Sie sind in der neunzigjährigen Geschichte von Schurter der erste familienfremde CEO. Ist es der Familie schwergefallen, loszulassen?
Entgegen der vorherrschenden Meinung in der Fachliteratur bin ich nach sechs Jahren immer noch am Ruder. Und das liegt sicherlich auch daran, dass es von meinem ersten Tag als CEO an ein ganz klares Rollenverständnis gab. Das wurde von der Familie konsequent gelebt.

Im vergangenen Sommer haben Sie hier, im Zentrum von Luzern, nur fünf Gehminuten vom Bahnhof entfernt, einen Erweiterungsbau eingeweiht, in dem auch noch produziert wird. Ist das in der Innenstadt noch zeitgemäss?
Zum Ersten ist die Familie Schurter der Stadt Luzern sehr verbunden. Luzern ist unser Hauptsitz. Und zum Zweiten entwickelt sich die Zentrale hier in der Stadt immer mehr zum Support-Hub für die gesamte Schurter-Gruppe. Dieser attraktive Standort ist ein Vorteil für uns im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte, den wir natürlich nicht aus der Hand geben werden.

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Ralph Müller (52) ist seit 2015 CEO der Schurter-Gruppe, einem führenden Hersteller von Bauteilen für Elektronik und Elektrotechnik. Der Maschinenbauingenieur studierte an der Stanford University. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.

Mit der Produktion in der Innenstadt verursachen Sie Transporte, die den Verkehr in der Stadt belasten.
Die Komponenten, die wir produzieren, sind ja oftmals sehr klein – daher benötigen wir nur minimale Transportkapazitäten. Ausserdem haben wir die gesamte Lagerlogistik für die Gruppe im Zuge des Erweiterungsbaus aus der Stadt ausgelagert. Damit haben wir den Verkehr in der Stadt entlastet. 400 Millionen Teile werden zukünftig aus dem neuen Zentrallager, das Galliker für uns managt, in die Welt hinaus gesendet.

Wie steht die Stadt Luzern dazu?
Wie auch in anderen Städten der Schweiz dreht sich bei der Stadt Luzern das meiste um Verkehrsberuhigungen und kulturelle Tätigkeiten. Daher ist es für Unternehmen nicht immer leicht, sich Gehör zu verschaffen. Aber wir haben ein klares Signal gesendet: Wir haben gebaut, um zu bleiben.

«Wir sind halt keine 'Late Follower', sondern vielfach diejenigen, die den Takt mit innovativen Ideen vorgeben.»

Was produzieren Sie eigentlich hier in der Stadt genau?
In erster Linie Sicherungen, zum Beispiel für Ladegeräte eines grossen amerikanischen Handyherstellers. 70 Millionen Stück produzieren wir hier pro Jahr allein für den amerikanischen Kunden.

Den Auftraggeber nennen Sie nie?
Das dürfen wir leider nicht. Aber es sollte Ihnen nicht schwerfallen, es zu erraten.

Ich hätte erwartet, dass Unternehmen solche Elektrobauteile eher in Asien einkaufen, wo deutliche Kostenvorteile bestehen. Was ist Ihr Geheimnis?
Das geht nur mit Innovation und Qualität. Wir sind halt keine «Late Follower», sondern vielfach diejenigen, die den Takt mit innovativen Ideen vorgeben. Und zum Zweiten ist es sicherlich die Produkt- und Servicequalität. Beides gehört immer zusammen.

Ist die Qualität in Asien wirklich so viel schwächer?
Wenn wir ein Produkt entwickeln, gestalten wir in den meisten Fällen auch die Prozesse inklusive Produktionsmittel dazu, beispielsweise einen Montageautomaten. Das ist sicherlich ein USP von uns – sowie die entsprechenden Prozesse für die Qualitätskontrolle. Darum haben wir ja auch viele Kunden aus Asien.

«Teilweise bekommen wir die notwendigen Rohstoffe nicht rechtzeitig.»

Ralph Müller

Stichwort Service. Wie sieht der aus?
Unter Service verstehen wir insbesondere die zeitgenaue Lieferung. Wer verlässlich liefert, macht in der Regel auch das Geschäft.

Und das können Sie aktuell bei den weltweit gestörten Lieferketten auch einhalten?
Das ist natürlich gerade in diesen Zeiten eine riesige Herausforderung für uns. Teilweise bekommen wir die notwendigen Rohstoffe, beispielsweise Polymere, oder Halbfabrikate nicht rechtzeitig. Was uns kurzfristig bremst, ist, dass wir keine zusätzlichen Arbeitskräfte finden in Ländern etwa wie Tschechien oder Rumänien, weil diese Länder so boomen. Gerade in Tschechien saugt die Autoindustrie den Arbeitskräftemarkt leer.

Woher stammt der Umsatz?
Zwei Drittel stammen aus dem Komponentengeschäft, ein Drittel erwirtschaftet der Eingabesystembereich, also die Touch-Panels für die Industrieanwendungen. Und von den zwei Dritteln des Komponentengeschäfts entfallen rund 10 Prozent auf den Bereich Solutions, in dem wir Gesamtlösungen anbieten.

Seit ein paar Jahren sind Sie auch als Zulieferer für die Automobilindustrie tätig. Ein Bereich, in dem Schurter zuvor nicht aktiv war. Wie kam es dazu?
Schurter hat die Automobilindustrie immer gemieden, weil man sich nicht zu sehr abhängig machen wollte von nur wenigen grossen Unternehmen, die fast nur auf den Preis schauen. Inzwischen sind wir aber sehr breit aufgestellt, zudem gibt es eine enorme Transformation auf Autoherstellerseite.

Der Ausbau der Elektromobilität?
Genau. Die Bordelektronik hat in den letzten hundert Jahren im Prinzip immer gleich ausgesehen. Das hat sich in den letzten Jahren durch das Batteriemanagement für die hybriden und vollelektrischen Antriebe grundlegend geändert. Dort gibt es komplett neue Anforderungen – und das ist für uns durchaus auch ein Innovationstreiber. Es kann sein, dass die Innovationen für die Automobilindustrie zukünftig auch in anderen Branchen relevant werden. Da wollen wir vorne mit dabei sein.

«In Tschechien saugt die Autoindustrie den Arbeitskräftemarkt leer.»

Ralph Müller

Wo sehen Sie Wachstumschancen?
Ganz klar im Bereich Solutions, dort haben wir grosse Wachstumsraten und rollen diesen Geschäftsbereich jetzt auch in ganz Europa aus.

Wie verteilt sich Ihr Geschäft weltweit. Sind die USA und Asien bereits grösser als Europa?
Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Markt. Und von unseren weltweit sieben Marktregionen ist Deutschland aufgrund seiner Bedeutung eine eigene Region. Danach kommen Asien und die USA. Die Industrieelektronik macht rund 50 Prozent aus und Medical 30 Prozent.

Wie wird sich Ihr Geschäft entwickeln?
Im Komponentengeschäft ist der Kuchen verteilt, hier werden die Wachstumsraten lediglich zwischen 1,5 und 3 Prozent pro Jahr liegen. Im Eingabegeschäft haben wir dagegen noch Ausbaumöglichkeiten, denn das war bisher ein reines Europageschäft. Und das rollen wir gerade in die USA aus – und im Solutionsgeschäft ist sicherlich das grösste Potenzial. Bisher betreiben wir dieses nur in der Schweiz, nun erweitern wir es für ganz Europa. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten acht Jahren alle drei Bereiche etwa gleich gross sind.

Wie wollen Sie das erreichen?
Wir wollen den Personalbestand konstant auf den rund 2000 Mitarbeitenden halten, aber innerhalb der Belegschaft eine Umschichtung erreichen. Mehr Brain für Engineering und Entwicklung und weniger Personal in der Produktion durch eine stärkere Automatisierung und in der Administration durch mehr Digitalisierung.

Wo liegen bei dieser Entwicklung die Herausforderungen?
Wir müssen die entsprechenden Fachkräfte und Ingenieure für uns gewinnen – und das geht nur, wenn wir sichtbar sind als attraktiver Arbeitgeber.

Ist das auch der Grund für den Ausbau Ihrer Gebäude hier in der Luzerner Innenstadt?
Ganz genau. Wir stehen im Wettbewerb um die besten Fachkräfte mit vielen anderen attraktiven Unternehmen in der Zentralschweiz. Natürlich bietet beispielsweise Pilatus eine hohe Emotionalität mit ihren tollen Produkten. Aber wir bieten auch eine Menge: Einen attraktiven Arbeitsplatz in der Luzerner Innenstadt, eine gute Work-Life-Balance, den See und das Naherholungsgebiet vor der Tür. Zudem sind wir als Schweizer Familienunternehmen global erfolgreich tätig.

Sie hatten letztes Jahr schon ein gutes Ergebnis. Wie läuft es dieses Jahr?
Man muss noch vorsichtig sein, aber es läuft sehr gut. Vermutlich werden wir wieder sehr nahe an die 300-Millionen-Franken-Grenze stossen.

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