Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
Die Folgen der Pandemie bleiben das dominierende Thema, auch wenn der US-Wahlkampf wieder angelaufen und ein ungeregelter Brexit wahrscheinlicher geworden sind. Die rasante Ausbreitung des Coronavirus hat das globale wirtschaftliche Umfeld grundlegend geändert.

Obwohl im zweiten Halbjahr mit einer Normalisierung des wirtschaftlichen Lebens zu rechnen ist, wird die globale Wirtschaftsleistung in diesem Jahr nach Schätzungen der OECD deutlich schrumpfen. In Europa erwarten wir BIP-Rückgänge in der Grössenordnung von 6 bis 9 Prozent, für die USA eine etwas mildere Rezession im Ausmass von minus 5 Prozent. Die OECD rechnet mit einem um weitere 1.5 Prozent tieferen Wachstum, falls es im Herbst eine zweite Coronawelle geben würde. Es wird mindestens bis weit ins kommende Jahr dauern, bis die Wachstumsverluste wieder wettgemacht sind.

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ChristianZogg_LLB_Boerseninterview

Christian Zogg ist Stv. Geschäftsführer der LLB Asset Management AG in Vaduz und verantwortlich für den Bereich Equity & Fixed Income der LLB-Gruppe, die in Liechtenstein, der Schweiz, Österreich und im Nahen Osten vertreten ist.

Quelle: ZVG

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Der Schweizer Aktienmarkt gehörte zu Beginn der Krise zu den klaren Gewinnern. Mit Fortschreiten der Erholung haben andere, mehr zyklische Märkte aufgeholt. In diesem Umfeld dürfte sich die Schweizer Börse etwas weniger steil aufwärtsbewegen. Sollte sich die Konjunktur langsamer erholen als erwartet, wäre der Schweizer Aktienmarkt im internationalen Vergleich aber relativ resistent.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
In einer Bandbreite von 10'500 bis 11'000 Punkten. Das Aufwärtspotenzial scheint uns nach der bereits starken Erholung begrenzt.  Die allgemeine Erholungsphase scheint vorüber. Die nächsten Monate werden wieder stärker durch einzelne Unternehmensergebnisse geprägt sein, was zu mehr Bewegung zwischen den Titeln führt, nicht aber zu spektakulären Punkte-Zuwächsen des Gesamtmarktes.

Dividendentitel sind beliebt. Welche Schweizer Unternehmen versprechen derzeit attraktive Ausschüttungen?
Die Dividenden für das erfolgreiche Jahr 2019 sind mittlerweile bis auf ein paar Ausnahmen an die Aktionäre ausgeschüttet worden. Das laufende Geschäftsjahr ist bekanntlich ungleich schwieriger. Das wird dazu führen, dass verschiedene Unternehmen ihre Dividenden im Frühjahr 2021 kürzen oder ganz ausfallen lassen müssen. Aus Sicht des aktuellen Kursniveaus sowie der prognostizierten Dividende für das laufende Jahr würden wir folgende Aktien in einen Dividendenkorb legen: Zurich Financial Services, Swiss Life, ABB, Swisscom und UBS.

Sehen Sie drei europäische Aktien, die Sie Schweizer Anleger empfehlen können?
Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass auch für Schweiz Anleger ausländische Aktien aus Diversifikationsgründen in ein Portfolio gehören. Drei europäische Titel, die wir aktuell hervorheben würden, sind Siemens (Umbau zum fokussierten Industriekonzern schreitet rasch voran), Associated British Foods (Eigentümer von Primark, einer Billigmodenkette, die vorübergehend wegen Covid-19 alle Geschäfte schliessen musste und einen Absturz des Aktienkurses erlebte); LVMH (wieder steigender Appetit der Chinesen für Luxus; hervorragend positionierter Luxuskonzern mit begehrten Marken; im Vergleich zu Konkurrenten zu tief bewertet).

Jede Krise schafft Chancen. Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich aus der aktuellen Wirtschaftskrise?
Die Digitalisierung hat in dieser Krise einen grossen Schritt nach vorne gemacht, aber auch die Unzulänglichkeiten der Infrastruktur vielerorts ans Licht gebracht. Der Zwang, sich räumlich zu trennen, hat gerade auch in der Finanzdienstleistungsbranche dazu geführt, dass eine funktionierende Homeoffice-Infrastruktur geschaffen werden musste und diese in Zukunft wohl noch ausgebaut wird.

Aufwendige Geschäftsreisen mit dem Flugzeug könnten zumindest deutlich eingeschränkt werden, während auf kurzen Strecken der Individualverkehr eine Renaissance erleben könnte. So wurde in China in den letzten Wochen bis zu 20 Prozent Mehrverkehr auf den Strassen gemessen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie.

Am Aktienmarkt waren die grossen Gewinner praktisch allesamt im Umfeld der Technologie zu finden beziehungsweise im Bereich Onlinehandel. Dieser Trend könnte sich noch massiv verstärken, wobei die eigene Erfahrung zeigt, dass auch lokale Anbieter mit einem guten Webauftritt und einer guten Logistik reüssieren können.

Der Autokonzern Tesla ist weiter auf der Überholspur und will in den USA eine neue Fabrik bauen. Sie haben in der Vergangenheit von dem Titel abgeraten – haben Sie Ihre Meinung inzwischen geändert?
Die Aktie hat in der Zwischenzeit wahrlich abgehoben. Während sich «normale» Autobauer mit Widrigkeiten wie einem Absatzeinbruch von 50 Prozent herumschlagen, scheint das Tesla nichts anzuhaben. Mittlerweile machen sie mit ihrer Marktkapitalisierung von rund USD 200 Milliarden gar Toyota als dem grössten Autobauer «Konkurrenz», wobei Toyota gemessen an Umsatz und Betriebsgewinn etwa zehnmal so gross ist.

Technologisch ist Tesla im Bereich der Lithium-Ionen-Akkus nach wie vor führend. Zudem wird seit Längerem spekuliert, dass sie mit einem 1'000 km weit reichenden System auf den Markt kommen könnten. Auf der anderen Seite stellt man vor allem in den USA seit der Pandemie fest, dass das sogenannte «Day Trading» wieder stark zugenommen hat. Einige werden sich erinnern, dass dieses Phänomen vor allem um die Jahrtausendwende dazu führte, dass Technologieaktien jenseits aller Bewertungsüberlegungen gehandelt wurden. Tesla zeigt starke Anzeichen dieses Phänomens, weshalb wir vor einem Einstieg abraten.

Das Interview wurde schriftlich geführt.