Und wieder steht der Vorwurf im Raum: Konzerne verschieben Gewinne zwischen Jurisdiktionen, um ihre Steuerlast zu senken. Am Pranger: Nike, Apple und Facebook, aber auch europäische Unternehmen wie die Deutsche Bank.

Doch auch wenn die Paradise Papers den gegenteiligen Eindruck erwecken: Es tut sich was in Sachen Steuertransparenz und Steuerethik. Wer sich die Geschäftsberichte der zwanzig SMI-Unternehmen anschaut, stellt fest: Die während Jahren vorherrschende Geheimniskrämerei rund ums Thema hat Risse bekommen. «Zurzeit rapportieren die meisten Schweizer Unternehmen noch immer nur das, was sie gemäss den Rechnungslegungsstandards müssen», sagt Peter Uebelhart, Leiter Steuern bei KPMG. «Doch einzelne Unternehmen beginnen über ihre Steuerstrategie als Teil einer nachhaltigen Unternehmensführung zu berichten.»

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Nestlé geht voran

Am besten lässt sich das neue Mindset an Nestlé zeigen. «Wir veröffentlichen keine Aufschlüsselung nach Regionen und Ländern», sagte der Nahrungsmittelkonzern noch vor vier Jahren in der «Bilanz». Heute ist Nestlé derjenige SMI-Titel, der sich am ehesten in die Karten blicken lässt. Der Konzern schlüsselt seine Steuerlast nach den drei Regionen auf, in denen er sein Geschäft organisiert.

Von den 6,4 Milliarden Steuerfranken, die 2016 total zu Lasten des Nahrungsmittelkonzerns gingen, fielen 37 Prozent in der Regionen Europa/Mittlerer Osten/Nordafrika, 36 Prozent in den Americas und 27 Prozent in der Geschäftszone Asien/Ozeanien/Subsahara-Afrika an. Die 6,4 Milliarden Franken setzen sich zusammen aus den Gewinnsteuern und anderen Steuerarten wie Steuern auf der Beschäftigung, Transaktionssteuern und Umweltsteuern. Zudem lassen Konzernchef Mark Schneider und seine Steuerfachleute wissen, dass 73 Prozent der Steuern in den zehn grössten Märkten anfallen.

Die Botschaft: Wir haben nichts zu verbergen

Nestlé will zudem noch in diesem Jahr einen Steuerbericht über alle indirekten Steuern in den wichtigsten Ländermärkten veröffentlichen. Um welche Beträge es dabei geht, zeigt die bereits publizierte Zahl eines «Mehrwertsteuerdurchlaufs» von 22,5 Milliarden Franken. Die Summe setzt sich zusammen aus Mehrwertsteuern, welche Nestlé von ihren Kunden bekommt, und solche, die anfallen, wenn das Unternehmen Lieferanten bezahlt. Die Botschaft von Nestlé ist klar: Wir haben nichts zu verbergen.

In «Tax Management Principles & Strategy» von Nestlé heisst es dazu: «Wir haben keine Steuerpositionen, die sich nicht verteidigen liessen, wenn sie veröffentlicht würden.» Entsprechend hoch ist die Nestlé-Steuerlast: Das Unternehmen zahlte zuletzt weltweit 4,4 Milliarden Franken, in etwa so viel wie Microsoft, der zehntgrösste amerikanische Steuerzahler. Zum Vergleich: 2015 lag der Steuersatz noch bei 28 Prozent.

«Nestlé will noch in diesem Jahr einen Steuerbericht über alle indirekten Steuern in den wichtigsten Ländermärkten veröffentlichen.»

Ähnlich die Politik bei Roche. Das Unternehmen teile die Ansicht, dass «das erste grundlegende Prinzip eines nachhaltigen Steuermanagements darin besteht, Steuern dort zu zahlen, wo wirtschaftlicher Wert entsteht», schreibt das Unternehmen. Ein Anspruch, den man sich in dem noch immer von den beiden Besitzerfamilien Oeri und Hoffmann dominierten Pharmakonzern im letzten Jahr 3,274 Milliarden Franken kosten liess.

Eine Auflistung nach Regionen oder gar Märkten sucht man bei Roche zwar vergebens. Dafür führt die Mannschaft von Konzernchef Severin Schwan nicht nur den tatsächlichen Steuersatz auf; Roche sagt auch, dass dieser «dem gewichteten Durchschnitt der Steuersätze derjenigen Länder entspricht, in denen der Konzern tätig ist». Anders gesagt: Bei Roche gibt es keinen «tax gap», keine Differenz zwischen theoretischem und effektivem Steuersatz - und damit keine Angriffsfläche.

«Tax gap» zwischen 2009 und 2013: 22 Prozent der untersuchten Unternehmen hatten einen hohen «tax gap». Aber 633 von 1093 Unternehmen hatten einen von weniger als fünf Prozent. (Quelle: MSCI)

Hände weg von Hamilton

Steueroptimierung um jeden Preis – das ist Geschichte. Indiz dafür ist der Trend, Tochterfirmen aus den einschlägigen Jurisdiktionen zu repatriieren. Novartis hat am 1. November zwei Unternehmen aus Hamilton aus den Bermudas abgezogen, dem Sitz der wenige Tage später dank den Paradise Papers berühmt gewordenen Anwaltskanzlei Appleby. Dies, nachdem bereits vor einem Jahr ein Unternehmen aus den Bermudas zurück auf den Campus geholt wurde. Der Basler Pharmakonzern begründet den Transfer zurück an den Hauptsitz an der Basler Lichtstrasse mit einer grösseren Reorganisation, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren durchgeführt habe, «um unsere rechtlichen Strukturen in Abstimmung mit unserem operativen Geschäft zu straffen und vereinfachen».

Novartis verfüge über Rechtseinheiten in mehr als fünfzig Ländern, «die uns den Marktzugang vereinfachen und unseren globalen Unternehmensbetrieb unterstützen» – darunter auch auf Bermuda. «Bermuda ist ein Land, das ein gut entwickeltes Rechtssytsem, Steuereffizienz und ein geschäftsfreundliches Umfeld bietet». Novartis liegt zurzeit bei einem Steuersatz von 14,3 Prozent, mehr als 10 Prozentpunkte unter demjenigen von Roche. Das Unternehmen wies 2016 einen Ertragssteueraufwand von 1,1 Milliarden Dollar aus. Novartis verweist auf Anfrage auf die längerfristige «Cash Tax Rate» von 18 bis 20 Prozent. Doch auch bei Novartis ist die Steuerpolitik im Fluss. Seit 2016 figuriert sie neu im Corporate Responsability Performance Bericht als Fokus. Obertitel: Governance und ethische Geschäftspraktiken.

Pharma - die am stärksten steueroptimierte Branche

Klar ist: Tiefe Steuersätze sind in der Pharmaindustrie Standard. Die Branche ist diejenige mit dem höchsten «tax gap», wie das Researchunternehmen MSCI 2015 feststellte. Demnach lagen zwischen 2009 und 2013 37 Prozent der untersuchten Pharmaunternehmen mit ihren effektiven Steuern 10 bis 25 Prozentpunkte unter dem theoretischen Steuersatz.

So steueroptimiert ist nicht einmal die viel gescholtene Technologiebranche, wo im gleichen Zeitraum 34 Prozent der Unternehmen einen «tax gap» von 10 bis 25 Prozent hatten. Am tiefsten ist der «tax gap» (12 Prozent) in denjenigen Industrien, die wenig elastische Konsumgüter wie Nahrungsmittel, Konsumgüter oder Tabak herstellen. Bei den nicht lebenswichtigen liegt der Prozentsatz bereits bei 24 Prozent.

Prozentsatz von «high tax gap» nach Branchen: Gesundheitsindustrie, IT, Energie, Rohstoffe, Konsumgüter, Finanzindustrie, Strom/Wasser/Gas, Industrie, Telecom, Basis-Konsumgüter. (Quelle: MSCI)

«Die Sensibilisierung fürs Thema Steuern steigt. Immer mehr Unternehmen lassen die Bereitschaft erkennen, bei der Steuerpolitik über den Buchstaben des Gesetzes hinauszugehen.»

Steuertransparenz – das Thema nimmt Fahrt auf. Novartis, UBS, Swisscom, Credit Suisse, Adecco und Julius Bär weisen ihren Steueraufwand aufgeschlüsselt nach Schweiz und Ausland aus. Sika wird bereits dieses Jahr die Beps-Auflagen erfüllen, das Regelwerk der OECD zur Vermeidung von Gewinnverschiebungen, und freiwillig einen Country-by-Country-Report erstellen und der schweizerischen Steuerverwaltung einreichen, «welche diesen alsdann im Rahmen der Beps-Regeln mit anderen Steuerverwaltungen austauschen kann», wie das Unternehmen schreibt.

Bei Sika gelte bereits jetzt der Grundsatz «Tax follows business», weshalb nur «marginale Anpassungen» vorgenommen werden müssten, schreibt das Unternehmen. Der Baustoffproduzent wies 2016 einen Steuersatz von 25 Prozent aus und er zahlte Steuern von 189 Millionen Franken. Auch Swisscom, Lonza, Adecco, UBS und Swiss Re gehören zu den «early adopters» und werden noch in diesem Jahr , zwei Jahre, bevor der entsprechende Standard verpflichtend wird, gegenüber den Steuerbehörden nach Beps rapportieren.

Sensibilisierung steigt

Die Sensibilisierung fürs Thema Steuern steigt. Immer mehr Unternehmen lassen die Bereitschaft erkennen, bei der Steuerpolitik über den Buchstaben des Gesetzes hinauszugehen. Adecco bekennt sich zu einer Steuerpolitik, die nicht nur dem Gesetz, «sondern auch dem Geist des Gesetzes» gerecht wird. Das Ziel sei, das Risiko von Einwänden und Auseinandersetzungen durch Transparenz zu senken.

Der Personalvermittler sagt, er engagiere sich nicht «in künstlichen, steuergetriebenen Strukturen und Transaktionen». Swisslife wird ihre Steuerpolitik noch im laufenden Jahr veröffentlichen. Swiss Re erstellt «regelmässig einen umfassenden Bericht über ihre Steuerzahlungen». Die Informationen würden «zur Zeit aber nur» für interne Zwecke veröffentlicht. Die Steuerpolitik soll per Ende 2017 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Nur wenige SMI-Unternehmen sehen keinen Handlungsbedarf beim Thema Steuern. Der Uhrenkonzern Swatch sieht keine Notwendigkeit, seine Policy zu überarbeiten, «denn wir haben immer die volle Transparenz gegenüber den Behörden».

Prozentsatz von „high tax gap“ Unternehmen nach Ländern. (Quelle: MSCI)

«Die Sichtweise, wonach Steuern ein Geschäftsgeheimnis sind, verliert an Boden.»

Doch der Trend geht in die andere Richtung. Die Sichtweise, wonach Steuern ein Geschäftsgeheimnis sind, verliert an Boden. Die Unternehmen betrachten Steuern zunehmend nicht mehr nur als Kosten, die es à tout prix zu vermeiden gilt; die Sensibilität für die politischen Risiken, die mit exzessiver Steueroptimierung verbunden sind, nimmt zu. Dafür verantwortlich ist in erster Linie die Politik, die mit Beps, automatischem Informationsaustausch und dem Austausch von Informationen über Steuerrulings Druck macht. Doch auch von Investorenseite gibt es mahnende Stimmen.

Besonders gewichtig: Der norwegische Staatsfonds, mit 1000 Milliarden Dollar Vermögen einer der grössten Investoren der Welt und in der Schweiz in fast jedem kotierten Unternehmen investiert. Nestlé, Roche und Novartis zählen gar zu den zehn grössten Investments des Fonds. Der Fonds erwartet von den Unternehmen ein «angemessenes, umsichtiges und transparentes» Steuerverhalten. Wichtigste Forderung: die country-by-country-Berichte, in denen Unternehmen gemäss Beps ab Ende 2019 ihr Steueraufkommen gemäss Ländern gegenüber den Behörden transparent machen müssen, sollen öffentlich werden. Zudem legt der Fond Wert darauf, dass die Steuerpolitik in der Verantwortung des Verwaltungsrats liege und sie dem Prinzip folgt, wonach Steuern dort bezahlt werden, «wo der wirtschaftliche Wert generiert wird».

Brief an 500 Unternehmen

Unternehmenssteuern spielten eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der öffentlichen Haushalten, schreibt der Fonds. Steuern seien ein Weg, wie Unternehmen ihren Beitrag an die Gemeinwesen leisten, «auf deren rechtlichen und finanziellen Infrastruktur sie sich stützen», wenn sie ihren geschäftlichen Aktivitäten nachgingen. Die steuerpolitische Positionierung datiert vom April diesen Jahres. Im dritten Quartal ging das entsprechende Dokument an die Verwaltungsräte der 500 grössten Unternehmen im Portfolio, wie der Fonds auf Anfrage schreibt.