Eigentlich sollte der Kurs der Pfizer-Aktie deutlich steigen, schon seit einiger Zeit. Viele Analysten sind des Lobes voll und sehen den Titel als «Outperformer»: Dies umso mehr, je länger die Aktie gegenüber dem Gesamtmarkt und den Konkurrenten ins Hintertreffen gerät. In den vergangenen zwölf Monaten kletterte der S&P500-Index um fast einen Drittel. Die Sektorperformance der in New York kotierten Aktien und ADR der 17 weltweit grössten Pharmaunternehmen lag laut Reuters Investor im gleichen Zeitraum bei 26%.
Pfizer belegt in dieser Wertung nur Rang 11 mit +19,5%. Ein Einbezug der Dividendenrendite verbessert das Bild nicht wesentlich. Der gemäss Umsatz auch nach einer allfälligen Fusion zwischen Aventis und Sanofi weltgrösste Pharmakonzern ist nur im Mittelfeld mit rund 1,9%. Was macht die Attraktivität von Pfizer also aus?
Als Pfizer vor wenigen Tagen den Jahresabschluss vorlegte, zeigte sich Wall Street hoch erfreut darüber, dass die eigenen Erwartungen übertroffen wurden. Die Umsatzsteigerung um 40% gegenüber dem Vorjahr sieht tatsächlich gut aus.
Die Analysten der Deutschen Bank, die Pfizer zum Kauf empfehlen, versäumten aber nicht darauf hinzuweisen, dass der Pharmakonzern hier leichtes Spiel hatte. Zum einen ist erstmals die vergangenes Jahr für 60 Mrd Dollar übernommene Pharmacia enthalten. Zum andern hat die Wechselkursentwicklung laut Pfizer vier Prozentpunkte zum Wachstum beigesteuert.
Positiv wurde auch gewertet, dass Pfizer die Gelegenheit nutzte, den Ausblick für 2004 zu bestätigen und gleichzeitig die Schätzungen für die Kostensynergien aus der Integration von Pharmacia aufzubessern. Diese liegen 2003 nun neu bei 1,3 Mrd Dollar, in 2004 bei 3,4 Mrd Dollar und 2005 bei 4 Mrd Dollar.
Die Pille mit dem höchsten Umsatz der Welt
Die Kosteneinsparungen des Fusionsproduktes sind jedoch für das Team der Deutschen Bank nur ein Grund, um für die Zukunft optimistisch zu sein. Die Einverleibung von Pharmacia bringt nämlich ausserdem ein breiteres Produktportefeuille, das Wettbewerbsvorteile sowie geringere Risiken und Abhängigkeit von einzelnen Verkaufsschlagern zur Folge haben soll. Immerhin verfügt Pfizer nun über acht Medikamente, die zu den 25 weltweiten Topsellern gehören.
Die Perle darunter ist zweifellos der Cholesterol-Senker Lipitor, die umsatzstärkste Pille der Welt, für die Pfizer im vergangenen Jahr einen Umsatz von 9,2 Mrd Dollar verbuchte. Zum andern ist da die Produktepipeline von Pfizer, von der die Analystengemeinde sehr angetan ist. James Kelly von Goldman Sachs, der Pfizer mit «outperform» einstuft, erwartet im ersten Halbjahr 2004 zum Beispiel die Lancierung von dem gemeinsam mit Boehringer Ingelheim entwickelten Spiriva, für das Kelly einen Spitzenumsatz von 1 Mrd Dollar prognostiziert; ferner soll Caduet auf dem Höhepunkt bis 1,5 Mrd Dollar einbringen.
Wer sich Pfizers Abschluss zu Gemüte führte, kam jedoch nicht umhin zu vermuten, dass dieser noch im vergangenen Jahr die Aktie eher belastet denn beflügelt hätte. Unter dem Strich resultierte nämlich ein deutlicher Rückgang beim Reingewinn, der auf eine ganze Reihe ausserordentlicher Elemente zurückzuführen war. Merrill Lynchs Pharmaanalyst David Risinger, der Pfizer ebenfalls auf «Buy» hat, vermerkte in einem ersten kurzen Bericht nach Publikation der Daten, dass er sich an der folgenden Telefonkonferenz mit Analysten etwas mehr Klarheit in Bezug auf die Kostenpositionen wünsche.
Akquisition mit Altlasten
Dabei handelt es sich vor allem um Sonderposten im Zusammenhang mit Übernahmen. Hier dominiert die jüngste von Pharmacia, auf die direkte Kosten von 660 Mio Dollar sowie buchhalterische Anpassungen von 8,7 Mrd Dollar entfallen.
Gleichzeitig standen auch ausserordentliche Einnahmen von 2,3 Mrd Dollar auf verkaufte Produkte und Sparten an, die in erster Linie mit Pharmacia übernommen worden waren, von Pfizer jedoch nicht zu den Kerngeschäften gezählt und daher abgestossen werden. Weitere solche Bereinigungen bei Produkten und Geschäftsbereichen stehen 2004 bevor.
Zudem schlugen «Altlasten» aus der Übernahme von Warner-Lambert 1999 zu Buche. Insgesamt wurden 2003 Rückstellungen von rund 1,4 Mrd Dollar vorgenommen. Diese stehen im Zusammenhang mit dem aus dem Verkauf zurückgezogenen Diabetes-Medikament Rezulin sowie Anschuldigungen unzulässiger Marketingmethoden bei Neurontin. Beide Medikamente wurden mit Warner-Lambert übernommen. Es wäre aber verfehlt zu vermuten, dass Pfizer mit der 2000 abgeschlossenen Übernahme von Warner-Lambert einen schlechten Griff getan hätte. Immerhin war der Verkaufsschlager Lipitor von Warner-Lambert entwickelt worden. Neurontin erzielte 2003 einen Umsatz von 2,7 Mrd Dollar und war damit das viertstärkste Produkt bei Pfizer.
Produkte mit viel Potenzial wurden auch mit Pharmacia erworben, so etwa das Arthritis-Medikament Celebrex, für das 2003 ein Umsatz von 1,9 Mrd Dollar verbucht wurde. Pfizer positionierte sich ausserdem durch seine Grösse als Vertriebs- und Lizenzpartner für andere Unternehmen. Die unfreundliche Übernahmeofferte von Sanofi-Synthelabo für Aventis hat an der Wall Street zur Frage geführt, ob in der Pharmaindustrie eine Übernahmewelle anrolle.
Am Rande des WEF in Davos wollte sich Pfizer-CEO Hank McKinnell gegenüber Reuters zu dieser Frage nicht äussern. Allerdings lässt die im Dezember angekündigte Akquisition der Biotech-Gesellschaft Esperion Therapeutics darauf schliessen, dass Pfizer durchaus nicht abgeneigt ist, weitere Einkäufe zu tätigen. Das Geld dafür wäre vorhanden.
Ständiger Kampf gegen auslaufende Patente
Die Gründe dafür, weshalb die Pfizer-Aktie einfach nicht richtig abheben will, finden sich einerseits in den «Umbauarbeiten» nach der Einkaufstour, anderseits in der Konkurrenz durch Generika. In einer Studie von Ende Oktober errechnete Smith Barneys Pharma-analyst, dass über die nächsten vier Jahre gegen 44% von Pfizers Pharmaumsatz durch Patentausläufe oder -anfechtungen von Konkurrenten bedroht sein könnten.
Mit dieser Einschätzung ist Smith Barney nicht allein. So rechnet Risinger von Merrill Lynch für 2004 mit einem Gewinn je Aktie von 2.06 Dollar, da er ab Mitte Jahr die Markteinführung von Neurontin-Generika erwartet. Wie schlimm es wirklich kommt, wird sich weisen. Immerhin konnte Pfizers Viagra einen Anteil von rund drei Vierteln aller Verschreibungen gegenüber den 2003 auf den Markt gelangten Produkten Levitra von GlaxoSmithKline/Bayer und Cialis von Eli Lilly behaupten.
Umso wichtiger ist es für Pfizer, der Konkurrenz mit neuen Produkten und geschickten Allianzen und Übernahmen einen Schritt voraus zu bleiben. Und in diesem Punkt hat der Konzern in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet.
Pfizer Angaben in Milliarden Dollar
2002 2003 2004E 2005E
Umsatz 35 44.6 52.8 57.1
Betriebsgewinn (Ebitda) 13.3 18.2 22.6 25.3
Umsatzrendite (in %) 35 41 43 44
Reingewinn 9.1 3.9 15.9 17.8
Gewinn pro Aktie (in Dollar) 1.59 0.54 2.10 2.41
KGV 22 67 17 15
Dividende (in Dollar) 0.52 0.68 0.68 0.68E = geschätzt; KGV = Kurs-gewinn-verhältnis Quelle: Credit Suisse First Boston
Tipp: Die relativ schlechte Performance trotz der guten Ausgangslage lässt hoffen. Sollte Pfizer zur Aufholjagd ansetzen in einem Jahr, in dem viele Analysten den Pharmasektor auf der Empfehlungsliste haben, könnte die Aktie des unangefochten grössten Pharmakonzerns derzeit ein Schnäppchen sein. Aber aufgepasst: Patentausläufe können die Aussichten trüben.