Noch mehr schlechte Presse für die Hersteller von Hormonen: Laut einer neuen Studie haben Frauen, die während der Menopause synthetische Hormone nehmen, ein grösseres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, als Frauen, die das nicht tun.

Die Autoren der am Wochenende im Wissenschafts-Journal «The Lancet» veröffentlichten Studie zogen Daten aus Dutzenden von Studien zusammen – mit insgesamt knapp 110'000 Frauen, die nach der Menopause Brustkrebs entwickelt hatten. Und von denen wiederum 55'000 (oder 51 Prozent) menopausale Hormontherapien durchlaufen hatten.

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Der Befund: Hormontherapien, ob Pille oder Spritze, korrelieren mit einem höheren Brustkrebsrisiko. Mehr noch: Je länger die Therapiedauer, desto höher das Risiko.

In Zahlen: Von den Frauen, die auf Hormontherapien verzichteten, entwickelten 6,3 Prozent Brustkrebs, bei den therapapierten Frauen waren es 8,3 Prozent. Das entspricht einem Brustkrebsfall mehr pro 50 Hormonpatientinnen. 

Parallelen, keine Kausalität

Wichtig ist: Die Studie vermag keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Hormonen und Brustkrebs herstellen. 

Die Untersuchung bestätigt die Resultate der bis anhin massgebenden Studie der Women’s Health Initiative (WHI), einer Initiative der amerikanischen Regierung zur besseren Erforschung der Gesundheit älterer Frauen. Die WHI-Studie, die gemäss dem Goldstandard der wissenschaftlichen Forschung als randomisierte Doppelblindstudie aufgesetzt war, hatte 2002 wie eine Bombe eingeschlagen. 

Die Folgen waren enorm: Millionen von Frauen setzten in der Folge weltweit ihre Hormontherapien ab, die Umsätze der Hersteller von Hormonen sackten um die Hälfte ab.

Seither gelten Hormone in der Industrie als Reputations- und Rechtsrisiko. Die Folge ist ein Teufelskreis: veraltete Medikamente, kaum Forschung und also auch keine Chance auf neue, bessere Medikamente.

Unternehmen meiden Geschäft mit Hormonen

Immer mehr Unternehmen aus dem Geschäft mit den Hormonen zurückzogen. Die Unternehmen, die noch eine namhafte Franchise in Frauenheilkunde haben, lassen sich heute an einer Hand abzählen.

Führend ist, mit einem Umsatz von 2,7 Milliarden Dollar 2018, die deutsche Bayer; gefolgt von der amerikanischen Merck (2,5 Milliarden Dollar), Amgen (2,3 Milliarden), Eli Lilly (1,6 Milliarden) und Pfizer (1,6 Milliarden). 

Die Gynäkologie entwickelte sich zur pharmazeutischen Brache. Dies, obwohl sich die Autoren der WHI-Studie später von allzu vereinfachenden und negativen Interpretationen distanzierten – und auch wenn Folgestudien in den Jahren danach die Risiken wieder etwas relativierten.

So kam eine Studie von 2017 zum Schluss, dass Frauen, die Östrogen oder eine Kombinationstherapie mit Östrogen und Progesteron nahmen, kein höheres Sterberisiko hatten als solche, die keine Hormone nahmen – Krebsrisiko mit inbegriffen. Zudem wurden die positiven Folgen von Hormontherapien wieder stärker in den Vordergrund gerückt – zum Beispiel, dass Frauen, die Hormone nehmen, ein geringeres Risiko haben, an Osteoporose zu erkranken

Wie sich die neue Studie in der Verschreibungspraxis auswirken wird, bleibt abzuwarten. Bruno Imthurn, Hormonspezialist und Klinikdirektor am Zürcher Unispital USZ, schreibt auf Anfrage: Die Studie bestätige den Befund von 2002, wonach das Risiko von Brustkrebs erhöht sei;  die «Risikoveränderung» erscheine zwar nochmals etwas vergrössert. Aber weil es sich um eine qualitativ schlechtere Beobachtungsstudie handelt, bleibe die WHI-Studie von 2002 der Benchmark.

Keine Forschung, alte Medikamente – ein Teufelskreis

Demgegenüber zitierte der amerikanische Pharma-Nachrichtendienst «Stat», der die Studie aufgriff, Joanne Kotsopoulos. Die Brustkrebsforscherin am Women’s College in Toronto meinte: «Die Resultate sind signifikant.» Kotsopoulos war nicht in die Studie involviert. «Es ist eine Balance, jede Frau ist anders, doch das Risiko für Brustkrebs ist hoch.»

Zu befürchten ist: Die Studie dürfte wenig geeignet sein, der Pharmaforschung in Sachen Hormone wieder auf die Sprünge zu helfen. Doch genau das bräuchte es, damit neue, weniger risikobehaftete Hormone auf den Markt kommen.

Das sind schlechte Nachrichten für alle Frauen, die so stark unter Wechseljahrbeschwerden leiden, dass ihre Lebensqualität beeinträchtigt ist – was bei rund einem Drittel aller Frauen der Fall ist.