Kein Kopf dreht sich, als der Milliardär den Raum betritt. Protz ist nicht Sache des André Hoffmann – er trägt einen schlichten Anzug, und ein Pullover schützt ihn vor der Londoner Winterkälte. Eingeladen hat der Milliardenerbe in den Groucho Club im Zentrum der Stadt, den er einst selber mitgegründet hat. Der Name geht zurück auf den amerikanischen Komiker Groucho Marx, der seinen Austritt aus einem Club einst mit dem legendären Satz begründet hatte, er möge keinem Club angehören, der ihn als Mitglied aufnehme.

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Der Ort ist passend gewählt – die Mischung aus Witz, Understatement und realer Bedeutung symbolisiert auch André Hoffmann: Der 54-jährige, etwas tapsige Hüne ist Vertreter einer der mächtigsten Industriellenfamilien der Welt, des Oeri-Hoffmann-Clans, Mehrheitsbesitzer des Pharmakonzerns Roche.

Jahrelang hielt sich André Hoffmann trotz seiner Rolle als Sprecher der Familie öffentlich zurück. Das ändert sich nun mit dem angekündigten Rücktritt von Roche-Präsident Franz Humer – dem aktuellen Anlass für das Gespräch in London mit der BILANZ. Der Abgang des Firmenlenkers, der als CEO und Verwaltungsratspräsident den Pharmagiganten 15 Jahre lang geprägt hat, ist eine Zäsur, nicht nur für den Konzern, sondern auch für die Besitzerfamilie. Denn mit Humers Abgang soll auch das Machtgefüge bei Roche neu definiert werden.

Zwar kontrollieren die Eigentümer das Unternehmen seit Jahrzehnten: Dank Stimmrechtsaktien besitzt die Familie mit ihrem Kapitalanteil von knapp 10 Prozent 50,01 Prozent der Stimmen – 45,01 Prozent hält der durch André Hoffmann vertretene Familienpool, 5 Prozent dessen Cousine Maja Oeri, die ihre Stimmrechte selbständig ausübt.

Doch auch wenn die Familie mit André Hoffmann und dessen Cousin Andreas Oeri seit 1996 im Verwaltungsrat von Roche sitzt, hielt sich der Mehrheitsaktionär bisher zurück. Starke Präsidenten – vor Humer wirkte dessen Vorgänger Fritz Gerber als dominante Figur – prägten Roche nach innen wie nach aussen. Das soll nun anders werden: «Der nächste Präsident wird ein nicht-exekutiver Chairman sein», sagt Hoffmann, und er betont: «Der Humer-Nachfolger muss nicht zwingend Pharmakenner sein.»

Aus dem bestehenden Pool der Verwaltungsräte wird ein Nachfolger mit Erfahrung in der Führung eines Grosskonzerns gesucht. Dieser «Nicht-Insider» soll mit CEO Severin Schwan, der neu im Verwaltungsrat sitzt, eng zusammenarbeiten, so Hoffmann. Das Pharma-Know-how werde künftig primär durch den operativen Chef im Rat vertreten.

Zugleich wertet das neue Führungskonstrukt die Verantwortung der Besitzerfamilie auf. Ein «Dreieck aus Non-Executive Chairman, CEO und Mehrheitsaktionär» schwebt Hoffmann vor. Es löst erstmals die Prädominanz eines einzelnen starken Präsidenten ab. «Die Familie wird damit künftig eine stärkere Rolle spielen», sagt Hoffmann. Sie drängt erstmals offen an die Macht.

Prominenter Wunschkandidat

Der Wandel hat bereits begonnen. Als Vizepräsident schon bisher in wichtiger Position, wirkt Hoffmann seit der Generalversammlung vom April auch als Chef des Vergütungskomitees. Es ist eine Schlüsselposition – wer zahlt, befiehlt.

Die Auswahl des neuen Präsidenten wird der nächste wichtige Schritt, der nicht nur Humer überlassen bleiben soll. «Der Familienpool beeinflusst massgeblich, wer im Verwaltungsrat sitzt, weil wir die Generalversammlung kontrollieren», betont er. Das sei laut Aktienrecht im Grunde ja «die eigentliche und einzige Macht» des Aktionärs. «Dass die Familie auch eine entscheidende Rolle in der Wahl des neuen Chairmans spielen wird, folgt daraus.» Mit der Annahme der Minder-Initiative würden die Aufgaben des Aktionärs ja eher noch gestärkt, etwa indem die Generalversammlung gesetzlich zwingend den Verwaltungsratspräsidenten bestimmen müsse.

Auch wenn Hoffmann selber zu möglichen Kandidaten keine Angaben machen will, ist die Frage laut Firmeninsidern in Gesprächen zwischen Familienpool, Humer und weiteren Verwaltungsräten bereits vorgespurt. Als interner Wunschkandidat soll sich dabei VR-Mitglied Peter Voser herauskristallisiert haben. Als Chef von Shell leitet er einen Weltkonzern, multinational wie Roche und ebenfalls börsenkotiert. Der 54-jährige Schweizer, der noch immer in Widen im Aargau wohnt und dort die Wochenenden mit seiner Familie verbringt, verfügt über die zur Roche-Kultur passende Bodenhaftung. Zugleich lebt Shell wie Roche von langfristigen Investitionen. Langfristigkeit ist ein Punkt, der gerade Clanchef Hoffmann wichtig ist. Besteht doch Roches Erfolg in den hohen Forschungsinvestments, und an dieser Strategie soll das Unternehmen festhalten. «Wir wollen einen Chairman, der die Vision von Roche als forschungsbasiertem Unternehmen teilt und diesen Weg mit uns geht», sagt Hoffmann.

Fraglich ist, ob sich Voser von Shell wird weglocken lassen, ist der CEO-Job beim Erdölmulti doch eine der wichtigsten Managementfunktionen weltweit. Sollte Roche konsequent auf das englische Modell eines Non-Executive-Chairmann setzen, dürfte das Salär kaum mehr als eine Million Franken betragen – wenig attraktiv für den Shell-Chef, der jährlich inklusive Bonus-Aktien um die zehn Millionen Franken verdient.

Mehr Einfluss für den CEO

Weiter auf der Shortlist sollen sich auch Nestlé-CEO Paul Bulcke sowie Hilti-Obmann Pius Baschera befinden. Bulcke ist aber noch schwieriger aus dem Nestlé-Kosmos herauszulösen als Voser aus Shell. Er fühle sich dort sehr wohl, sagen zwei enge Kenner des Managers. Für den analytisch starken Baschera spricht, dass er mit Hilti ein Unternehmen führt, das ebenfalls von einer Familie geprägt wird. Allerdings ist Hilti ein paar Nummern kleiner als der Weltkonzern Roche und nicht börsenkotiert.

Im neuen Führungsdreieck wird auch die Macht von CEO Severin Schwan steigen. Fortan ist er der Einzige, der das komplexe Forschungskonstrukt des Konzerns überblickt und beherrscht. In Humers Schatten hat Schwan über die vergangenen Jahre an Einfluss gewonnen. Ihm verdankt Roche die Integration der US-Biotech-Tochter Genentech – ein kniffliges Unterfangen angesichts der gegensätzlichen Kulturen auf Basler und amerikanischer Seite.

Schwan spielt seine Stärken aus: Ausgeglichen und ruhig, geradezu zurückhaltend tritt er auf, setzt seine Strategie und Meinung aber sehr bestimmt durch. So brach Schwan jüngst mit der Roche-Tradition und schloss den US-Forschungsstandort Nutley in New Jersey – einst einer der wichtigsten Grundpfeiler für den Aufstieg des Konzerns. «Schwan wird die nächsten Jahre den Konzern prägen», sagt ein enger Wegbegleiter der Roche-Spitze.

Die Familie ihrerseits wird im neuen Konstrukt nicht nur mehr Macht haben, sondern auch mehr Verantwortung. Hoffmann ist gefordert, den Clan zusammenzuhalten, will er das neue Konstrukt langfristig absichern.

Diese Aufgabe wird schwer, ist die Oeri-Hoffmann-Familie doch alles andere als ein einheitliches Gebilde. Und nicht nur das: Kein Mitglied der heutigen Generation hat es je ins Unternehmertum verschlagen. Kunst, Architektur und Medizin interessieren mehr als die Wirtschaft. Wie ihre Eltern hatten die heutigen Hoffmanns und Oeris stets starke Männer ausserhalb der Familie, welche die Strategie von Roche bestimmten und den Clan lenkten – und die Familie auf diese Weise auch vom Unternehmen fernhielten (siehe «Geforderte Familie»). So konnte sich die Familie in Ruhe mit ihren vielen Stiftungen und Interessen ausserhalb der Firma befassen. Einzig André Hoffmann hat sich mehr wirtschaftlichen Background angeeignet.

Ein Clan von 22 Personen

Mit dem nötigen Interesse und Wissen wäre ein Schulterschluss innerhalb des Clans leicht, ist er doch überschaubar: Die Nachkommen von Firmengründer Fritz Hoffmann umfassen in dritter, vierter und fünfter Generation gerade einmal 22 Personen (siehe Stammbaum rechts). Einziger lebender Vertreter der dritten Generation ist der 90-jährige Lukas Hoffmann, der Vater von André. Kern des Clans bilden die neun Vertreter der vierten Generation, welche die Familie auch im Verwaltungsrat von Roche repräsentieren. Der Hoffmann-Zweig besteht aus André Hoffmann und seinen drei Schwestern Vera, Maja und Daria – der Oeri-Zweig aus Andreas Oeri und seinen vier Schwestern Sabine, Catherine, Beatrice und Maja.

Die Aktien sollen laut Firmenkennern bei der Erbfolge gleichmässig auf die Zweige verteilt worden sein: 25 Prozent auf die Oeri-Seite, 25 Prozent auf die Hoffmann-Seite. Dabei wirkt der Hoffmann-Zweig heute kompakter als die Oeri-Linie. Für Aufsehen sorgte vor zwei Jahren der überraschende Austritt von Maja Oeri aus dem Pool. Sie wolle ihre fünf Prozent Stimmen zukünftig ausserhalb des Pools wahrnehmen, liess Maja die verdutzte Familie wissen. Mit dem Austritt sank die Zahl der vertretenen Stimmen auf 45,01 Prozent und damit unter die Mehrheitsschwelle. Prompt schoss der Aktienkurs von Roche aufgrund neu entfachter Übernahmespekulationen in die Höhe. Schliesslich hat Roche seit 2001 mit dem Lokalrivalen Novartis einen Aktionär im Nacken, dem über 30 Prozent an Roche gehören und dessen Fusionsabsichten stets am unüberwindbaren Bollwerk der Oeri-Hoffmann-Familie abgeprallt waren. Hals über Kopf versuchten André Hoffmann und andere Familienvertreter mit beschwichtigenden Aussagen in der Presse die Wogen zu glätten: «Nein, wir haben keinen Krach in der Familie.»

Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, vor allem weil Maja keine Absichten zeigte, ihre Anteile zu verkaufen, und an der Generalversammlung für die Anträge des Verwaltungsrats stimmte – wie auch der Familienpool. Maja Oeri gilt als selbstbewusst und eigensinnig – sie wollte sich in ihrer Unabhängigkeit nicht einschränken lassen. Die international tätige Kunstmäzenin weilt den Grossteil ihrer Zeit in ihrem zweiten Zuhause in New York.

Der Älteste als Integrationsfigur

Es war allerdings bereits der zweite Schock in nur zwei Jahren. 2009 hatte bereits ihre Schwester Beatrice Oeri den Austritt vollzogen, allerdings waren deren Anteile damals vom restlichen Familienzweig übernommen worden, wodurch sich an den Mehrheitsverhältnissen nichts änderte. Im Rahmen des Austritts von Beatrice brachte der Oeri-Zweig die fünfte Generation in den Pool ein, in Form von Lukas und Jörg Duschmalé, den beiden Söhnen der ältesten Oeri-Schwester Sabine. Für André Hoffmann im Endresultat gar ein ermunterndes Ergebnis: «Ja, wir sind durch eine schwierige Phase gegangen – aber gestärkt daraus hervorgegangen», ist er heute überzeugt.

Doch auch sonst ist der Clan gegen Animositäten und interne Reibereien nicht gefeit. Das Heu nicht auf der gleichen Bühne sollen die beiden Majas haben: die erwähnte Maja Oeri und Maja Hoffmann, Schwester von André. Wie ihre Cousine ist auch Maja Hoffmann im Kunstbereich aktiv, was eifersüchtiges Konkurrenzdenken zur Folge haben soll, wie Vertraute berichten. Andererseits tritt der Clan auch immer wieder als Gemeinschaft auf. So sind alle Mitglieder im Sommer zum Familienfest anlässlich des kürzlich erfolgten neunzigsten Geburtstags von Lukas Hoffmann geladen.

Der betagte Patriarch gilt als Integrationsfigur im Clan. Er ist auch sonst ein hoch angesehener Mann. Er ist Mitbegründer des WWF und gilt weltweit als einer der Pioniere im Umwelt- und Tierschutz. Noch heute ist er wie schon in den Jahren zuvor ein wichtiger Ratgeber seines Sohnes André. Ihn hatte er einst ermutigt, sich im Unternehmen stärker für die Familie zu engagieren. Der junge Hoffmann tat es aus Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Familie. Seine Vita zeigt eher, wie zerrissen er gewesen sein muss zwischen der Pflicht und dem Willen, den eigenen Weg zu finden.

Rund um sein Gut La Tour du Valat in Südfrankreich unterhielt der Senior ein Naturschutzgebiet. Dort wuchs André Hoffmann auf, zusammen mit seinen drei Schwestern, von denen die Jüngste, Daria, das Down-Syndrom hat. Die Familie lebte naturnah und in einfachsten Verhältnissen – «die hatten nicht einmal elektrisches Licht», erinnert sich ein Besucher.

Gesellschaftliche Präsenz

Später zog die Familie nach Genf. André brach zwei Studien ab, es zog ihn nach London, er lebte in Kensington. Noch heute besitzt Hoffmann eine Residenz in der Stadt an der Themse. In England lernte er auch seine Gattin Rosalie Coombe-Tennant kennen, eine gelernte Verlagsfrau. Dank einem MBA von Insead in der Tasche, vergangenen Tätigkeiten als Wertschriftenhändler für den britischen Broker James Capel oder als Projektleiter für Nestlé UK ist er der Vertreter der Familie mit dem breitesten Finanz- und Wirtschafts-Know-how. Im Verwaltungsrat von Roche fällt er mit kritischen Fragen und intelligenten Analysen auf.

Dagegen spielt der zweite Familienvertreter im Verwaltungsrat, Andreas Oeri, eine wesentlich zurückhaltendere Rolle. Der studierte Mediziner, der in Basel als Orthopäde arbeitet, ist weit weniger international als sein Cousin. Aus dem Umfeld des Verwaltungsrates legte man ihm in der Vergangenheit gar nahe, sein Englisch durch Kurse zu verbessern, um im Gremium mithalten zu können – im Roche-Board wird seit Jahren Englisch gesprochen. Oeris Herz schlägt eher für den Fussball, eine Leidenschaft, die er mit seiner Gattin Gisela, genannt Gigi, teilt. Als Geldgeberin und Präsidentin des FC Basel prägte diese von 1999 bis 2012 den Club entscheidend mit. Bis heute unvergessen ist ihr Einzug in die Teamgarderobe nach der gewonnenen Meisterschaft 2002, als sie im blau-roten Ganzkörperanzug zusammen mit den Spielern in den Whirlpool stieg.

In fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist der Clan präsent. Beatrice Oeri fördert den Jazz und sorgte mit ihrem finanziellen Engagement für die neue Zeitung «TagesWoche» für die Erhaltung der Medienvielfalt in Basel. Im Buchverlagswesen tätig ist die Schwester von André, Vera Michalski. André Hoffmann wiederum setzt sich wie schon sein Vater für ökologische Belange ein, etwa als Vizepräsident beim WWF International.

Eine halbe Milliarde Dividende

Insgesamt wendet der Oeri-Hoffmann-Clan für Sponsoring und Mäzenatentum jährlich Dutzende von Millionen Franken auf. Das Geld dafür stammt aus den üppigen Dividendenzahlungen, welche die Familienmitglieder garnieren. 2012 schüttete Roche an die Familie insgesamt rund eine halbe Milliarde Franken aus. Mit der Verantwortung des Geldes komme auch das Bedürfnis, damit etwas zu tun. Das gelte für ihn wie auch für seinen Cousin und seine Cousinen. «Einfach zu Hause zu sitzen und Coupons zu schneiden, ist nicht unsere Sache», so André Hoffmann.

Nicht nur das Kulturleben in Basel weiss, was es an den Oeri-Hoffmanns hat, sondern auch der Staat. Jahr für Jahr füllen ihre Zahlungen die Steuerkasse. Der Clan ist die reichste Familie der Schweiz – das Paket des Pools ist über 15 Milliarden Franken wert, die Roche-Aktien von Maja Oeri 1,7 Milliarden. Fast 60 Millionen Franken an Dividendenzahlungen konnte die Abtrünnige kassieren.

Welche Steuerkraft ein Clanmitglied entfaltet, ist am Wohnort von André Hoffmann sichtbar. Vaux-sur-Morges, wo er mit seiner Familie residiert, ist ein Dorf mit nur 170 Einwohnern. Hoffmann sorgt für über 90 Prozent der Steuereinnahmen im Ort – über den kantonalen Umverteilungsmechanismus profitiert zudem die halbe Umgebung mit.

Angesichts der mit viel Herzblut betriebenen kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten wird das Engagement der Clanmitglieder in Sachen Roche immer wieder unterschätzt. Mit ihrer Beurteilung, die Familie möge sich nicht recht um ihren Besitz am Unternehmen kümmern und biete darum eine Möglichkeit für Übernahmen, schätzten potenzielle Raider die Lage wiederholt falsch ein.

Der Erste, der die Festung erobern wollte, war Ende der achtziger Jahre Milan Panic, Amerikaner jugoslawischer Herkunft und Gründer der kalifornischen Biotechfirma ICN. Überraschend hatte Panic ein Aktienpaket von 8,7 Prozent der Roche-Stimmen geschnürt und drohte mit der Übernahme von Roche.

Das weckte bei der Familie tiefste Ängste aus der Vergangenheit. Schon einmal nämlich war die Mehrheit verloren gegangen – in den schwierigen Jahren der Zwischenkriegszeit. Von 1920 bis 1945 besass die Familie nur eine Minderheit. 1920 waren die Hoffmanns bei einer Kapitalerhöhung finanziell nicht mehr in der Lage gewesen, neue Aktien zu zeichnen. Die Basler Handelsbank kaufte einen Grossteil der Papiere. Doch Paul Sacher, zweiter Ehemann der Witwe des jung verstorbenen Gründersohns Emanuel, konnte die Mehrheit für die Familie zurückerobern. Denn die Basler Handelsbank hatte nach den Kriegsjahren wegen Verlusten in Deutschland grosse Probleme. Sacher gelang es, die Roche-Aktien aus der Liquidationsmasse der Bank herauszulösen.

Vom Regen in die Traufe

Seither gilt der Grundsatz, diese Pfründe nie mehr aus den Händen zu geben. Wichtigster Mitkämpfer gegen Panic wurde Henri B. Meier, damals Roche-Finanzchef. Der gewiefte Finanzspezialist inszenierte einen vorübergehenden Kurssturz der eigenen Inhabertitel – Panic musste seine mit Fremdkapital unterlegte Roche-Beteiligung umgehend losschlagen. Unter Meiers Ägide wurden die Aktien repatriiert und fanden zuletzt Unterschlupf unter dem Dach der Glarner Beteiligungsgesellschaft PharmaVision. Meier wurde später zusammen mit Fritz Gerber und Franz Humer zum Architekten der heutigen Roche, verhandelte er doch die wichtigsten Neuzukäufe, wie die Übernahme der Mehrheit vom US-Pharmahersteller Genentech oder den Kauf von Boehringer Mannheim, die heute das Rückgrat der sehr wichtigen Diagnostiksparte darstellt.

Doch mit der Platzierung von Roche-Aktien in der PharmaVision geriet Roche vom Regen in die Traufe: BZ-Banker Martin Ebner, in den neunziger Jahren ein gefürchteter Firmenjäger, übernahm die PharmaVision und machte sie zum Kern seiner Roche-Beteiligung, die er auf rund 20 Prozent ausbaute. Erstmals wurde die Besitzerfamilie persönlich angegriffen, Ebner warf ihr vor, sich zu wenig für die Firma zu interessieren, und forderte einen Platz im Verwaltungsrat. Die Familie liess Ebner abblitzen, war aber erstmals gefordert, in der Öffentlichkeit aufzutreten, um ihr Engagement zu betonen.

Zermürbt vom erfolglosen Anrennen, verkaufte Ebner 2001 seine 20 Prozent an Novartis. Der CEO des Lokalrivalen, Daniel Vasella, nutzte seine neue Beteiligung umgehend, um Roche zu einer Fusion zu drängen. «Da waren wir zum ersten Mal wirklich alarmiert», erinnert sich André Hoffmann, «es war für die Familie ein Schock.» Dass Vasella dieses Paket übernahm, ohne vorher mit dem Mehrheitsbesitzer zu reden, wurde in der Familie als Zeichen schlechten Stils gewertet. Doch der Angriff schweisste die Roche-Repräsentanten noch enger zusammen, gemeinsam mit Präsident Franz Humer liess die Familie den Angreifer abblitzen.

Die Festung hielt auch stand, als Novartis ihre Beteiligung in der Folge auf rund 30 Prozent aufstockte. Dass mit dem Rücktritt von Vasella bei Novartis und von Humer bei Roche in dieser Frage eine Öffnung stattfinden könnte, weist André Hoffmann klar von sich: «Eine Fusion von Roche mit Novartis steht überhaupt nicht zur Debatte. Sie macht heute noch weniger Sinn als früher.» Zu verschieden seien der fokussierte Forschungskonzern Roche und das Konglomerat Novartis. Eine Fusion bringe zudem Unruhe in ein Unternehmen, für einen langfristig ausgerichteten Konzern wie Roche sei dies nicht gut.

Ob die Familie ihr Bollwerk auch in den nächsten Jahrzehnten wird verteidigen können, hängt davon ab, wie sie sich intern organisiert. Schritt für Schritt muss die nächste Generation in die Verantwortung genommen werden. Es gebe dazu einen Plan, sagt André Hoffmann, doch dazu wolle er noch nichts sagen. Gut möglich, dass über kurz oder lang mehr als nur zwei Oeri-Hoffmanns im Roche-VR vertreten sein werden: «Künftig wird es vermutlich mehrere Familienstämme geben. Da werden wir uns etwas einfallen lassen.»

Noch sind die meisten der insgesamt zwölf Kinder, welche die fünfte Generation ausmachen, im Schul- oder Gymnasiumsalter. Die ältesten Vertreter der jungen Garde, die beiden Söhne von Sabine Oeri-Duschmalé, wurden schon 2009 in den Pool aufgenommen. Doch auch die beiden Endzwanziger sind noch in der Ausbildung. Der 1985 geborene Lukas Duschmalé studiert an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Uni Basel. Sein um ein Jahr älterer Bruder Jörg schlägt eine wissenschaftliche Laufbahn als Doktorand an der ETH Zürich ein. Die Kinder von André Hoffmann sind 23, 21, 18 und 16 Jahre alt. Der Älteste studiert in Grossbritannien Mathematik und Physik.

Vererbte Nonchalance

Die Kinder der jüngsten Generation werden immer mal wieder am Firmensitz in Basel gesehen, um Unternehmensluft zu schnuppern, Jörg Duschmalé etwa war von 2003 bis 2004 Berufspraktikant. Ein weiter gehendes Engagement lässt sich nicht erkennen. Dafür vernetzt man sich gerne bei gesellschaftlichen Aktivitäten: André Hoffmanns Nichte Tatiana Michalski, Tochter seiner Schwester Vera, sass zwei Jahre in Hoffmanns Naturstiftung Fondation pro Valat. Sie interessiert sich für Architektur, während ihre Schwester Catherine gerade in New York ein Kunststudium abschliesst.

Eine Generation wächst da heran, die sich wie jene ihrer Eltern bislang nicht selbst dem Unternehmertum verschreiben mag. Ein langjähriger Wegbegleiter der Familie sorgt sich darum, wie stark ihr Drang nach dem Konzern künftig sein werde. «In 30 Jahren wird die Familie zerfasert sein», prophezeit er.

Der Hang zur witzigen Nonchalance im Sinne von Groucho Marx, die auch die Generation von André Hoffmann auszeichnete, scheint sich auf die fünfte Generation vererbt zu haben. Zu hoffen dürfte jedenfalls sein, dass der Titel der Maturaarbeit von Lukas Duschmalé am Freien Gymnasium Basel keine Rückschlüsse auf seine Interessen am Pharmakonzern erkennen lässt. Das Thema lautete: «Nichterscheinen bei Prüfungen als Überlebensstrategie».

Erik Nolmans
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