Konzernchef Jorma Ollila hat zum Angriff geblasen: «Wir sind bereit, alle Waffen zu nutzen, um den Marktanteil zu verbessern». Dies ist auch dringend nötig. Der Anteil ist im ersten Quartal von 38 auf 35% abgerutscht. Eine der schärfsten Waffen ist bereits im Einsatz: Nokia hat spürbar die Preise gesenkt. Aus Händlerkreisen verlautet, bis zu 25%. Konzern-Pressesprecherin Arja Suominen nennt Medienangaben zwar «stark vereinfacht und teilweise falsch», es handle sich keineswegs um «eine generelle Preissenkung», Händler aus verschiedenen Ländern berichten jedoch von einem «umfassenden» Preisnachlass.
Ollila reagiert damit auch auf den Absturz des Nokia-Kurses. In den vergangenen vier Wochen hat das Papier rund einen Drittel des Wertes verloren. Das war deswegen so brutal, weil den Finnen ganz einfach nicht zugetraut worden war, eine Marktentwicklung so falsch zu beurteilen. Nun geht es zunächst um Schadensbegrenzung. Der Glorienschein, der den weltgrössten Handy-Hersteller bisher umgab, ist allerdings angekratzt, und es erscheint heute sehr fraglich, ob er je den alten Glanz wieder erlangen wird. Dazu zählt auch das Ziel von einem 40%-Marktanteil. Nokia hat nicht nur einen Fehler gemacht, die Konkurrenz ist auch besser geworden.
Börsenanalysten sind zwar der Auffassung, dass ein Preiskrieg unausweichlich ist, sehen im Fall Nokia jedoch negative Folgen für die bisher exzellenten Margen und Gewinne. Eine Verschlechterung wird sich auch auf den Kurs auswirken, schliesslich waren es gerade diese Kriterien, die Nokia von der Konkurrenz unterschieden und zu einer solch hohen Bewertung des Titels führten.
Das Dilemma des Handy-Weltmeisters zeichnete sich bereits konzernintern im dritten Quartal letzten Jahres ab. Auf einem Kundentreffen in London erklärte der nach Jorma Ollila zweite Nokia-Mann Pekka Ala-Pietilä: Man habe die Geräte in der mittleren Preislage zu Gunsten der Geschäftsbereiche Multimedia und Enterprise vernachlässigt. Hinzu kam die falsche Beurteilung, dass klappbare Handys mit Kamera und Bildschirm im Gegensatz zu Asien in Europa keinen grösseren Zuspruch finden würden. Handy-Experten nennen noch ein weiteres Argument für die Fehlorientierung der Finnen: Beim Bildschirm schätzten sie die Qualität der Konkurrenz falsch ein. David Larsson von IT-research: «Nokia behauptet, 65 000 Farben reichten aus. Wie weit kommt man jedoch damit, wenn der Kunde 262 000 Farben haben will und diese auch von Samsung ohne Extrakosten geliefert bekommt?»
Der Anteil könnte noch tiefer ligen
Die Frage, die sich seit der Gewinnwarnung stellt, ist folgende: Handelt es sich bei dem enttäuschenden Quartalsergebnis um das Resultat eines «zufällig schwachen Produktportefeuilles», wie es vereinzelt beschrieben wird, oder ist dieser Ausrutscher der Anfang einer Neupositionierung des Konzerns, die zu einem wahrscheinlich schwächeren Nokia führen wird? Einig sind sich Analysten darin, dass eine mögliche Wende erst gegen Ende dieses Jahres greifen könnte. Auch Ollila räumt ein, erst dann ein breites konkurrenzfähiges Modellportefeuille auf dem Markt zu haben. Insgesamt sind für 2004 40 neue Geräte geplant, darunter sechs klappbare. Ben Wood von Gartner meint: «Wir glauben, dass sich Nokia in den kommenden sechs Monaten hauptsächlich um die Linderung des Falles kümmern muss.»
Dieser könnte bereits schlimmere Folgen haben, als den Finnen recht sein kann. Das US-amerikanische Analyse-Unternehmen Strategic Analysts meint, Nokias Marktanteil habe im ersten Quartal bei lediglich 29% gelegen statt der im Quartalsbericht genannten 35%. Während die Finnen von einem Weltmarkt-Zuwachs um 29% auf 128 Mio Geräte ausgehen, nennen die Amerikaner ein Plus von 40% auf 153 Mio Handys. Danach folgten Motorola (16,5), Samsung (13,1), Siemens (8,4) sowie Sony Ericsson und LG mit je 5,7%.
Netzwerksparte als Rettung
Für Nokia wäre es ein erheblicher Prestigeverlust, falls diese Zahlen bestätigt werden sollten. Damit würde das Ziel von einem 40%-Marktanteil illusorisch. Noch wichtiger als die Marktposition ist jedoch die Bilanzentwicklung. Nach dem bescheidenen Quartalsbericht haben viele Analysten Nokia neu bewertet.
Die Credit Suisse First Boston degradiert den Konzern von neutral auf underperform und senkt den Richtkurs auf 11 Euro. Die Deutsche Bank empfiehlt weiterhin Halten, senkt den Richtkurs allerdings von 15.60 auf 13.10 Euro, Dresdner Kleinwort Wasserstein setzt ihn bei Halten von 15.80 auf 14.50 zurück. Zu den ganz wenigen Analysten, die den Nokia-Titel weiterhin zum Kauf empfehlen, gehört Citigroup Smith Barney, allerdings reduziert auch sie den Richtkurs, von 18 auf 16 Dollar.
Goldman Sachs nennt bei ihrer Neutral-Bewertung und einer Herabsetzung des Gewinns je Aktie für 2004 auf 0.70 Euro, fürs erste Quartal hatte Nokia noch 0.90 ausgewiesen, und für 2005 auf 0.77 Euro, folgende Bewertungskriterien: Die Entscheidung, zur Verteidigung der Marktposition in den Preiskrieg zu gehen, mag zwar «strategisch korrekt» sein, dürfte jedoch eine fallende Ertragskraft zur Folge haben. Zudem würden Marktanteil sowie Preismargen nur schwer zurückzuerobern sein, falls es den Finnen nicht gelinge, neue, attraktive Produkte auf den Markt zu bringen.
Wahrscheinlich haben es sich die Erfolg verwöhnten Finnen auch ein bisschen zu bequem gemacht und ganz einfach Zeichen der Zeit nicht ernst genug genommen. Im Handy-Bereich haben die Asiaten einen beachtlichen Vorsprung erobert, nachdem sie in Japan und Korea mit klappbaren Mobiltelefonen bereits viel Erfahrungen sammeln konnten. Zudem machen sich im Fernen Osten und vor allem in China kleinere, aber äusserst flexible und Markt orientierte Konkurrenten breit. Auf internationaler Ebene erwächst in Samsung ein nicht zu unterschätzender Mitbewerber. Und schliesslich ist der Streit vor allem mit Vodafone über die Warenmarken-Pflege noch nicht ausgestanden. Es kann Jorma Ollila nicht gleichgültig sein, wenn der weltweit grösste Netzoperateur ihn ignoriert.
Nokia will sein Handy-Portefeuille auf alle Marktsegmente ausrichten, gleichzeitig jedoch das Industriegeschäft für Multimedia-Mobiltelefone sowie Computerähnliche Handys forcieren. Hier sind die Finnen eine enge Zusammenarbeit mit IBM eingegangen. Und nicht zuletzt kann eine Wiederbelebung der Netzwerk-Nachfrage gerechnet werden. Dresdner Kleinwort Wasserstein erwartet hier bis 2006 mit einer Umsatzverdoppelung.
Bei dem Nokia-Problem von einer Krise zu sprechen, wäre übertrieben. Der Konzern ist finanziell weiterhin kerngesund. Ende März verfügte er über ein Cash-Polster von 11,4 Mrd Euro und wies ein Gearing von 77% aus. Was die Attraktivität des Nokia-Titels für den Investor anbetrifft, stellt Goldman Sachs fest: Auch wenn das KGV Ende März bei 17 und 18 gelegen habe, «erscheint das Papier jetzt bei einem KGV von 16 immer noch teuer im Vergleich zum europäischen Markt mit einem KGV von durchschnittlich 12.»
Nokia Letzter Kurs: Euro 11.82
(in Mio Euro) 2004 2003 %
1. Q. 1. Q.
Umsatz 6625 6773 2
Ebit 1138 1370 17
Ebitmarge (in %) 17.2 20.2 14.9
Reingewinn 816 977 16
Fazit: Die Bilanz der Finnen ist weiterhin grundsolide. Das Unternehmen hält allerdings momentan nicht, was es verspricht. Obs auf- oder abwärts geht, ist offen. Wahrscheinlicher ist Letzteres. Der Tiefstand der Aktie dürfte damit noch nicht erreicht sein.