Eigentlich wollte Andreas Meyer auf eine Skitour gehen. Freiheiten von seinem Job nimmt er sich selten, aber an Geburtstagen gönnt er sich einen freien Tag. An diesem 9.  April jedoch sitzt der SBB-Chef im Büro. Den Ausflug musste er sausen lassen wegen eines Termins vor der Verkehrskommission des Nationalrats. Immerhin trudelt er später ein als sonst – gegen 7.15 Uhr –, weil er nach dem «Spörtlen» mit der Familie länger als üblich frühstückte. Den Parlamentstermin musste er schon einmal verschieben. Ein zweites Mal um Aufschub zu bitten, erlaubte er sich nicht. Er werde aber seine Sachen «ins Büro werfen», sobald die Sitzung vorbei sei, und den Geburtstag feiern – «den letzten mit einer Vier vorneweg».

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Keine frohe Botschaft. Etwas über drei Jahre ist es her, seit der gebürtige Basler weg von der Deutschen Bahn an die Spitze der SBB geholt wurde. Für eine schwierige Aufgabe. Nach der unternehmerischen Aufbruchphase durch die Privatisierung und einer ersten Zeit des Ausbaus mit Bahn 2000 unter Benedikt Weibel stehen in der Ära Meyer Aufgaben an, die «nicht wahnsinnig spektakulär sind», wie er selber sagt. Nun seien «Professionalisierung und Transparenz» angesagt. Meyer listet auf: Positionierung im internationalen Personenverkehr, Folgekosten der Infrastrukturinvestitionen, Cargo, Sanierung der Pensionskasse, Neuaushandlung der Gesamtarbeitsverträge: «Wir müssen unangenehme und anspruchsvolle Hausaufgaben angehen, da kann man nicht oft frohe Botschaften verkünden.»

Die Zeit als CEO ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Schon beim Amtsantritt vor drei Jahren durchtrainiert und schlank, hat er seitdem sichtlich an Gewicht verloren. Bei seiner Arbeit verlangt er allen voran sich selber eine gnadenlose Dynamik ab. Es rumort im Staatsbetrieb, das System und die Kultur SBB vertragen das eisern einfordernde Management Meyers schlecht. «Der Missmut wächst», titelte die «Berner Zeitung» am 22. Dezember 2009, «Wie verkracht ist die SBB-Spitze?», der «Blick» nur einen Tag später – die Klagen über den forschen CEO haben längst den Weg in die Presse gefunden. «Wenn man etwas anpackt, ist es manchmal unbequem», entgegnet er und fügt mit Nachdruck an, das mache ihm «keine Freude». Müsse er sich «von jemandem trennen», dann sei das «immer eine grosse Belastung, aber manchmal muss man es einfach tun». Seit seinem Antritt war dies oft der Fall. Fast die gesamte Konzernleitung ist neu besetzt, die Wechsel erfolgten aus «völlig unterschiedlichen Gründen», betont Meyer. Doch der Exodus ist auffällig. Nicht nur aus der Geschäftsleitung, sondern auch aus den Divisionen verabschiedeten sich viele Fachleute (siehe «Neue Ära: Topmanagement fast vollständig ausgewechselt» unter 'Weitere Artikel').

«Ich habe eine Standortbestimmung für mich vorgenommen», erklärt ein Ex-SBB-Kadermann vorsichtig, und er habe «ganz wertfrei festgestellt», dass er im neuen Umfeld nicht weitermachen wolle.

Ob gut oder schlecht, wolle er nicht einmal beurteilen, es sei unter Meyer einfach anders, beschreibt ein Insider: «Da werden Werte verschoben, die Kultur ‹geshiftet›.» Man müsse Sorge tragen, meint ein anderer langjähriger Ex-Kadermann, dass die neue Führungskultur die «Identifikation und Identität der SBB-Familie» nicht beschädige. Andere sehen das ungerührter: «Mit der wolkigen Wohlfühlkultur seines Vorgängers zu brechen, ist eben kein angenehmer Job», erklärt ein Berater. «Meyer ist sicher der richtige Mann für die SBB – aber er muss seinen Führungsstil gewaltig korrigieren.»

Traum und Albtraum. Zugleich aber muss Meyer grosse Herausforderungen angehen. Einfach werden die kommenden Jahre nicht. Die Kapazitäten des Schweizer Bahnnetzes sind ausgeschöpft wie in keinem anderen Land, und die Nachfrage nimmt stetig zu. Was wie der Traum eines Unternehmers klingt, kann im Fall eines Infrastrukturanbieters wie der SBB zum Albtraum werden. Als Ausnahmeerscheinung in Europa haben die Schweizer sogar 2009 wachsende Passagierzahlen verzeichnet. Oder besser: verkraftet. Eine Analyse der Beratungsfirmen Ernst Basler + Partner sowie Roland Berger, vor einem Jahr von den SBB in Auftrag gegeben, zeigt klar die Grenzen des Wachstums auf: Die Infrastruktur – Gleise und Schienen – gibt unter der Belastung nach, seit 2005 haben Verformungen und Schienenbrüche um nahezu 70 Prozent zugenommen. Meyers Vorgänger Benedikt Weibel, der bis Ende 2006 amtierte, vernachlässigte offensichtlich den Unterhalt der Fahrwege.

So beliebt der joviale Weibel auch war, unter Branchenleuten herrscht Einigkeit, dass bei den SBB nach dem Ausgliedern aus der Bundesverwaltung 1999 und dem Aufstellen der SBB in Divisionen organisatorisch «nicht mehr viel passiert ist». Die ehemalige stolze Behörde sei im Herzen eine solche geblieben. Und traf mit Meyer auf einen, der gern selber in den Maschinenräumen nachschaut, ob die Motoren noch sauber laufen. Aber «Eisenbahnunternehmen zeichnen sich durch grosses Beharrungsvermögen aus», sagt Maria Leenen, Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens SCI Verkehr. Meyer selbst spricht niemals schlecht über seinen Vorgänger – allenfalls leicht distanziert von «Herrn Weibel». Viele kritische Fragen, die sich Meyer stellen lassen muss, sind Weibels Hinterlassenschaft: neben dem Zustand der Fahrwege vor allem die Sanierungsbaustelle Cargo.

Das Frachtgeschäft war der drängendste Brandherd. Im Inland war es grundsätzlich lukrativ, die SBB erfüllten aber, wie Konzerninsider berichten, «jeden Sonderwunsch blind, ohne die Kosten zu kalkulieren». Im liberalisierten internationalen Verkehr versuchten die Schweizer auf Biegen und Brechen, Marktanteile zu gewinnen, und waren berüchtigt für Billigangebote auf der Nord-Süd-Achse Rotterdam–Genua. Meyer sagt nur vornehm: «Wir hatten international Verbindungen, mit denen wir kein Geld verdienten.» Der sanierungsgestählte Chef konterte mit einem Sparprogramm. Er strich unrentable Angebote im Ausland, in der Schweiz werden nun «Leistungen und Prozesse standardisiert». Damit hat Meyer das Steuer Richtung Profitabilität herumgerissen, aber er wird Zeit brauchen, bis der Tanker gedreht hat: Sämtliche Kundenbeziehungen müssen durchleuchtet und teilweise umgestellt werden; da sich viele auf die SBB verlassen, kann das nur in langsamen Schritten erfolgen. Ausserdem muss der schwächliche Cargomarkt anspringen. Immerhin, der Anfang ist gemacht. Meyer sagt, seine Erfahrung sei: «Jedes Mal, wenn man Kostentransparenz in einen Prozess hineinbringt, ist es der erste Schritt, um weiteres Optimierungspotenzial zu finden.»

Das klassische Betätigungsfeld dafür ist der Materialeinkauf. Die SBB geben hier jährlich 3,5 Milliarden Franken aus. Zuvor bestellten Abteilungen oft autonom und nebeneinanderher, nach den Wünschen der zuständigen Ingenieure. Auch im Einkauf startete Meyer 2007 ein Reformprojekt, 2009 kam der Abschlussbericht: Die angepeilten 150 Millionen Franken Sparvolumen waren erreicht, 2011 sollen weitere Schritte folgen. In der SBB-Beschaffung «ist heute die Perspektive der Ingenieure von Anfang an verbunden mit einer Kontrolle der Kosten», sagt Carsten Vollrath, Managing Director der Beratungsfirma Arthur D. Little Schweiz. Meyer übertrug der Division Infrastruktur nun die zentrale Verantwortung für Einkauf und Qualitätsmanagement. Zuvor habe konzernweites Denken kaum stattgefunden, sagt ein Ex-SBB-Mann.

Wer darf was? Was es ebenfalls nicht gab, aber in jedem KMU eine Selbstverständlichkeit ist: klare Verantwortlichkeiten für die Kaderangehörigen. Immer wieder gab es Diskussionen, ob einer etwas tun dürfe oder wessen Pflicht es sei, etwas zu erledigen. «Dass es eine Arbeitsplatzbeschreibung etwa für den Finanzchef einer Division gibt, ist state of the art», betont Meyer. Jetzt gibt es sie. Meyer hat «einen veränderten Führungsanspruch: Er wollte Traditionen hinterfragen und den Konzern durchschütteln», sagt Vollrath und fügt hinzu, das sei «sicher notwendig» gewesen.

Ganz Ähnliches exerzierte der SBB-Chef an seinem früheren Arbeitsplatz: Als Chef des Geschäftsbereichs Stadtverkehr der Deutschen Bahn, wo er 2004 einstieg, unterstand ihm auch die Berliner S-Bahn – ein traditionsreicher Staatsbetrieb, hochgradig unproduktiv. Meyer ordnete einschneidende Sparprogramme an. Als die Aufsichtsbehörde Mitte 2009 wegen Wartungsmängeln an den Bremsen teilweise drei Viertel aller Züge aus dem Verkehr zog und damit den Bahnbetrieb nahezu lahmlegte, zeigten zahlreiche vorwurfsvolle Finger in Richtung Bern, auf den abgewanderten Andreas Meyer. Der habe die S-Bahn «kaputtgespart».

Meyer galt bereits bei der Deutschen Bahn als aufstrebend und ehrgeizig – aber auch als einer, der das Zeug hatte, ganz oben zu stehen. Für ihn war damals «klar, dass man Effizienzsteigerungen erreichen musste – aber sicher nicht auf Kosten der Sicherheit». Tatsächlich entlastet ihn der kürzlich fertig gestellte Untersuchungsbericht. Die Ermittler Detlef Schmidt und Tobias Boecken, Partner der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, sehen die Verantwortung beim damaligen Management der S-Bahn, das bereits abgelöst wurde, sowie beim Zuglieferanten Bombardier, der «ein in wesentlichen Teilen mangelhaft konstruiertes Fahrzeug» geliefert habe. Meyer sass im Aufsichtsrat der S-Bahn Berlin, dessen Job das Überwachen der Geschäftsführung ist. «Dass der Aufsichtsrat als Gremium dieser Aufgabe nachgekommen ist», resümieren die Prüfer, daran hätten sie «keinen Zweifel». Über einzelne Ratsmitglieder sagt der Bericht nichts.

Heikler werden für Meyer zwei seiner grössten hiesigen Baustellen: die Finanzlage der SBB und das Kapazitätsproblem. Um die Finanzlücke wenigstens etwas zu stopfen, plädierte die SBB-Führung, darunter Präsident Ulrich Gygi, für ein vergünstigtes 9-Uhr-Generalabonnement (GA) – es sollte neue Kunden in schwach ausgelastete Züge locken. Ein gefährlicher Weg, da sind sich viele Experten einig. Schliesslich haben die SBB einen Versorgungsauftrag, und gerade Arbeitnehmer, die wenig verdienen, sind auf die Bahn angewiesen. Ausgerechnet diese will man finanziell benachteiligen? «Eine zeitliche Differenzierung ist nicht praktikabel», ergänzt Ulrich Weidmann, ETH-Professor für Verkehrsplanung. Zudem: Wer nach 9 Uhr losfahre, sei abends oft trotzdem in der Stosszeit auf dem Heimweg. Besser sei eine Preisstaffelung nach dem Produkt. In diese Richtung denkt mittlerweile auch Meyer, etwa bei den neuen Doppelstockzügen: «Das wäre eine Gelegenheit zur Preisdifferenzierung.» Das Wie ist allerdings noch unklar. Ein Problem sind zudem der regelrechte Dschungel an Rabatten und deren Umfänge. Das SBB-GA, gemäss Weidmann ein «extremes Flat-Tax-Angebot», gilt in Fachkreisen als Finanzgrab. Selbst Meyer konzediert, dass hier «der Durchschnittsertrag mit 10 Rappen pro Kilometer recht deutlich unter unseren Kosten von gut 16 Rappen liegt». Zu Deutsch: Das GA ist viel zu billig.

In Zukunft, prognostiziert der SBB-Chef, «werden die Preise wohl jedes Jahr moderat aufschlagen». Das könnte dauerhafte Proteststürme der «drei Millionen Kunden und sieben Millionen Eigentümer der SBB» auslösen – schliesslich haben die SBB sie jahrelang mit Rabatten geködert und zu Billigtarifen erzogen. Zudem sind die Schweizer an das einzigartige SBB-System einer «landesweiten S-Bahn» gewöhnt – alle halbe Stunde fahren Züge, die Anschlüsse passen, Reservieren ist nicht notwendig. Ob die derart konditionierten Bahnfahrer gestaffelte Preise akzeptieren? «Ich bin skeptisch», sagt SCI-Chefin Maria Leenen.

Wichtigste ungelöste Baustelle ist der Ausbau der SBB-Infrastruktur. Hier geht es um nicht weniger als die Zukunft des Bahnfahrens in der Schweiz. Die kürzlich vorgestellten SBB-Pläne, unter dem Stichwort «21-Milliarden-Variante» diskutiert, prognostizieren bis 2030 etwa 60 Prozent steigende Nachfrage, in Ballungsräumen sogar bis zu 100 Prozent. Das Konzept sieht als Abhilfe längere Perrons für längere Züge vor, mehr Doppelstockwaggons, die Beseitigung von Engstellen. Aber «es fehlt eine Einbettung in übergeordnete strategische Zielsetzungen, die Sinnfrage wird nicht diskutiert, insofern ist es bisher ein enttäuschendes Konzept», kritisiert ETH-Verkehrsexperte Weidmann. Tatsächlich bedeutet das Konzept eine Fixierung auf Kapazitätsaufbau; andere Wege werden ausgeblendet – zum Beispiel Schnellverbindungen, um die Schweizer Metropolen Zürich, Genf und Basel, die sich alle drei eher ins benachbarte Ausland als zu sich hin orientierten, wieder enger zusammenzuführen. «Man könnte mit gezielten Neubauten auf der Magistrale von Genf nach Zürich durchaus eine Stunde Reisezeit einsparen», rechnet Weidmann vor. Aber auch die Frage, ob die Bahn und damit letztlich der Steuerzahler unterstützen sollen, dass Pendler über weite Strecken zu ihren Arbeitsplätzen reisen, statt umzuziehen, wird nicht diskutiert.

Bahnchef als Antreiber. Wer sollte solche Grundsatzdebatten anstossen, wenn nicht der Bahnchef? Immerhin ist der SBB-Chef der oberste Bahnfachmann – und eben kein politisch ausgewählter Konzernpräsident. Selbst im durchpolitisierten Frankreich war es ein ehemaliger SNCF-Chef, Louis Gallois, der das Hochgeschwindigkeitsnetz vorantrieb. Und der deutsche Bahnchef Hartmut Mehdorn peitschte seine Bahn unerbittlich Richtung Börsenreife und machte sie so zu einem der grössten Logistikkonzerne der Welt. Visionäre Entwürfe werden Meyer von Leuten, die ihn kennen, zwar ohne weiteres zugetraut – aber sie zu äussern, «traut er sich wohl noch nicht», sagt ein Branchenmanager. Ihm fehle noch «der Stallgeruch».

Die grösste Herausforderung für den CEO bleibt aber sein eigener Führungs- und Managementstil. Systematisierung, Professionalisierung und vor allem Transparenz, Transparenz, Transparenz: Meyers Vokabular spricht für sich. Wenn er sich warmredet, sprüht der SBB-Chef vor Engagement und Begeisterung. Dann ist nichts zu spüren vom Technokraten, der seine Leute angeblich sieben Tage die Woche auf Abruf hält, mit Projektaufträgen überhäuft, dauernd «Papierli und Konzepte schreiben lässt und so viel anreisst, dass am Ende nichts fertig wird», wie ein ehemaliges Mitglied der Konzernleitung beklagt. Der CEO rede zu viel in Detailfragen mit und quäle die Mannschaft mit einem stetigen Sitzungsmarathon, in dem mehr Zeit verbracht werde als bei der Umsetzung.

Ende Jahr stieg die Besorgnis in der Personalabteilung des Konzerns, es könnte zu ernsthaften Problemen wegen Überlastung der Führungscrew kommen. Meyer weiss um die Vorwürfe und kontert sie mittlerweile leicht gereizt. Ja, er erlaube sich, ab und an am Wochenende einmal eine E-Mail an seine Leute zu schicken. «Sicher bin ich anspruchsvoll. Wir müssen anspruchsvolle Aufgaben lösen für die SBB und für das Land. Das wollen wir gut machen.»

Auf den Vorwurf, er funktioniere überschematisch, meint er: «Ich habe ein grosses warmes Herz, aber wir bekommen 3,5 Milliarden Steuergelder jährlich, und ich bin zu Seriosität und Verantwortungsbewusstsein erzogen worden.» Ist er ein Kontrollfreak, der zu stark ins Detail geht? Da zeigt Meyer Temperament: «Wir befinden uns doch hier bei den SBB nicht auf einer völlig anderen Insel!» In jedem Unternehmen werde anhand von «Zahlen, Daten, Fakten» entschieden und gehandelt. «Wer das in einem so grossen Unternehmen hinterfragt, der ist nicht von dieser Welt!»

Dazu gehöre dann eben «manchmal auch die Kontrolle», ab und zu «zu schauen, ob das, was man beschlossen hat, auch tatsächlich umgesetzt wird», so Meyer. Wer nur im Elfenbeinturm sitze, mache seinen Job nicht. «Wenn das als unangenehm empfunden wird, kann ich nur sagen, das gehört zu meinem Job, eine Führungskraft muss diese Art der Einmischung wagen.» Sicher meinten Einzelne, früher sei es einfach bequemer gewesen, sie hätten mehr Handlungsspielraum gehabt. «In vielen Unternehmen, also auch bei den SBB, besteht die Tendenz, nur über das zu sprechen, was gut läuft», sagt Meyer. Gute Unternehmensführung aber mache aus, dass man auch über Dinge spreche, die nicht so gut laufen und zu klären seien.

Einen Eklat gab es Ende Jahr mit dem altgedienten SBB-Generalsekretär Kurt Signer, der jeweils zuhanden des Verwaltungsrates einen «Risikobericht» erstellt. Die kolportierte Version, wonach CEO Meyer verhindern wollte, dass er selber und sein Führungsstil als Risiko aufgeführt würden, dementiert Meyer klar. «Es gab Meinungsverschiedenheiten», sagt er, aber nur bezüglich «systematischer Verbesserungen» des Berichts, also darüber, ob die Prozesse zur Erhebung richtig seien. Dem VR liege auch die ursprüngliche Version des Berichts vor. Meyer: «Ich wollte keines der Risiken herausnehmen, vielmehr waren einige Punkte, die ich zusätzlich erkannt habe, nicht aufgeführt.»

Doch die Differenzen waren so heftig, dass Signer aus einer Konzernleitungssitzung lief und kündigte. Angeblich weil Meyer das Management aufgerufen hatte, Stellung für ihn oder Signer zu beziehen. Ein so konfrontativer Stil bereitet manchem Mühe. Meyers Methoden sind auch ganz oben ein Thema. Ulrich Gygi, seit 2009 VR-Präsident, wurde Ende Jahr von besorgten GL-Mitgliedern konsultiert. Gygi, erfahren und bedacht, will es offenbar richten. Er stellt sich öffentlich vor seinen CEO und greift im einen oder anderen Fall ordnend ein. So hat er das Beraterheer, das Meyer allen voran für die Lösung der Probleme bei SBB Cargo beschäftigt hat, reduziert: «Ich habe einen Plafond gesetzt», räumte Gygi im Interview mit der BILANZ im vergangenen September ein.

Verschobene Gewichte. Im Verhältnis zwischen VR und CEO haben sich die Gewichte seit der Ära Weibel verschoben. Der langjährige frühere SBB-Präsident Thierry Lalive d’Epinay überliess die öffentliche Bühne weitgehend Benedikt Weibel, der als «Mister SBB» autonom schaltete und waltete. Ähnlich wie Weibels Studienfreund Ulrich Gygi in seiner Zeit als Post-CEO.

Am Dienstag vor seinem Geburtstag stand Meyer um 4 Uhr in der Früh auf einer SBB-Rangierstation («Ich habe allen Kaderleuten einen Tag Fronteinsatz verordnet»). Der CEO kuppelte und entsorgte Abfallsäcke. Wenn ihn um 4 Uhr ein Rangierarbeiter in Empfang nehme und sage: «Ja, Herr Meyer, wir wissen, was Ihnen wichtig ist: Sicherheit!», dann mache ihm das einfach Freude. Wenn er mit den Leuten an der Basis diskutiere, dann «wollen die auch Daten und Fakten haben», so Meyer. Der andere Teil sei aber «schon auch wichtig». Mit dem anderen Teil meint er den Mann zum Anfassen, die Portion Popularität von Benedikt Weibel, die ihm fehlt.

Die nächste Aufbruchphase bei den SBB steht ab 2015 auf der Agenda. Will und wird Meyer noch mit dabei sein? «Natürlich», sagt er: «Mir macht die Aufgabe Spass, es ist eine grosse Aufgabe, aber wir machen etwas Wichtiges für das Land.» Letztlich entscheide darüber aber der Verwaltungsrat, und es komme, sagt Meyer, «auch auf mich selber an».