Pierin Vincenz hatte sich seine dritte Lebensphase zweifellos etwas anders vorgestellt. Nach den ungestümen Lernjahren folgten bei der Raiffeisenbank die Macherjahre – und nun sollten es die Strategiejahre werden. Der Blick fürs Grosse, für das, was wirklich zählt. Kurzum: Nach 20 Jahren bei der Raiffeisen-Gruppe, der drittgrössten Bank im Land, stellte sich Vincenz auf ein Leben als Verwaltungsratspräsident ein, als Chefstratege, der die grossen Linien vorgibt.

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Doch sein Dreiphasen-Lebensplan ist gründlich aus dem Lot geraten. Statt beschaulichere Zeiten hoch oben auf der Kommandobrücke geht’s drunter und drüber. Die letzte Störmeldung stammt von heute morgen: Die Raiffeisen-Gruppe verkauft ihre Beteiligung an der Softwarefirma Avaloq und jene an der gemeinsamen Tochterfirma Arizon.

Strategie-Schwenk

Es ist ein Strategie-Schwenk – und es ist ein Bruch mit Pierin Vincenz: Es war der Bündner Vincenz, der vor drei Jahren die enge Liaison zwischen Raiffeisen und Avaloq aufgleiste. Bei der Lancierung hatte er, der begnadete Kommunikator, noch verkündet: «Wir freuen uns, mit der Avaloq Gruppe einen hervorragenden Partner gefunden zu haben.» Im heutigen Communiqué ist nicht mehr vom hervorragenden Partner die Rede, sondern nur noch von einem «reinen Kunden-Lieferanten-Verhältnis». Raiffeisen ist der Kunde, Avaloq der Lieferant.

Bitter für Vincenz, der beim Aufgleisen der Kooperation voll in den Macherjahren stand. Bitter auch, weil er und seine Raiffeisen für die Allianz mit Avaloq einen hohen Preis bezahlten. Während er nämlich die enge Tech-Kooperation mit der Softwarefirma plante, zerbrach die lange und enge Verbindung zur Bank Vontobel. Die Zürcher Privatbank hatte jahrelang den Wertschriftenverkauf übers Vontobel-IT-System abgewickelt. Mit dem Schwenker zu Avaloq war die enge Kooperation mit Vontobel im Eimer.

Anwälte untersuchen

Die heutige Raiffeisen-Führung unter Patrik Gisel hat die kapitalmässige Verflechtung zwischen Raiffeisen und Avaloq nun gekappt. Es ist nicht der erste Bruch mit der Ära Vincenz, der vor zwei Jahren die Genossenschaftsbank verliess. Nach dessen Verabschiedung hatte Gisel bei einer Anwaltskanzlei einen Bericht angefordert, der die Vergangenheit in Sachen Corporate Governance ausloten sollte. Die interne Untersuchung zur Vergangenheitsbewältigung gipfelte in einem Enforcement-Verfahren, das die Finanzmarktaufsicht Finma nun gegen Vincenz anstrengt.

Auch die kapitalmässige Entflechtung zwischen der Raiffeisen-Gruppe und der Versicherung Helvetia gehört ins Kapitel «Distanzierung vom langen Schatten des Pierin Vincenz». Vor ein paar Jahren hatte dieser eine Beteiligung an der Helvetia Versicherung aufgebaut; vor zwei Monaten verkaufte Raiffeisen das 4-Prozent-Paket an der Versicherung wieder. Mit einer Begründung, die eine Absage war an die Diversifikation-Strategie von Vincenz. Man wolle sich künftig wieder verstärkt aufs Kerngeschäft konzentrieren, gab die Raiffeisenbank zu Protokoll.

Fingerzeig-Deal

Dasselbe Muster gabs bereits früher beim Asset Management: Dieses hatte Vincenz mit Tatendrang und noch mehr Ambitionen ausgebaut. Weil das Geschäft innerhalb der Raiffeisen-Gruppe aber nie in die Gänge kam, stiess es Gisel im Sommer 2016 wieder ab. Der Deal war ein Fingerzeig: Abnehmer des Asset Management war ausgerechnet die Vontobel-Gruppe, mit der sich Vincenz einst gründlich verkracht hatte. Gisel aber, selber ein alter Vontobel-Mann, kann es – zeigt der Verkauf des Asset Management – sehr gut mit Vontobel.

Intern fragt man sich, was denn noch aus der Ära Vincenz übrig bleibt. Klar, Vincenz hat die Bank mit seiner Dynamik beflügelt, hat sie mit seinem expansiven Temperament zur Nummer 1 im Schweizer Hypothekarmarkt gemacht. Wer heute an eine Hausfinanzierung denkt, denkt zuerst an Raiffeisen. Zudem hat er die Stellung der Raiffeisen als gewichtigen und glaubwürdigen Player im Retailbanking gestärkt. Mit den Unternehmerzentren hat er sich als einer der ersten den Sorgen und Nöten der KMU-Unternehmer angenommen. Als den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse in der Finanzkrise die Kunden in Scharen davon liefen, war Raiffeisen eine gefragte Adresse. Auch mit dem Schritt ins Privatbanking – verbunden mit dem Kauf der Bank Wegelin (heute Notenstein) – ist ihm ein Coup geglückt. Doch es bleibt nun seinem Nachfolger Gisel, die Notenstein-Privatbank endlich in die Gänge zu bringen.

Kapitalbasis stärken

Einher ging mit dem Ausbau der Macht und Marktstellung freilich auch der verschärfte Blick der Finma. Sie erklärte die Raiffeisen-Gruppe 2014 zur «too big to fail»-Bank. Das war zwar gut für die Reputation der Bank und für die Ambitionen des Pierin Vincenz. Doch der Aufstieg zur systemrelevanten Bank hatte auch ihren Preis. Weil die Bank ihr Hypothekargeschäft stark ausgebaut hat, musste die Kapitalbasis gestärkt werden. Der Wille nach mehr Kapital ist einer der Gründe, weshalb sich Vincenz-Nachfolger Gisel von diversen Beteiligungen trennte, die Vincenz einst aufgebaut hatte. Der Verkauf der Avaloq-Beteiligung ist eine davon.