Nehmen wir einmal an, dass sich die Weltwirtschaft, ausgehend von den USA, in den kommenden Monaten sprunghaft belebt. Wie würde sich ein solcher Kickstart der Konjunktur auf die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer auswirken? Was würde dies in Bezug auf die Geldpolitik der Zentralbanken und das internationale Zinsniveau implizieren? Und welche Rückwirkungen hätte dieses unverhoffte, jedoch nicht völlig auszuschliessende Hausse-Szenario auf die Konsumneigung der Haushalte und die am Boden liegende Investitionstätigkeit?

Bei der gedrückten Stimmungslage, wie sie heute vorherrscht, mögen Fragen wie diese hypothetisch erscheinen; als mögliche Spielvarianten künftiger Wirtschaftspolitik sind sie indes von höchster Brisanz. Da wirkt es schon erschreckend, wenn sich eine grundsolide und in ihrem Urteil vermeintlich zuverlässige Institution wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ausser Stande erklärt, die möglichen Auswirkungen eines solchen Szenarios einigermassen zuverlässig zu deuten.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die renommierte BIZ gibt öffentlich zu erkennen,
dass sie den Fortgang der Weltwirtschaft
nicht mehr schlüssig zu interpretieren weiss
.


«Die Wahrheit ist, dass unsere Kenntnis der einzelnen Wirkungsmechanismen begrenzt ist, und die Tatsache, dass es zu unerwarteten Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Kräften kommen kann, vergrössert die Unsicherheit zusätzlich», erklären die BIZ-Ökonomen in ihrem im Juli publizierten Jahresbericht. Schonungsloser lässt sich die eigene Fehlbarkeit kaum mehr benennen. Der renommierte und in Fachkreisen hoch respektierte Think-Tank zu Basel, dessen volkswirtschaftliche Analysen zum Profundesten auf dem blühenden Meinungsmarkt gehören, gibt öffentlich zu erkennen, dass er den Fortgang der Weltwirtschaft nicht mehr schlüssig zu interpretieren weiss, weil auch er mit seinen elaborierten Modellen gewissermassen im Nebel stochert.

Selbst wenn man von externen Schocks einmal absehe, relativiert die BIZ-Crew ihre alarmierende Schwammigkeit, seien die letzten Jahre «alles andere als normal» verlaufen. Tatsächlich wurde der Aufschwung bis Ende der Neunzigerjahre durch einen beispiellosen Boom an den Kredit- und Aktienmärkten beflügelt, während die Wende im Konjunkturzyklus nicht etwa – wie in früheren Fällen – durch emporschiessende Teuerungsraten und entsprechende Gegenmassnahmen der Geldbehörden, sondern durch einen scharfen Einbruch der Unternehmensgewinne und der Investitionen ausgelöst wurde. Nach Lesart der BIZ war beides absolut atypisch. Genau so, wie auch die darauf folgende, seit rund zwei Jahren anhaltende Phase des konjunkturellen Abschwungs, in der das Konsumverhalten in vielen Ländern, insbesondere in den USA, erstaunlich hoch geblieben sei.


Mit jedem Prozentpunkt an Einkommen,
der jenseits des Atlantiks zusätzlich zur Seite gelegt wird,
bricht die Nachfrage um 75 Milliarden Dollar ein.


In eben dieser letztgenannten Anomalie erblicken die Konjunkturforscher derzeit eines der grössten Risiken für die Weltwirtschaft. Dabei kommt die ungewöhnliche Robustheit der US-Konsumnachfrage nicht von ungefähr: Mit rekordtiefen Zinsen, grosszügigen Steuerrabatten, verbilligten Immobilienkrediten und Dumpingmethoden im Leasingbereich wurden die Verbraucher in den Vereinigten Staaten nach dem Schock vom September letzten Jahres von der Bush-Regierung bei Laune gehalten. Was aber, wenn der kollektive Hype verfliegt und die amerikanischen Haushalte auf einmal beschliessen sollten, ihre fahrlässig geringe Sparrate in Zukunft nur schon geringfügig zu erhöhen? Ob wir es verdrängen wollen oder nicht, kommt in diesem Fall folgende Faustregel zum Tragen: Mit jedem Prozentpunkt an verfügbarem Einkommen, der jenseits des Atlantiks zusätzlich zur Seite gelegt wird, bricht die Nachfrage um 75 Milliarden Dollar ein. Was das für den Rest der Welt bedeutet, malt man sich lieber gar nicht erst aus.

Auf Gedeih und Verderb, so scheint es, sind wir der fortwährenden Überkonsumption der Amis ausgeliefert. Erst wenn die zermürbende Serie von Bilanzfälschungsskandalen in den USA zu Ende geht und die New-Yorker Leitbörse Boden findet, können auch hier zu Lande die Wirtschaftsakteure wieder Vertrauen schöpfen. Stellt sich dieses Vertrauen ein, nimmt auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wie von selbst wieder zu. Bei wachsenden Umsätzen und entsprechenden Gewinnaussichten gehen die Unternehmen von der Bremse, rekrutieren Personal und investieren in neue Software und Maschinen: Der allseits herbeigesehnte Aufschwung ist da. «Es könnte sich durchaus eine Eigendynamik entwickeln, die alles zum Guten wendet, es könnte aber auch alles ziemlich schief gehen», lassen die BIZ-Ökonomen in der gegenwärtigen Situation alles in der Schwebe. Ihr gut gemeinter Rat an die Verantwortlichen: «Das Beste hoffen und sich auf das Schlimmste gefasst machen.»