Novartis entwickelt «erschwingliche» Therapien

Als junger Arzt engagierte sich Vas Narasimhan im Kampf gegen die grössten Gesundheitsprobleme Afrikas wie HIV und Aids, Tuberkulose und Malaria. Nun macht sich der Novartis-Konzernchef auf, eine verheerende Krankheit zu besiegen, die nur Schwarze trifft und von der die meisten ausserhalb Afrikas nicht einmal wissen, dass es sie gibt: die Sichelzellenanämie – eine genetisch bedingte Gefässerkrankung. Novartis hat sich einmal mehr Grosses vorgenommen. Der Basler Pharmakonzern will zur Bekämpfung der vor allem in Afrika verbreiteten Sichelzellenanämie ein neues, gentherapeutisches Verfahren entwickeln. In vivo Therapien Dabei sollen die menschlichen Zellen nicht – wie bei Zolgensma, der Gentherapie gegen spinale Muskelatrophie, mit der Novartis vor knapp zwei Jahren Medizingeschichte schrieb – dem Körper entnommen und in speziellen Labors unter maximal sterilen Bedingungen modifiziert werden müssen, was nur in hoch entwickelten Gesundheitssystemen möglich ist. Die Gentherapie gegen die Sichelzellenanämie soll vielmehr in vivo, also im Körper der Patientinnen und Patienten durchgeführt werden können. Dies, so die Hoffnung, sollte auch im Umfeld der ressourcenschwachen afrikanischen Gesundheitssysteme möglich sein. Eine Technologie, eigens für Afrika entwickelt – das hat Seltenheitswert, gerade in der Medizin. USA, Europa und zunehmend China: Das ist der Weg, den der medizinische Fortschritt in der Regel nimmt. In Afrika kommt dieser, wenn überhaupt, erst am Schluss an. Normalerweise würden neue Technologien für die Patienten und Patientinnen in den USA und in Europa entwickelt, sagt Lutz Hegemann, Head of Corporate Affairs und Global Health von Novartis. «Wir entwickeln eine Therapie zuerst für Afrika. Das kommt einem Paradigmenwechsel gleich.»Eine Karte des Leidens Die Sichelzellanämie zählt zu den grössten von der Industrie vernachlässigten Gesundheitsproblemen. 1000 Kinder kommen täglich mit der entsprechenden genetischen Veranlagung zur Welt, 80 Prozent von ihnen in Afrika. Wobei die Krankheit mit der weltweiten Migration auch in den Kinderarztpraxen Europas immer mehr zum Thema wird. Der Leidensdruck ist enorm. Jedes zweite Kind, das in Afrika mit der Krankheit geboren wird, erlebt seinen fünften Geburtstag nicht. Die Überlebenden leiden an Gefässverschlüssen, es kommt zu Herzinfarkten und Lähmungserscheinungen, wenn die Krankheit nicht behandelt wird. Viele Betroffene sind an den Rollstuhl gefesselt. Zudem ist die Krankheit mit starken Schmerzen verbunden. Paradigmenwechsel in der Entwicklung Ziel des Projekts ist es, eine Therapie zu entwickeln, die nur einmalig durchgeführt werden muss und die für arme Länder erschwinglich ist. Geforscht wird in Cambridge, dem Standort der Novartis-Forschung in den USA, wo sich ein eigens dafür zusammengesetztes Team speziell mit dem Thema Sichelzellenanämie befassen wird. Unterstützung gibt es von der Bill & Melinda Gates Foundation. Das weltweite Philanthropie-Powerhaus aus Seattle liess den NIBR, den Novartis Institutes for Biomedical Research, einen Zuschuss von 7,3 Millionen Dollar zukommen – der allerdings nicht nur für die Suche nach einer Therapie gegen die Sichelzellenanämie bestimmt ist, sondern auch für die Suche nach einer Methode, um eine Infektion mit HIV dauerhaft zu unterdrücken. Novartis-Mann Lutz Hegemann spricht von «beträchtlichen» Investitionen.