Emotionen. Damit fing alles an. Auch beim Thurgauer Immobilienunternehmer Hermann Hess, der sonst gerne mit nüchternen Kennzahlen wie Umsatz und Cashflow argumentiert. Als er jedoch realisierte, dass «alle Firmen mit Schweizerkreuz am Heck» ins Ausland verscherbelt werden sollen, da konnte auch er nicht einfach untätig zusehen.

Man schrieb das Jahr 2006, kurz zuvor war die Swiss nach Deutschland veräussert worden. Und jetzt wollten die SBB die defizitäre Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft (SBS) nach Konstanz verkaufen.

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Innert drei Monaten trieben Hess und seine sechs Mitstreiter, alles Unternehmer aus der Bodenseeregion, neun Millionen Franken auf. Damit kauften sie den SBB die Schifffahrtsgesellschaft ab, zahlten Darlehen zurück und Millionen-Fehlbeträge in die Pensionskasse ein. Der Rest diente als Polster für die Verluste der ersten Jahre.

Viel investieren

Hess übernahm das Verwaltungsratspräsidium und machte sich ans «Ausmisten des trägen SBB-Geistes», wie er sagt. «Ich habe noch nie ein so chaotisches Organigramm gesehen – voller Doppelspurigkeiten und ohne klare Zuteilung der Verantwortung.» Der alte Chef musste gehen, Sanierer Benno Gmür setzte sich ans Steuer.

2009 gelang der Turnaround. Zwei Jahre später übernahm Andrea Ruf die operative Geschäftsführung. Bis heute ist sie die einzige Frau an der Spitze einer Schweizer Schifffahrtsgesellschaft. Seit 2010 erwirtschaftet das Unternehmen einen positiven Cashflow von 2 bis 2,5 Millionen Franken pro Jahr, der jeweils wieder ins Unternehmen reinvestiert wird: ins Hafengebäude und in die Anlegestelle in Romanshorn, in die Werft, das neue Restaurant Hafen und in die benachbarte Wiese, wo jetzt ein Spielplatz entstehen soll – mit Aussichtstürmen, Campinghütten und einem Piratenschiff.

«Retter der Schweizer Bodensee-Schifffahrt»

Hess und Ruf formten aus der vernachlässigten SBB-Tochter in zehn Jahren ein Schifffahrts-KMU, das heute rund 40 Prozent seines Umsatzes mit der Gastronomie erwirtschaftet, an Bord und auch 
an Land. Weitere Einnahmequellen sind die Vermietung der 480 Bootsplätze, der kleine Souvenirshop im Hafengebäude sowie Charter- und Sonderfahrten, etwa mit der soeben vollständig renovierten «Säntis».

Hess spricht von einer «erfolgreichen Privatisierung». Zwar bekommt auch seine Firma wie fast alle Schifffahrtsgesellschaften Geld von der öffentlichen Hand. Total seien es aber nur 850 000 Franken pro Jahr, sagt Hess. Das entspreche knapp sechs Prozent des Umsatzes. Den weitaus grössten Teil davon zahlen der Bund und der Kanton Thurgau als Abgeltung für die Autofähre Romanshorn–Friedrichshafen, die Teil des regionalen Personenverkehrs ist.

Die Aktionäre haben bis heute keinen Franken aus der Bodensee-Schifffahrtsgesellschaft herausgenommen. Sie verzichten alle auf Schuldzinsen, Dividenden und Verwaltungsratshonorare. Hess, dessen unternehmerische Aktivitäten zu über 90 Prozent im Bereich Immobilieninvestment liegen, steckte 2006 persönlich 1,5 Millionen Franken ins Unternehmen – und stockte im Verlauf der Jahre seinen Anteil von 15 auf heute 50 Prozent auf.

Sein Engagement hat ihm viel Ansehen beschert: In der Region gilt er als der «Retter der Schweizer Bodensee-Schifffahrt», weshalb er 2015 wohl auch für die FDP in den Nationalrat gewählt und kurz darauf zum «Thurgauer des Jahres» gekürt wurde.

Starke Diversifizierung

In der Schweizer Schifffahrtswelt bleibt Hess aber ein Exot, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Seine SBS ist die einzige der 16 Schifffahrtsgesellschaften mit eidgenössischer Konzession, die in Händen einiger weniger privater Aktionäre ist. Ebenfalls mehrheitlich in Privatbesitz sind die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) und die Zürichsee-Fähre zwischen Horgen und Meilen. Anders als bei der Bodensee-Schifffahrt ist das Aktionariat aber bei diesen beiden Firmen breit gestreut – meist bei Menschen, die in der Region wohnen und ein Herz für ihre Schifffahrt haben.

Die drei Firmen haben aber auch Gemeinsamkeiten: Alle drei sind selbsttragend und können ihre Investitionen aus den Betriebseinnahmen finanzieren, weil sie – wie die Zürichsee-Autofähre – eine ganzjährige, eingegrenzte Dienstleistung anbieten oder weil sie – wie die Betreiber auf dem Vierwaldstätter- und dem Bodensee – ihr Geschäft stark diversifiziert haben. SGV-Chef Stefan Schulthess geht da noch bedeutend weiter als seine Kollegen vom Bodensee: Sein Unternehmen führt nebst der Schifffahrt zehn Restaurants, zwei kleine Hotels und eine Werft, welche ihre Dienste auch Dritten anbietet. «So verlängern wir die Saison und generieren mehr Wachstum.»

Mit freundlicher staatlicher Unterstützung

Ganz anders ist die Situation bei den meisten anderen Gesellschaften. Diese hängen direkt oder indirekt am Tropf der öffentlichen Hand. Hauptaktionäre sind in der Regel die jeweiligen Standortkantone und Seegemeinden. Bei der Schifffahrt auf dem Thuner- und dem Brienzersee ist zudem indirekt auch der Bund beteiligt, hält er doch 21,7 Prozent am Eigentümer, dem Bahnunternehmen BLS. Die Schifffahrtsgesellschaft auf dem Lago Maggiore ist ein italienischer Staatsbetrieb.

Die öffentliche Hand ist es denn auch, welche die Defizite über unterschiedlichste Kanäle deckt – über Tourismusbeiträge, Verkehrsverbünde, Leistungsabgeltungen oder Investitionsbeiträge. Die Schifffahrtsgesellschaft auf dem Genfersee etwa bekommt insgesamt rund zehn Millionen Franken Staatsgelder – und das jedes Jahr. Vom Bund, von den Kantonen Waadt und Wallis sowie von Frankreich.

Die öffentlichen Kassen kommen auch immer wieder für grössere Investitionen der Firmen wie die Anschaffung eines neuen Schiffs oder den Bau einer neuen Werft auf. So hat beispielsweise der Kanton Bern jüngst 12,8 Millionen Franken gesprochen, damit die BLS in Thun eine neue Werfthalle errichten kann. «Selber hätten wir dieses Geld nie aufbringen können», sagt Claude Merlach, Chef der BLS-Schifffahrt.

Grosse Unterschiede

Rund zwölf Millionen Passagiere zählen die 16 Schifffahrtsgesellschaften im Jahr. Auch da aber gibt es grosse Unterschiede. Die Zwei-Millionen-Grenze deutlich knacken konnten die Schifffahrtsbetreiber auf dem Vierwaldstätter- und auf dem Genfersee. Ebenfalls über zwei Millionen Passagiere verbucht die Fähre zwischen Horgen und Meilen. Am anderen Ende befinden sich die Schifffahrtsgenossenschaft Greifensee sowie die Basler Personenschifffahrtsgesellschaft mit je klar unter 100 000 Passagieren pro Jahr.

Ob gross oder klein: Die Schifffahrt ist kein einfaches Geschäft, ist sie doch abhängig von Saison, Wetter, Konjunktur – und von ausländischen Touristen. Dies vor allem auf dem Vierwaldstätter- und dem Brienzersee, wo rund 30 respektive 50 Prozent der Gäste aus dem Ausland stammen. Der merkliche Rückgang der asiatischen Touristen 2016 sorgte nicht nur für Einbrüche bei den Uhrenverkäufern in Luzern und Interlaken, sondern führte auch dazu, dass die SGV- und BLS-Schiffe auf den beiden genannten Seen rund drei respektive fünf Prozent weniger Passagiere transportieren konnten.

Vom Durchschnitt zum Vorbild

Es haben natürlich nicht alle Schifffahrtsgesellschaften die gleichen Ausgangsbedingungen. «Wir sind in einer privilegierten Lage», sagt Schulthess und verweist auf «seinen» pittoresken See mit all den touristischen Attraktionen, mit dem Pilatus, der Rigi und dem Bürgenstock.

Aber auch auf dem Vierwaldstättersee lief es nicht immer rund, auch dort schrieb die Schifffahrt lange Zeit kleinere Gewinne – bis etwa vor zehn Jahren. Bis Schulthess 2005 das Steuer übernahm und einen neuen, «betriebswirtschaftlicheren Kurs» einschlug. Das Unternehmen hat seitdem den Umsatz auf 70 Millionen mehr als verdoppelt und erwirtschaftet Jahr für Jahr einen ordentlichen Gewinn. Eine Perspektive, die auch andere Firmen zum Überdenken ihres bisherigen Geschäfts- beziehungsweise Verlustmodells animiert.

So hat etwa die Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein für das Jahr 2016 
den Bodensee-Schifffahrts-Verwaltungsrat Benno Gmür als externen Sanierer an Bord geholt. Erste Resultate sind bereits sichtbar: Statt der üblichen halben Million Defizit endete das Geschäftsjahr 2016 erstmals seit Jahren wieder mit einem Gewinn. Dazu beigetragen haben laut Geschäftsführer Remo Rey nebst dem schönen Herbstwetter vor allem mehrere Massnahmen zur Kostensenkung wie die Reduktion des Werftbetriebes, der Anzahl fest angestellter Mitarbeiter sowie die Halbierung der Geschäftsleitung.

Suche nach «Start-up-Spirit»

Ein Umdenken hat auch am Thuner- und am Brienzersee stattgefunden, wie Merlach erklärt. «Der BLS-Konzern hat klargemacht, dass er nicht endlos Geld einschiessen will.» 2014 hat die kleinste Einheit in der BLS-Familie erstmals den Sprung aus den roten Zahlen geschafft – mit einem «Strauss von Massnahmen» und einem grossen Abschreiber.

«Wir wollen uns zu einem selbsttragenden Freizeit- und Tourismusunternehmen entwickeln», betont Merlach. Dafür will er unter anderem die Winterschifffahrt ausbauen, womöglich in Zukunft mit der neuen Werfthalle auch Dienstleistungen für Dritte anbieten – und allenfalls selbst ins Gastrogeschäft einsteigen. Jedenfalls hat Merlach den Pachtvertrag mit dem heutigen Caterer per Ende 2018 vorsorglich gekündigt. Zudem hat die BLS vor einem Jahr ein Drittel der Jetboat AG übernommen, die mit zwei kleinen Motorbooten Abenteuerlustigen Spritztouren auf dem Brienzersee anbietet. Davon verspricht sich Merlach nicht nur einen finanziellen Zustupf, sondern auch etwas «Start-up-Spirit» für seine Staatsbahntochter.

Claude Merlach will weiter neue Sponsoren gewinnen und den Dampfschifffahrtsverein noch besser einbinden. Da kommt das diesjährige Jubiläum der «Blümlisalp» gerade recht. Vor 25 Jahren hatte das heute beliebte, ursprünglich 1906 in Betrieb genommene Thunersee-Dampfschiff seine zweite Jungfernfahrt. Zuvor hatte es die BLS aus dem Verkehr gezogen, das alte Dampfschiff entsprach in den 1970er Jahren nicht mehr dem Zeitgeist, Motorboote waren angesagt. Eigentlich hätte die «Blümlisalp» verschrottet werden sollen, so hatte es der Verwaltungsrat entschieden. Doch die Dampfschifffreunde wehrten sich.

Die Last der schönen Dampfschiffe

Ohne die Vereine, welche die Dampfschifffahrt auch finanziell unterstützen, könnten diese traditionellen Schiffe, deren Unterhalt sehr teuer ist, kaum betrieben werden. Bei der Schifffahrtsgesellschaft auf dem Genfersee ist die Association des amis des bateaux à vapeur du Léman mit gut 20 Prozent beteiligt und somit einer der Hauptaktionäre. Insgesamt sind in der Schweiz noch 14 Dampfschiffe unterwegs – je fünf auf dem Vierwaldstätter- und 
dem Genfersee, zwei auf dem Zürichsee und je eines auf dem Thuner- und dem Brienzersee.

Bodensee-Kapitän Hess ist froh, dass er kein Dampfschiff hat: «Zu viel Aufwand, zu hohe Kosten.» Er schmiedet lieber Pläne, in seiner Werft bald ein neues Schiff zu bauen – und über seine Hess Investment Gruppe ein neues Hotel mit rund 100 Zimmern, das schiffähnlich in Romanshorn am Seeufer stehen soll.