, in den nächsten sechs Monaten die Schubumkehr einzuleiten, sind seine Tage gezählt.

Für Ersatz ist gesorgt. Im Frühling soll Franz Maier, ehemaliger globaler Vertriebschef von Konkurrent Straumann, in den Verwaltungsrat von Nobel Biocare gewählt werden. So beantragte es der Verwaltungsrat unter Präsident Watter. Ein spannender Vorgang, der intern mit grösstem Interesse verfolgt wird. Maier, ein zupackender Bayer, der einst für Wella und für Procter & Gamble wirkte, kennt das Implantategeschäft à fond. Zudem ist er mit 48 Jahren fast zehn Jahre jünger als CEO Laube. «Maier ist das Back-up im Verwaltungsrat, falls Laube als CEO fallen gelassen wird», sagt ein Nobel-Biocare-Manager. Sicher ist: Der vom Verwaltungsrat portierte Maier steigert den Druck auf Laube weiter. Eine Erinnerung wird wach: Domenico Scala war zuerst gewöhnliches Verwaltungsratsmitglied, bevor er Heliane Canepa als CEO ablöste.

Reagiert auf die dramatischen Umwälzungen hat Straumann-Chef Spalinger in seiner knapp dreijährigen Regentschaft. Doch er blieb der Zahlenmensch, der er bereits bei der Flughafen Zürich AG war. Keine guten Voraussetzungen für einen CEO, der eine Firma in stürmischer Zeit neu ausrichten und die Führungscrew auf seine Prinzipien einschwören sollte. Ab April wird Marco Gadola den Chefposten Spalingers übernehmen. Gadola sei eine «mitreissende Führungs- und Unternehmerpersönlichkeit», begründete Straumann-Präsident Gilbert Achermann den Chefwechsel.

Innovationen gesucht

Spalinger hat immerhin den Weg vorgespurt. Er lancierte ein Sparprogamm, kaufte sich beim brasilianischen Hersteller Neodent ein. Dies war zwar eine sündhaft teure, aber strategisch sinnvolle Akquisition. Die Brasilianer agieren im wachsenden Low-Cost-Segment mit Ebit-Margen von über 20 Prozent. Straumann und Nobel Biocare müssen sich bei höherem Preisniveau mit 12 bis 15 Prozent begnügen.

Beide High-End-Anbieter stecken in der strategischen Zwickmühle. Sie fürchten sich vor der Kannibalisierung durch eigene Billigprodukte, doch der klassische Markt siecht derzeit vor sich hin. Um sich von der aufsässigen Billigkonkurrenz zu differenzieren, wären endlich zündende Marketing- und Produktideen gefragt. Doch die Pipeline ist wenig verheissungsvoll. Ausgereifte Keramikimplantate etwa wären ein Technologiesprung, zumal sie ästhetisch ansprechend und biologisch verträglich sind. Straumann führt zwar ein Teil-Keramik-Implantat im Sortiment. Doch der Durchbruch ist bislang weder den Baslern noch den Zürchern geglückt. Und auch bei der Behandlungsmethode Chair Side Milling, bei welcher der Zahnarzt direkt am Patienten Kronen und kleine Brücken endfertigt, ist Straumann nur teilweise, Nobel Biocare gar nicht dabei.

Laubes Truppe kämpft an einer weiteren Front: Manche seiner Kunden verabschieden sich in die Pension. Ihre jungen Nachfolger sind illoyaler und preissensibler. Straumann dagegen ist dank der Stiftung International Team for Implantology (ITI), einer Kreation von Firmengründer Fritz Straumann, perfekt aufgestellt. Das ITI, ein Netzwerk und ein Think Tank, spielt den Baslern permanent neue Kunden in die Kartei. Ein tolles Instrument zur Zahnarztakquise, das Nobel Biocare schmerzlich fehlt. Deren Asset waren die Innovation und das aggressive Marketing, das Heliane Canepa bis zur Perfektion trieb. Die letzte grosse Innovation, NobelActive, geht auf das Jahr 2007 zurück.

Diesen Nachteil will Laube mit dem millionenteuren Nobel Biocare Global Symposium im New Yorker «Waldorf Astoria» kompensieren. Bei beidem, weiss er, geht es schliesslich um Funktion und Ästhetik.