Das Buch ist 134 eng bedruckte Seiten dick: «Der Credit Suisse Beratungsprozess im Private Banking» heisst es und ist Lern- und Arbeitshandbuch zugleich. Von der Vorbereitung des Beratungsgesprächs bis zur Vermögensanalyse des Kunden wird den Privatkundenberatern der Schweizer Grossbank akkurat aufgezeigt, wie sie sich zu verhalten haben.

Wer sich durch das Werk kämpft, bekommt einen neuen Eindruck von der Arbeit des Private Banker: vorbei die Zeiten, als ordentlich gepflegte Fingernägel und eine angenehme Konversation bei einem Mittagessen genügten, um einen Kunden zu bezirzen. Private Banking im Jahr 2006 ist eine Disziplin zwischen Wissenschaft, Kunst und Krampf – und der Kunde ein anspruchsvolles Gegenüber.

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Private Banking ist weltweit eine Wachstumsbranche. Laut einer Studie, welche die US-Bank Merrill Lynch zusammen mit dem Beratungsunternehmen Capgemini durchgeführt hat, wird das Vermögen der Superreichen der Welt bis 2009 jährlich um 6,5 Prozent wachsen. Schätzungsweise 30 000 bis 40 000 Milliarden Franken haben wohlhabende Privatpersonen weltweit den Banken anvertraut. Ein grosser Teil davon – wohl über 4000 Milliarden – liegt in der Schweiz. Noch immer sind die Schweizer Banken führend im Business. In der diesjährigen Erhebung des englischen Fachmagazins «Euromoney» über die besten Privatbanken der Welt finden sich gleich drei Schweizer Institute unter den ersten zehn: Die UBS auf Platz eins, die Credit Suisse auf Platz vier und Pictet auf Platz acht.

Doch die Konkurrenz ist den Schweizern hart auf den Fersen. Vor allem die grossen angelsächsischen Banken Citigroup, HSBC, JP Morgan oder Coutts legen zu. Der Kampf um den Kunden wird dabei immer stärker an der Beratungsfront gekämpft. In einer Studie von IBM Business Consulting Services aus dem Jahr 2005 über das Verhalten reicher Investoren nannten über 80 Prozent die Servicequalität als wichtigsten Grund für die Wahl ihres Private Banker. Die Performance hingegen war nur für knapp 50 Prozent der Befragten ein entscheidender Grund.

Kein Wunder, legen die Banken derzeit wieder vermehrt ihr Augenmerk auf die Beratung. Klar ist: Die Kundenbedürfnisse haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Börsenkrise der Jahre 2001 und 2002 entzauberte den Mythos der Banker und Finanzpropheten generell. Besonders die Private Bankers bekamen den Groll der Kunden ab, schliesslich repräsentieren sie die Bank im Kontakt gegen aussen – auch wenn die Anlagetipps oft aus den Analyseabteilungen stammten. «Die Kunden sind vorsichtiger geworden und präziser in ihren Angaben», hat Eric Sarasin, Geschäftsleitungsmitglied und CEO Private & Institutional Clients der gleichnamigen Basler Bank, beobachtet. Dass ein Kunde dem Berater eine Carte blanche in Vermögensverwaltungssachen gebe, komme immer weniger vor.

«Die Kunden sind heute viel besser über das Geschehen an den Finanzmärkten informiert», sagt auch Marcus Bühler, Chef Private Banking bei Pictet in Zürich, «und sie wissen heute sehr genau, was sie von einer Privatbank erwarten.» Fast unisono berichten Private Bankers von einem generell grösseren Wissen der Kunden in Börsen- oder Finanzfragen. Immer öfter kommt es vor, dass ein Kunde einem Berater gegenübersitzt, der weniger weiss als er selbst.

Die meisten Banken reagieren darauf in doppelter Weise. Erstens indem sie die Ausbildung ihrer Berater verbessern. Zweitens indem sie im Rücken der Berater grosse Teams von Spezialisten aufbauen, die jenen in gewissen Fällen zudienen können. «Märkte, Produkte und Rahmenbedingungen werden zunehmend komplex», sagt Richard Nahmani, Teilhaber der Privatholding und Vorsitzender der Geschäftsleitung Zürich von Lombard Odier Darier Hentsch (LODH). Jeder Kundenberater habe ein unterstützendes Team im Rücken, wobei der traditionelle Kunde noch immer nur einen Ansprechpartner wünsche und die neue Kundengeneration vom ganzen Team betreut werde. «Für beide Modelle hat jedoch der Kundenberater als One-Man-Show ausgedient», so Nahmani.

Laut Jürg Haller, Leiter Products and Services im Bereich Global Wealth Management & Business Banking bei der UBS, werden Spezialisten heute «immer häufiger und von immer breiteren Kundensegmenten nachgefragt». Gerade die zunehmende Spezialisierung aber ist ein zweischneidiges Schwert: Wenn der Mann an der Front zu oft an die Kollegen verweisen muss, verliert er schnell an Glaubwürdigkeit. Gute Berater sind beides: Generalisten und doch mit breitem Wissen über Spezialthemen ausgestattet. Doch solche Leute sind knapp. Für die Abwerbung eines erfahrenen Private Banker wird auf dem Platz Zürich gut und gerne ein Jahresgehalt von 200 000 bis 300 000 Franken bezahlt.

Noch wichtiger aber als einzelne Spitzenberater ist die Garantie einer gewissen Mindestqualität an der Front. Eine Niete unter den Beratern kann dem Ruf nachhaltig schaden. «Jeder einzelne Mann und jede einzelne Frau an der Front verteidigt im Gespräch mit dem Kunden auch unsere Marke», betont Pictet-Banker Bühler.

Die Gewährleistung eines gewissen Standards in der Beratungsleistung beschäftigt derzeit praktisch alle Schweizer Private Bankers. Der erste Kontakt zwischen Berater und Kunde ist oft entscheidend für die langfristige Bindung zur Bank.

Besonderes Augenmerk auf diese Problematik richtet die Credit Suisse: «Die Bank, welche das Matching zwischen Kunde und Berater am besten schafft, hat die Nase vorne», ist Arthur Vayloyan, bis Ende 2005 Chef Private Banking Schweiz und neu Leiter Private Banking Investment Services & Products der Credit Suisse, überzeugt. Dies bedinge zweierlei: «Know your clients» und «Know your employees». 600 000 Kunden hat die CS im Bereich Private Banking. Diese Kunden mit den richtigen Beratern zusammenzubringen, sei entscheidend für das Gefühl, gut untergebracht zu sein.

Das eingangs erwähnte Handbuch ist Teil einer im Mai 2005 gestarteten bankweiten Trainingskampagne, mit der die CS einen einheitlichen Qualitätsstandard bieten will: «Bei unserer Bank haben sich in der Schweiz sämtliche Berater einem strukturierten Prozess verpflichtet, der flächendeckend angewendet werden soll», betont Vayloyan. Der neue Beratungsansatz greift: Auf dem Schweizer Markt ist die Credit Suisse laut «Euromoney» die Nummer eins im Private Banking.

Einen ähnlichen Weg wie die CS geht die UBS, und dies schon seit längerem. Laut Produktechef Haller soll ein standardisierter vierstufiger Beratungsansatz sicherstellen, dass der Kunde gut betreut wird, «und zwar unabhängig davon, mit wem von unserer Seite er dabei zu tun hat». In den letzten drei Jahren seien die Tools für eine «geführte und doch offene Fragestellung» stetig verfeinert worden.

Bei Pictet setzt man in der Frage des Matching auf eine andere Stärke: Seniorität. Dies in der Überzeugung, dass erfahrene Banker den neuen Kunden auch ohne Checkliste einschätzen können. «Kommt ein neuer Kunde in die Bank, wird er entweder von mir oder meinem Stellvertreter empfangen», sagt Private-Banking-Chef Bühler.

Auch das direkte Zugehen auf breite Kundenkreise gibt wichtige Anhaltspunkte: Die Credit Suisse und die Bank Sarasin etwa haben in den letzten Jahren die Kundenzufriedenheit mittels intensiver Befragungen ermittelt.

Folge des vermehrten Eingehens auf die Kundenbedürfnisse ist die generell zunehmende Zeit, die ein Berater für seine Kundschaft aufwendet. Laut der Branchenerhebung ist die Anzahl Kunden pro Berater im vergangenen Jahr vor allem in der Betreuung des oberen Vermögenssegments gesunken. Kundenberater arbeiten neu nur noch mit einer Kapazitätsauslastung von 69 statt 75 Prozent wie im Jahr zuvor – dies schafft Freiraum. Laut Raoul Weil, Leiter Wealth Management International der UBS, betreute ein Berater bei der UBS vor zehn Jahren im Durchschnitt rund 400 Kunden. Heute liege dieser Wert bei den reichen Privatkunden zwischen 100 und 140.

Nebst verstärkter Personalisierung der Beratung ist der zweite grosse Trend im Schweizer Private Banking die Zunahme der Nachfrage nach neuen Finanzprodukten. Hedge Funds etwa haben in den Jahren, als die Aktienbörsen kriselten, gute Erträge gebracht und gelten auch vorsichtigen Kunden inzwischen als gängige Methode, ein Portefeuille zu erweitern. Es sind oft die Kunden selber, die auf solche Produkte zu sprechen kommen. Laut Alain Robert, bei der UBS Leiter Wealth Management Schweiz, stehen nebst den Hedge Funds auch Private-Equity-Produkte sowie Investitionen in Commodities (Rohstoffe) im Vordergrund. Die Ausbildung der Mitarbeiter in diesen Bereichen sei in den letzten Jahren forciert worden. «Der Kunde erwartet bei diesen Themen kompetente Erklärungen», ist Robert überzeugt.
Ganz generell will der Kunde in solchen Fällen das jeweils beste Produkt – unabhängig davon, ob es von seiner Bank selber stammt. Open Architecture heisst die Methode, dem Kunden nebst den Angeboten der eigenen Bank auch Konkurrenzprodukte zu vermitteln. Dieser Trend zur Öffnung der Produktpalette wird eher noch zunehmen. «Der Kunde goutiert es gar nicht, von seinem Berater mit bankeigenen Produkten bombardiert zu werden», sagt Bernard Stalder, CEO der Clariden-Bank.

Dennoch haben einzelne Banken dem Pushen eigener Produkte noch nicht gänzlich abgeschworen. So gibt etwa die CS für den Verkauf von Produkten bonusrelevante Ziele heraus. Damit spürt der Berater den erfolgreichen Verkauf am Schluss des Jahres im eigenen Portemonnaie, was dazu verleiten kann, mitunter eher ans eigene Wohl statt an jenes des Kunden zu denken. Ebenfalls gegen die Grossbanken spricht ihre immer noch recht hohe Fluktuation bei den Mitarbeitern. Bei der Credit Suisse lag die Fluktuationsrate in der Schweiz bei rund acht Prozent. Die Kunden mögen es nicht, immer wieder mit anderen Beratern konfrontiert zu werden. Banken mit niedrigem Personalwechsel – bei der Genfer Privatbank Pictet etwa liegt die Fluktuationsrate im Kader bei nur drei Prozent – kommen dem Kundenbedürfnis besser entgegen.

Auch wenn das Schweizer Private Banking immer noch das Herzstück des Privatkundengeschäfts ist, so liegt die Zukunft doch ausserhalb des Landes. Die Wachstumsmärkte liegen vor allem in Asien, im Mittleren Osten und in Osteuropa. Studien zeigen, dass in diesen Regionen der Reichtum am schnellsten zunimmt. Nachdem die Präsenz in Asien schon seit längerem ausgebaut worden ist, sind die Schweizer Banken im Mittleren Osten derzeit forciert daran, sich festzukrallen. In Dubai haben nach der Eröffnung des internationalen Finanzzentrums Ende 2004 gleich drei kotierte Schweizer Banken ihre Geschäfte aufgenommen, die Credit Suisse, Julius Bär und die Bank Sarasin. Die CS, wie die UBS in der Region schon seit längerem präsent, hat jüngst gar eine Börsenlizenz für das immer noch recht abgeschottete Saudi-Arabien erhalten.

Generell wird weltweit das Onshore Banking, also das Banking im Land selber, stets wichtiger. Dies gilt auch für Europa. Vorbei sind die Zeiten, als Deutsche, Italiener und Franzosen ihre Gelder massenweise ins Offshore-Paradies Schweiz verfrachteten. Steueramnestien und klarere politische Strukturen haben dazu geführt, dass vor allem die wichtige Gruppe der Entrepreneurs ihre Finanzgeschäfte vermehrt im eigenen Land machen wollen.

Im weltweiten Wettlauf vorne sind jene Banken, die das gesamte Spektrum an Dienstleistungen erbringen können. Die zunehmend globale Wirtschaft verlangt von den Unternehmern die Möglichkeit, auch über die Grenzen hinweg Fusionen oder Akquisitionen zu tätigen oder Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen.

Immer öfter wird dabei die Finanzierung des eigenen Unternehmens mit der Planung der persönlichen Finanzen verbunden. Schliesslich berühren sich die beiden Bereiche spätestens bei der Nachfolgeplanung. Die Repräsentanten der Banken selber halten die Verbindung von Private Banking und Investment Banking gar für den wichtigsten Trend des vergangenen Jahres. Die globalen Schwergewichte Credit Suisse und UBS konnten von diesem Trend in besonderem Masse profitieren. Beide Institute verkündeten jüngst Rekordgewinne für das abgelaufene Jahr – 14 Milliarden sind es bei der UBS, 5,9 Milliarden bei der CS.

Erik Nolmans
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