Um Mitternacht ging Daniel Borel in seinem Haus in Apples VD ins Bett. Für ihn, den Waadtländer mit zweiter Heimat USA, war an jenem Abend des 8. November alles klar: Am nächsten Tag würde Hillary Clinton als Präsidentin verkündigt werden, am Weltenlauf würde sich nicht viel ändern. Als ihn am Morgen das Radio weckte, traute Borel seinen Ohren nicht. «Ich war völlig überrascht», sagt er. «Die Demokratie hat für einen Diktator gestimmt!»

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Seiher fragt sich der 68-Jährige: Was wird der neue Präsident für seine Kinder bedeuten, die in den USA leben und dort unternehmerisch aktiv sind? Was für seine Firma Logitech, die seit 35 Jahren im Silicon Valley angesiedelt ist, wo die überwältigende Mehrheit gegen Trump gestimmt hat? «Ich habe keine Ahnung», sagt Borel. «Ich weiss nur eines: Wir werden es schaffen. Trotz Trump.»

Es dominiert die Unsicherheit

Knapp drei Wochen nach dem Wahlschock dominiert vor allem ein Thema: die Unsicherheit. Wie sieht die neue Regierung aus? Was hat sie vor? Welche Folgen hat das für die Schweiz? Zwar ist ein Regierungswechsel immer mit einem gewissen Grad an Ungewissheit verbunden, besonders in Washington. Doch beim Einzelkämpfer Trump, der sich als Nichtpolitiker definiert und der seinen Wahlsieg ohne die Hilfe seiner Partei errang, ist der Fall besonders.

«Wir wissen nicht, was auf uns zukommt», sagt selbst der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. «Ich habe mehrfach mit Henry Kissinger in New York über den zu erwartenden aussenpolitischen Inhalt und das Personal von Donald Trump gesprochen», so Steinmeier. Doch auch der weise alte Mann und ehemalige republikanische Aussenminister, zu dem noch jeder amerikanische Politiker in der Hoffnung auf guten Rat gepilgert ist, wusste keine Antwort. «Und mit ihm tappt die ganze aussenpolitische Community in Washington im Dunkeln.»

«Wer ist unser Ansprechpartner?»

Aus Trumps Wahlkampfteam waren vorab auch keine Vertreter zu den europäischen Partner-Regierungen entsandt worden, wie dies früher üblich war. Ursula von der Leyen bringt es auf den Punkt: «Normalerweise hat ein Kandidat einen Pool von Experten, die man kennt», sagt die deutsche Verteidigungsministerin. «Das ist hier nicht der Fall. Man wird jetzt erst einmal versuchen herauszufinden: Wer ist unser Ansprechpartner?»

Wenigstens eine Telefonnummer hat das Aussendepartement (EDA) von Didier Burkhalter: «Wir sind seit Mai im Kontakt mit Walid Phares», heisst es dort. Phares, Experte für den Nahen Osten auf Fox News, ist einer von Trumps fünf Beratern und zählt zu einem engen Kreis illustrer Vertrauter des künftigen US-Präsidenten.

Keiner kennt die Pläne Trumps

Inhaltlich ist der Nebel noch dichter: «Wir wissen weder aus der Vergangenheit noch aus der Kampagne, was Trumps Wirtschaftsprogramm ist», sagt Martin Naville, CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer AmCham. «Seine Vorhaben sind zum Teil sehr widersprüchlich und basieren in keiner Art und Weise auf der Realität.» Und zentrale Versprechen seiner Kampagne hat Trump bereits wieder relativiert: etwa das Einreiseverbot für Muslime in die USA; sein Versprechen, das Pariser Klimaabkommen zu kippen; die Abschaffung von Obamacare. Keiner kennt die Pläne Trumps, vielleicht nicht einmal er selbst.

Kein Wunder, werden mangels Visibilität vielerorts die Ampeln auf Rot gestellt. Der Spartenleiter eines grossen Schweizer Industriekonglomerates etwa hat schnell reagiert: Zwei Tage nach Trumps Wahl hat er die Tarifverhandlungen in Deutschland abgebrochen und aufs nächste Jahr verlegt. «Ich kann jetzt nicht die Personalkosten erhöhen, wenn Deutschland wegen Trump in eine Rezession geraten sollte», sagt er. Oder wie es Rudolf Minsch, Chefökonom vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, ausdrückt: «Investitionsentscheidungen trifft man am liebsten dann, wenn man Sicherheit hat.»

Für Schweizer Exporteure sind die USA der weltweit zweitwichtigste Absatzmarkt nach Deutschland. 2015 wurden Waren im Wert von 27 Milliarden US-Dollar in die USA verschifft, Tendenz steigend. Das entspricht 13,5 Prozent am Gesamtexport. Nicht weniger als 45 Prozent des Warenhandelsüberschusses erzielt die Schweiz im Handel mit den Vereinigten Staaten. Umgekehrt exportierten amerikanische Firmen 2015 Waren im Wert von über 12 Milliarden US-Dollar in die Schweiz.

Auch als Geldgeber spielt die Alpennation eine wichtige Rolle: 24 Milliarden Dollar investierten Schweizer Konzerne 2014 in den USA, damit liegt das Land auf Platz sieben. Rund 500 Schweizer Firmen sind mit über 3500 Filialen in fast allen US-Staaten vertreten. Auch andersherum fliesst viel Geld: 17 Milliarden Dollar investierten 2014 IBM, Google, Disney und Co. hierzulande.

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Holger Alich
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