Eine Badeente mit daran befestigtem Solarpanel und Windrad als Werbegeschenk für Kinder an einer Messe. Das ist eine Idee von Michelle Kurth, die bei der AEK Gruppe in Solothurn arbeitet. Das mittelständische Unternehmen beliefert rund 40'000 Kunden mit Strom und beschäftigt 240 Mitarbeiter. Die 18-jährige Michelle Kurth steht im dritten Lehrjahr zur Kauffrau, während im Schweizer Parlament darüber gestritten wird, wie ihre Rente in Zukunft finanziert werden soll.

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Allen ist klar, dass das Vorsorgesystem aus dem Gleichgewicht gedriftet ist. Das lässt sich in der ersten Säule am einfachsten an der demografischen Entwicklung festmachen. Als die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) 1948 eingeführt wurde, arbeiteten noch mehr als sechs Erwerbstätige für einen Rentner, heute sind es nur noch etwas mehr als drei. Und wenn Kurth das Pensionsalter erreichen wird, werden gemäss Berechnungen des Bundesamts für Statistik nicht einmal mehr zwei Erwerbstätige ihre AHV-Rente finanzieren müssen.

Höhere Beiträge und früher sparen

Die Rechnung geht aber schon heute nicht mehr auf: 
Das Umlageergebnis ist 2014 ins Negative gekippt. Das heisst: «Die AHV hat schon in den vergangenen zwei Jahren mehr an Rentner ausgeschüttet, als sie von der erwerbstätigen Bevölkerung eingenommen hat», erklärt Donald Desax, Leiter des Pensionskassengeschäfts bei den Helvetia Versicherungen und Branchenvertreter in der BVG-Kommission, die den Bundesrat bei der Rentenreform berät.

Für Michelle Kurth ist die Pension zwar noch weit weg. Doch aus Diskussionen in der Berufsschule ist ihr klar, dass sie zumindest teilweise selber für sich vorsorgen muss. «Ich plane, schon bald in die dritte Säule einzuzahlen», sagt sie.

Das ist sehr früh, wie das Beispiel von Elena Rastoder (31) zeigt, einer Arbeitskollegin von Kurth. Rastoder machte sich mit 18 Jahren noch keine Gedanken über ihre private Altersvorsorge. Die Leiterin der Energieverrechnung ist dafür verantwortlich, dass bei den Kunden regelmässig die Stromzähler abgelesen werden, sie wertet die Daten aus, schreibt Rechnungen und kümmert sich um Mahnungen. «Mit Mitte zwanzig habe ich mir erstmals Gedanken über meine private Vorsorge gemacht», sagt sie.

Als Frauen werden Rastoder und Kurth nicht mehr bis zum Alter von 64, sondern bis 65 arbeiten müssen. Bei der Pensionskasse der AEK gilt schon seit mehreren Jahren auch für Frauen das Pensionsalter 65. Die Erhöhung des Pensionsalters der Frauen wird die Rechnung der AHV mittelfristig um rund 1,3 Milliarden Franken entlasten. Das reicht aber nicht, denn bis 2030 wächst der jährliche Fehlbetrag der AHV auf rund sieben Milliarden Franken.

Längeres Arbeiten

Also werden Frauen und Männer in Zukunft wohl länger arbeiten müssen, wie es die Entwicklung im Ausland vorzeichnet. Bereits 18 Länder, die der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angehören, haben ein Rentenalter von 67 oder gar 68 Jahren für Frauen und Männer beschlossen. Allerdings ist eine weitere Erhöhung des Rentenalters in der Schweiz derzeit nicht mehrheitsfähig, wie eine Umfrage im Auftrag des Schweizerischen Versicherungsverbandes zeigt. Nur 34 Prozent der Befragten sind offen dafür. Zu dieser Minderheit gehört Elena Rastoder. Sie rechnet sowieso schon damit, dass sie bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten muss.

Ganz anders als mit einem höheren Rentenalter sind rund zwei Drittel der Schweizer damit einverstanden, früher mit Sparen beginnen und höhere Beiträge einzahlen zu müssen. Das ist auch die Stossrichtung der Rentenreform in der Schweiz. Bundesrat und Parlament wollen zudem die Mehrwertsteuer erhöhen. Nur bei der Frage, um wie viel, gehen die Meinungen auseinander. Der Bundesrat will ein Plus von 1,5 Prozentpunkten, der Ständerat von einem Prozentpunkt, der Nationalrat gar von nur 0,6 Prozentpunkten. Je nachdem, wer sich durchsetzt, entlastet das die AHV-Rechnung um 2,1 bis knapp 5,4 Milliarden Franken. Das Loch im Jahr 2030 ist damit aber noch immer nicht gestopft.

Länger arbeiten vs. höhere Abgaben

Um die AHV langfristig vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren, wollen Regierung und Parlament einen Mechanismus einführen, der automatisch ausgelöst wird, wenn die Mittel des AHV-Fonds unter eine bestimmte Grenze fallen. Während der Nationalrat in diesem Fall das Pensionsalter stufenweise auf 67 Jahre erhöhen möchte, hat der Bundesrat einen anderen Plan: Er will die Lohnbeitragssätze für die AHV um maximal einen Prozentpunkt erhöhen können – von heute 8,4 auf 9,4 Prozent. Davon verspricht sich die Regierung Zusatzeinnahmen von 4,5 Milliarden Franken, was die Lücke im Jahr 2030 schliessen würde.

Diese Reform der AHV belastet die Wirtschaft, wie das Beispiel der AEK Gruppe zeigt. Deren Lohnsumme beträgt rund 20 Millionen Franken pro Jahr. Für die AHV wendet der Stromproduzent etwa 0,8 Millionen Franken jährlich auf. Kommt – wie von Bundesrat Alain Berset vorgeschlagen – ein zusätzliches Lohnprozent hinzu, entspricht dies für die AEK einer Zusatzbelastung von 100'000 Franken jährlich.

Werden weder die Beiträge erhöht noch die Auszahlungen gesenkt, schwinden die Mittel der AHV. Gemäss Projektionen des Departements von Bundesrat Alain Berset würde die erste Säule etwa ab dem Jahr 2030 in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das hört sich noch relativ weit weg an. Aber nur wenn man frühzeitig Gegensteuer gibt, bleiben relativ sanfte Anpassungsschritte möglich.

Nicht nur für die erste Säule braucht es Massnahmen, sondern auch für die zweite. «Die Reform kann nur gelingen, wenn das Leistungsniveau sowie die Gewichte der beiden Säulen beibehalten werden», sagt Donald Desax.

Von Jung zu Alt

Schon heute wird in der zweiten Säule von den Jungen zu den Alten umverteilt. Gemäss Berechnungen der Helvetia Versicherungen hätten im Jahr 2014 die Guthaben der Erwerbstätigen ohne Umverteilung um zwei Prozentpunkte besser verzinst werden können.

Diese Umverteilung trifft auch Mario Affolter. Der 49-jährige Controller prüft die Businesspläne der AEK Gruppe. Im Alter von 17 hatte er die Vision, mit 50 Jahren in Pension zu gehen. Inzwischen ist das kein Thema mehr. Das ist für ihn aber nicht weiter schlimm, denn: «Ich habe den besten Job bei der AEK.»

Affolters Rente aus der zweiten Säule wird auf jeden Fall geringer ausfallen, als er im Alter von 17 Jahren erwarten durfte, denn die Verzinsung seines Kapitals ist drastisch gesunken. Noch bis zum Jahr 2002 lag der Mindestzins bei 4 Prozent, inzwischen beträgt er noch 1,25 Prozent und ab Anfang des nächsten Jahres nur noch 1 Prozent.

Wegen der gestiegenen Lebenserwartung wird zudem der Umwandlungssatz im Obligatorium von 6,8 auf 6 Prozent sinken – hier sind sich Parlament und Bundesrat einig. Wer ein Vermögen von 100'000 Franken bei der Pensionskasse angespart hat, erhält also bei seiner Pensionierung eine jährliche Rente von nur noch 6000 statt 6800 Franken.

Diese Senkung wird Mario Affolter aber vermutlich nicht direkt betreffen, denn Bundesrat und Parlament sehen Übergangsfristen und Ausgleichsmassnahmen vor. Bundes- und Nationalrat wollen allen entgegenkommen, die beim Inkrafttreten der Revision schon über 40 Jahre alt sind, der Ständerat nur jenen, die 50 Jahre oder älter sind.

Frühes Einzahlen in Säule 3a

Voll wirksam würde die Senkung des Umwandlungssatzes bei allen, die jünger sind. Gemäss dem Vorschlag des Ständerats wären das bei der AEK 76 Mitarbeiter, und wenn sich der Bundesrat durchsetzt, beträfe es 46 Mitarbeiter.

Urs Steiner muss sich wohl keine Sorgen um eine Senkung seines Umwandlungssatzes machen. Der 52-Jährige ist Leiter der Produktion bei der AEK Pellet in Balsthal, einer Tochtergesellschaft der AEK Gruppe. Dort wird Sägemehl zu kleinen Stäbchen gepresst, die für die Wärmegewinnung genutzt werden können. Steiners Ziel war es einst, mit 55 Jahren in Pension zu gehen. Inzwischen will er allenfalls noch etwas vor dem regulären Pensionsalter aufhören zu arbeiten. In der Zwischenzeit sorgt er dafür, dass die Produktion in Balsthal möglichst ohne Unterbruch läuft.

Das gefällt Bruno Jordi, der als Geschäftsleitungsmitglied bei AEK unter anderem für AEK Pellet verantwortlich ist. Der 49-Jährige kann sich nicht vorstellen, mit 65 auf einen Schlag mit Arbeiten aufzuhören. Die Pensionierung sei für ihn sowieso nicht das grösste Thema, sagt er. Dass er selber vorsorgen muss, um auch als Rentner seinen Lebensstil weiterzuführen, ist ihm aber schon lange klar. Deshalb hat er schon mit 25 Jahren begonnen, in die Säule 3a einzuzahlen.

Abgaben kommen früher

Um die zweite Säule zu finanzieren, werden Erwerbstätige aber künftig wohl bereits in noch jüngeren Jahren Beiträge leisten müssen. Während heute erst ab 25 Jahren Sparbeiträge in die Pensionskasse fällig werden, möchte der Ständerat schon ab Alter 21 beginnen.

Die Erwerbstätigen sollen aber nicht nur bereits jünger einzahlen, sondern auch ab einem geringeren Lohnniveau. Bis anhin mussten Mitarbeiter mit Jahreslohn unter 21 150 Franken keine Beiträge zur beruflichen Vorsorge leisten. Der Bundesrat will diese Eintrittsschwelle auf 14 100 Franken senken, was bei der AEK drei Mitarbeiter beträfe. Stände- und Nationalrat lehnen dies jedoch ab.

Darüber hinaus soll der Koordinationsabzug gesenkt werden. Das ist der Betrag, der vom Einkommen abgezogen werden kann. Nur für den Rest sind Beiträge für die berufliche Vorsorge fällig. Bundes- und Nationalrat wollen ihn ganz streichen, der Ständerat hingegen von heute 24 675 auf 21 150 Franken senken und bei Teilzeitbeschäftigten an den Beschäftigungsgrad anpassen. So würden höhere Beiträge in die Pensionskassen einbezahlt, was den tieferen Umwandlungssatz ausgleichen sollte.

Mehrkosten sind verkraftbar

Für die AEK würden die tiefere Eintrittsschwelle und der Wegfall des Koordinationsabzuges rund eine viertel Million Franken Mehrkosten bedeuten. Dafür wären bei der AEK künftig rund 25 junge Mitarbeiter und 35 Teilzeiter besser versichert. Im Gegenzug müssten die einen erstmals und die anderen höhere Pensionskassenbeiträge entrichten als bisher.

Die höheren Beitragssätze in der zweiten Säule würden die Arbeitskosten für die AEK nochmals um rund 200'000 Franken verteuern. Der Energieversorger rechnet bei der Rentenreform insgesamt mit jährlichen Zusatzkosten von 400'000 bis 600'000 Franken. «Das ist spürbar und kann nur mit entsprechenden Massnahmen verkraftet werden», sagt AEK-Direktor Walter Wirth. Bei anderen Firmen dürften die Relationen ähnlich sein. Allerdings könnten sie davon härter getroffen werden.