Sie hatten ihn für verrückt erklärt. Im Luzerner Hinterland richtete Roland Brack 2012 das grösste Warenlager im Schweizer Onlinehandel ein. Den Umzug des Herzstücks seines Unternehmens vom zentral gelegenen Mägenwil AG in die einstige Lego-Fabrik 
in Willisau konnte die Branche nicht so recht nachvollziehen. «Es dauerte einen Moment, bis sie merkten, was die Idee dahinter ist», sagt der 44-Jährige heute. Es ist eine nüchterne Feststellung, auch wenn sie etwas überheblich klingt. Bereits nach vier Jahren wird es auf den 55'000 Quadratmetern zu eng. Der Umsatz seiner Competec-Gruppe stieg seither um 54 Prozent.

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Die Konkurrenz wunderte sich weiter, als Brack nach dem Umzug ein neuartiges norwegisches Kleinlagersystem einrichtete – mit 70 Robotern auf Rädern, die pausenlos auf einem Stahlgerüst Plastikboxen verschieben. Es war weltweit das grösste seiner Art. «Es gab einige Zweifel, ob sich das überhaupt lohnt», erinnert sich Patrick Kessler vom Versandhandelverband VSV. Inzwischen haben sich auch andere Händler und die Post das System namens Autostore einbauen lassen. Brack leistete sich 2015 ein zweites, noch grösseres. Es wird nicht das letzte sein.

1994 im elterlichen Dachstock begonnen

Die Geschichte des Unternehmers Roland Brack ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich. Er kann es selber nicht ganz fassen. «Hätten Sie mich vor 20 Jahren gefragt, ob ich eine Firma mit 500 Leuten aufbauen wolle, hätte ich gesagt: natürlich nicht.» 1994 begann er im elterlichen Dachstock in Bözen AG für Freunde und Verwandte Computerkomponenten zusammenzubauen. Bald stellten die ersten Mittelstandsfamilien zu Hause einen Rechner auf. Das trieb die Nachfrage so stark an, dass es bei Bracks eng wurde. Noch im Dachstock stellte er seinen ersten Mitarbeiter ein, Andreas Fischer, der letztes Jahr sein 20-Jahr-Firmenjubiläum feierte.

Nach dem Umzug in die Mägenwiler Gewerbezone, wo das Unternehmen noch heute seinen Hauptsitz hat, schaltete Brack die Website Brack.ch auf. Seither ging es Jahr für Jahr aufwärts, meistens im zweistelligen Prozentbereich. Die Gewinne investiert er allesamt ins Wachstum. Der technikbegeisterte Selfmadeunternehmer schluckte in 20 Jahren über 20 Firmen – vom Ein-Mann-Betrieb bis zum 100-Millionen-Logistiker. Investoren waren nie ein Thema, ein paar Bankkredite reichten aus. Über allem steht nun die Competec-Holding.

Brack.ch und der Grosshändler Alltron sind die grössten Umsatzbringer. Dem Gründer gehört die gesamte Firma mit 600 Millionen Umsatz, 534 Angestellten, sieben Töchtern. «Irgendwann», sagt er nüchtern, «hat sich gezeigt, dass es einige Vorteile hat, wenn man so schlank ist und Entscheidungen schnell treffen kann.»

Fünftgrösster Onlinehändler der Schweiz

Brack.ch war damals einer der ersten Onlinehändler der Schweiz und ist mittlerweile der fünftgrösste. Das Beratungsunternehmen Carpathia schätzt den Umsatz auf 235 Millionen. Brack selber gibt nur den Umsatz der ganzen Gruppe bekannt. Schaut man sich die Top Ten an, ist er der einzige unabhängige Schweizer. Neben den Giganten Amazon, Zalando und Nespresso finden sich die Migros-Marken LeShop, Ex Libris und Digitec sowie die Coop-Töchter Microspot, Nettoshop und Coop@home in der Spitzengruppe.

In der öffentlichen Wahrnehmung steht Brack.ch dank des Sponsorings der Fussball-Challenge-League und der absurden TV-Spots, die aus TV, Drohne und Grill «einen Brack» machen, im Zentrum. Unternehmerisch betrachtet entpuppen sich aber die Distributionstochter Alltron und die Competec-Logistik als die wahren Stars. Die Mischung aus B2B-Händler und hypereffizienter Lagerlogistik mit mehr als 120'000 Produkten ist Gold wert. Praktisch alle Schweizer Non-Food-Onlinehändler beziehen beträchtliche Teile ihrer Ware aus Bracks Lager. Er besorgt für sie nicht nur den Longtail, sondern packt die Ware gleich für den Endkunden ein.

Digitec hat nur 20 Prozent des Brack-Angebots

E-Commerce-Experten schätzen, dass Erzrivale Digitec nur 20 Prozent des Brack-Angebots im eigenen Lager in Wohlen AG vorrätig hat 
und einen wesentlichen Teil der restlichen 80 Prozent von Alltron bezieht. Allerdings machen die 20 Prozent in Wohlen wiederum 80 Prozent des Digitec-Umsatzes aus, weil es die Bestseller sind.

Digitec gibt abgesehen vom Umsatz keine Zahlen heraus. «Alltron hilft uns dabei, die Verfügbarkeit unseres Sortiments gegenüber unseren Kunden zu verbessern», lässt Einkaufschef Hendrik Blenken Blijdenstein ausrichten. Man sei zufrieden mit der Zusammenarbeit. In der Branche hört man unterdessen, Digitec wolle das eigene Lager aus- und die Abhängigkeit abbauen. Doch das Volumen werde nicht annähernd jenes von Brack in Willisau erreichen.

Logistik ist der Kern der Firma

Im Logistikcenter arbeitet nur ein Viertel der Belegschaft. Doch für Roland Brack ist die Logistik der Kern der Firma. Beim Rundgang durch die «Päcklifabrik» wird seine Begeisterung für die Abläufe im Warenwirtschaftssystem deutlich. Stolz, aber gesetzt erklärt er die Stationen vom Wareneingang über die Hochregal- und Kleinteilelager, die Kommissionierung, die teilautomatisierten Verpackungsstationen, die sogenannte «Ugly-Packstation», wo unförmige und übergrosse Ware verpackt wird, bis zur Rampe, wo zuweilen hoch motivierte Behinderte der Stiftung Brändi die Pakete in die Post-Lastwagen stapeln. Im Schnitt gehen täglich 7000 Päckli raus, montags bis zu 15'000. Unter der Woche ist von 6 bis 19 Uhr Betrieb. Nur vor Weihnachten wird auch an Samstagen gearbeitet.

Der Handel ist weniger seine Welt. Die operative Führung von Brack.ch hat er längst abgegeben. «Von Einkauf, Verkauf und Marketing bin ich relativ weit weg. Dazu habe ich Leute, die das viel besser machen», sagt Roland Brack. Der gelernte Elektromechaniker, der sich später zum Ingenieur weiterbildete, entdeckte seine Hingabe bald im effizienten Ablauf der Logistik. Ein Grossteil der Steuerung hinter den technischen Anlagen entwickelt das Unternehmen selbst. «Die Konzeptionierung habe ich stark mitgeprägt», erzählt Brack. «Da arbeite ich heute noch fast täglich dran. Ich bin sozusagen das Bindeglied zur IT-Abteilung.»

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Alle Stifte duzen ihn

Die Brack.ch-Geschäftsleitung hat mehrmals erfolglos versucht, dem Chef abzugewöhnen, sich allzu sehr in den Prozessen zu verlieren. Er gehe «mit Herzblut tief ins Detail», berichtet Malte Polzin, der zwei Jahre lang Brack.ch-CEO war. Er mache das halt gerne, sagt Brack mit einem Schulterzucken. Dass der Konzernchef und Eigentümer persönlich mittüftelt, ist bei dieser Unternehmensgrösse wahrscheinlich einzigartig. Das fasziniert die Experten. Carpathia-Gründer Thomas Lang sieht in Brack eine «herausragende Figur im Schweizer Handel». Ein Pionier, der sich nicht zu schade sei, sich die Hände schmutzig zu machen.

Viel weniger behagt ihm das Rampenlicht: «Ich suche nie die grosse Bühne und probiere, so wenig wie möglich zuvorderst zu stehen.» Allerdings hört man ihn regelmässig über Rallyes schwärmen. Zwei-, dreimal im Jahr fährt er mit seiner Beifahrerin und Mitarbeiterin Carmen Hrup im Toyota Land Cruiser Rennen in Bulgarien, Rumänien, Polen oder Kroatien. Ihre Erfahrungen teilen sie im Blog Outofcontrol.ch mit der Öffentlichkeit. «Wir gewinnen selten, landen aber meist auf dem Podest», erzählt Roland Brack. Das freundschaftliche Verhältnis zu den Mitstreitern sei manchmal wichtiger als der Sieg. Man kenne sich gut, das Umfeld sei unkompliziert und «weniger elitär als bei anderen Autorennen».

Vielleicht herrscht darum in der Firma eine Art Start-up-Atmosphäre. Alle sind per Du, sogar die 40 Lehrlinge dürfen den Konzernchef duzen. Fast im Wochenrhythmus lädt Brack die Neueintritte zum Essen ein. Für ihn eine Selbstverständlichkeit: «Das scheint anderswo nicht normal zu sein, was ich nicht verstehe. Man muss doch die Mitarbeiter integrieren.» Dazu zählt auch ein Pflichttag für alle Neuen im Logistikzentrum. Damit auch die Marketingleute aus der Mägenwiler Zentrale spüren, was den Laden antreibt.

Service statt Tiefstpreis

Onlinehandel ist eine paradoxe Branche. Alle versprechen den besten Service und die tiefsten Preise. Dass das eine auf Kosten des anderen gehen muss, wird ausgeblendet. Der stationäre Handel kann immerhin seine Filialen als Bühne nutzen. Im Kopf der Kunden rechtfertigt ein schönes Shopping-Umfeld höhere Preise. Im Internet geht das nicht. Hier gibts weder Hintergrundmusik noch lächelnde Verkäuferinnen. Die Websites passen sich stetig einander an. Es zählen nur harte Fakten. Und bei Margen zwischen fünf und zehn Prozent (bei Apple-Produkten sind sie deutlich tiefer) ist Effizienz das oberste Gebot.

Umso erstaunlicher, dass sich Brack.ch so gut gegen Spitzenreiter Digitec-Galaxus mit dreimal mehr Umsatz halten kann. Die Migros-Tochter ist meist günstiger – genauso wie Microspot und Nettoshop. «Brack war nie einer, der über den Preis verkaufte», sagt Carpathia-Mann Lang. «Dafür bietet er mehr Service und Zusatzleistungen als die Konkurrenz.»

Das zeigt sich vor allem in den Zahlungsoptionen: Brack kassiert weder bei der Papierrechnung noch bei der Kreditkartenzahlung eine Gebühr. Microspot und Digitec ziehen jeweils zwei Prozent ab. Bei Digitec kostet sogar die Rechnung per Mail zusätzlich einen Franken pro Bestellung. Nur mit Twint oder einem Migros-Bank-Konto kommt man dort gebührenfrei davon. Auch bei den Retouren ist Digitec härter und nimmt die Ware nur zurück, wenn sie am Zentrallager in Wohlen vorrätig ist.

Abenteuerliche Handelsakrobatik

Digitec war auch beim Einkauf lange Zeit deutlich aggressiver unterwegs. «Die Einkäufer haben im Grosshandelsstil mit Produkten getradet, was zu fantastischen Umsätzen führte», sagt ein Handelsexperte, der nicht mit Namen genannt werden will. Dabei wurde von gewissen Produktegruppen mehr Ware von einem Land ins andere verschoben, als in der Schweiz überhaupt verkauft werden konnte. Die Devise: um jeden Preis günstiger sein.

Lange Zeit habe man darum auch Boni, die der Hersteller ab einer bestimmten abgesetzten Menge verspricht, immer im Endpreis einberechnet. Ein gefährliches Spiel mit der Marge. Für Digitec ging es auf. Doch nach der Vollkonsolidierung der Migros 2015 wurde die abenteuerliche Handelsakrobatik heruntergefahren.

Wichtigster E-Commerce-Enabler im Land

Brack kann es sich leisten, zurückzulehnen und zu beobachten, wie sich Digitec und Microspot kannibalisieren. Beobachter glauben, Microspot werde den Kampf nicht überleben. Brack denkt lieber langfristig. Der Schlüssel, um in der Digitalisierung zu bestehen, sei, agil zu bleiben und sich immer zu hinterfragen: «Wer das schafft, wird auch Erfolg haben.»

Mittelfristig heisst das für Brack, dass sein Unternehmen zum wichtigsten E-Commerce-Enabler im Land wird. Das heisst, er stellt anderen Verkäufern die Handelsplattform und Lagerkapazität zur Verfügung. Die Kooperation mit Intersport ist bereits angelaufen, eine Beta-Version des Shops ist seit Ende März online. Dem Schweizer Intersport-Ableger bieten sich daraus zwei Vorteile: Er muss nicht mühsam eine eigene Onlineshop-Infrastruktur aufbauen und kann sich für seine Filialen flexibel aus dem Alltron-Lager bedienen. Weitere Interessenten stehen bereit.

Wenn Amazon anklopft

Die Gefahr, dass der grösste unabhängige Onlinehändler übernommen und verschwinden wird, besteht derzeit nicht. Brack nennt keine Namen, aber es klopfte schon mehr als einmal an seiner Tür – offenbar war auch Amazon darunter. Er will das nicht kommentieren, sagt nur: «Wer in ein neues Land will, versucht dort natürlich einen grösseren Player zu übernehmen.»

Was ihn derzeit mehr beschäftigt, ist sein eigener Name: «Könnte ich nochmals von vorne beginnen, würde ich wahrscheinlich einen Fantasienamen statt meines eigenen wählen.» Heute profitiere er davon, dass seine Firma als Familienbetrieb wahrgenommen werde, aber er wisse nicht, wie das seine Kinder, heute neun und elf Jahre alt, später sehen würden. Die Eltern sind geschieden, die Kinder leben bei der Mutter. Dass sie sich dereinst in das «Haifischbecken» Onlinehandel begeben wollen, bezweifelt er. Er sei sich nicht sicher, ob er ihnen mit seinem Unternehmen ein Geschenk machen würde.

Wachstum ohne Ende

Wichtiger ist jetzt die räumliche Expansion in Willisau. Zu den 55'000 Quadratmetern sollen nebenan weitere 20'000 dazukommen. Die produktive Fläche würde sich verdoppeln, weil das Gebäude mit 30 Metern viel höher werden soll als das bestehende. Doch eine Einsprache aus der Nachbarschaft verzögert das Bauvorhaben. Das Luzerner Verwaltungsgericht entscheidet demnächst. Gleich dahinter hat sich Brack das Kaufrecht für nochmals 20'000 Quadratmeter gesichert.

Denkt er an die Zukunft, sieht er Wachstum ohne Ende. Stationäre Händler können davon nur träumen. Er sieht es pragmatisch: «Wir haben immer das gemacht, von dem wir glauben, es sei für die Kunden gut. Das hat automatisch zu Wachstum geführt. Das Wachstum war nicht geplant, sondern eine Folge.» Spätestens 2022 werde eine Milliarde Umsatz erreicht. Das sei kein Ziel, sondern eine Prognose.

Dieser Text erschien in der Ausgabe 05/2017 der BILANZ.