Severin Schwan lässt sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Wenn in der Roche-Forschung oder bei der amerikanischen Tochter Genentech eine Studie bachab geht, dann lädt er die Mannschaft zur «Celebration Party». Richtig, er feiert, und zwar den «Mut zu scheitern», wie er der «Basler Zeitung» einmal sagte – denn: «Diesen Mut brauchen wir». Severin Schwan, die Ruhe selbst – auch dann, wenn es nicht rundläuft.

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Starke Nerven, das wird der Roche-Konzernchef in nächster Zeit brauchen. Denn die Zeiten könnten stürmisch werden. Dem Basler Pharmakonzern steht ein in der Industrie einzigartiger Transformationsprozess bevor. Gleich bei drei Krebs-Blockbustern – Mabthera/Rituxan, Avastin und Herceptin –, mit einem Umsatzvolumen von zusammen mehr als 21 Milliarden Franken, laufen die Patente aus. Knapp 40 Prozent des Umsatzes sind betroffen, bezogen auf die Pharmadivision gar die Hälfte.

Präzedenzfall Roche – so viele Patente laufen aus wie nie

«Die Situation ist präzedenzlos», sagt Jack Scannell, Pharma-Analyst bei UBS in London. «Dass ein Unternehmen in so kurzer Zeit mit Patentabläufen in diesem Ausmass konfrontiert wird, hat es in der Pharmaindustrie meines Wissens noch nie gegeben», sagt der Branchenkenner.

Die Unsicherheit ist beträchtlich. Noch ist völlig unklar, wie stark die Umsätze unter den Patentabläufen leiden werden. Und zur Frage, wie sich Biosimiliars – so der Fachbegriff für biotechnologisch hergestellte Nachahmer-Medikamente wie die drei Roche-Krebsmittel – entwickeln werden, gibt es kaum Erfahrungswerte. Jedenfalls nicht aus der Onkologie.

 

Biosimilars sind eine Blackbox

Klar ist: Derart brutal wie bei Novartis, wo die Umsätze für Gleevec (Krebs) und Diovan (Bluthochdruck) nach Ablauf der Patente in den vergangenen Jahren förmlich implodierten, wird es bei Roche nicht zu und her gehen. Die Markteintrittshürden für Biosimilars sind höher als bei chemisch hergestellten Präparaten.

Biotechnologisch hergestellte Medikamente sind schwieriger zu kopieren, der Anteil der Herstellungskosten an den Gesamtkosten der Präparate ist höher. Das heisst: Die Preisdifferenz, mit der die Nachahmerhersteller arbeiten können, ist bei Biosimilars kleiner. Dazu kommt: Die Erfahrung bei Generika zeigt, dass es bei einem Wirkstoff mindestens drei Anbie-ter braucht, damit die Preise ins Rollen kommen. Bei Roche aber ist bis jetzt erst ein Biosimilar, für Mabthera/Rituxan auf dem Markt: Rituximab, von Sandoz, der Generikasparte von Novartis.

Pharmariese Roche hat einige Trümpfe in der Hand

Schliesslich hat Roche auch selbst noch einige Trümpfe in der Hand. Erstens das Pricing. «Die Produktionsanlagen für Mabthera/Rituxan, Herceptin und Avastin sind amortisiert», sagt Lorenzo Biasio, Pharma-Analyst bei der Credit Suisse.

Das heisst: Das Unternehmen kann den Generikaherstellern das Leben erschweren, indem es selbst an der Preisschraube dreht.

Zweitens beherrscht Roche auch das «Evergreening» – die Praxis von Originalpräparatherstellern, das Leben ablaufender Patente durch neue Zulassungsformen zu verlängern. Auch hier hat Roche vorgesorgt. Herceptin (Brustkrebs) und Mabthera/Rituxan (Lymphdrüsenkrebs) sind bereits seit einigen Jahren auch als Injektion und nicht nur als Infusion erhältlich. Die subkutane Verabreichung dauert nur wenige Minuten anstatt bis zu eineinhalb Stunden wie bei der intravenösen Anwendung. Lorenzo Biasio geht davon aus, dass es nicht dabei bleiben wird und dass Roche auch für Avastin, ein gegen eine ganze Reihe von Krebserkrankungen zugelassenes Produkt, in nächster Zeit neue Anwendungsformen auf den Markt bringen wird, um den Umsatzverlust zu beschränken.

Umsatz mit Krebs-Blockbustern stürzt ab

Bezahlt macht sich drittens auch die Strategie der Kombinationstherapien. Die HER2-Franchise, eine Kombinationstherapie von Herceptin und den beiden neueren Medikamenten Perjeta und Kadcyla zur Bekämpfung von Brustkrebs, schlägt sich bestens: plus 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr beim Umsatz im dritten Quartal.

Fazit: Die Umsätze der drei Krebs-Blockbuster dürften nicht von heute auf morgen abstürzen, sondern in den nächsten Jahren sanft landen: minus 5–10 Prozent pro Jahr bei Herceptin, minus 10–15 Prozent bei Avastin und minus 15–20 Prozent bei MabThera. So die Prognosen.

Aufholjagd in der Immunonkologie

Doch auch so kommen bis 2021 immerhin 9 Milliarden Franken zusammen, die wegfallen und anderweitig kompensiert werden müssen. Das heisst, die Pipeline von Roche ist gefordert. Das Problem dabei: Auch hier gibt es eine Reihe offener Fragen.

Beispiel Immunonkologie. Klar ist: Die Aufholjagd geht voran. Eben erst bekannt gewordene Studienresultate zu Tecentriq, dem Immuntherapeutikum von Roche, lassen hoffen, dass sich das Unternehmen ein Stück von einem mit 10 Milliarden Dollar bewerteten Lungenkrebsmarkt wird sichern können. Doch die Konkurrenz ist hart. Zu Lungenkrebs sind in nächster Zeit derart viele Studien zu erwarten, dass eine Prognose derzeit wenig sinnvoll ist.

Dafür punktet Roche seit kurzem auf Therapiefeldern ausserhalb seines heutigen Kerngeschäfts, dem Krebs. Ocrevus, ein eben erst zugelassenes Medikament gegen multiple Sclerose, hat in den letzten Monaten einen fulminanten Start hingelegt (500 Millionen Umsatz in neun Monaten). Das Potenzial: 4 Milliarden Franken. Mit Helimbra, einem Medikament gegen Hämophilie A, operiert Roche in einem Markt mit einem Potenzial von 8 Milliarden Franken.

Roche dürfte sich breiter aufstellen

Das aber heisst: Die Umsatzeinbussen bei Krebs werden womöglich zum grossen Teil auf anderen Therapiefeldern kompensiert werden. Das Unternehmen, das sein Geld schon mit Vitaminen, Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine) und zuletzt mit Krebsmedikamenten verdient hat, würde sich einmal mehr neu erfinden. Ironie

der Geschichte: Die Patentklippe bei den Krebs-Blockbustern würde dann dazu führen, dass Roche wieder stärker in andere Therapiegebiete diversifizieren würde – etwas, was vielen Anlegern schon länger ein Anliegen ist.

Roche schreibt dazu, dass man sich bei Forschung und Entwicklung von «wissenschaftlicher Erkenntnis» leiten lasse. Ziel sei es, «innovative Medikamente für Krankheiten mit grossem medizinischem Bedarf zur Verfügung zu stellen». Ein Schwerpunkt sei dabei die Onkologie, aber auch andere Therapiegebiete.

Ob Onkologie oder anderes: Matchentscheidend wird sein, dass Severin Schwan in den nächsten Monaten möglichst selten zur «Celebration Party» laden muss. Nur dann wird es wirklich etwas zu feiern geben: die erneute erfolgreiche Transformation der Krebsmedikamenten-Herstellers Roche in ein breiter aufgestelltes Pharmaunternehmen.»