Er ist der Letzte seiner Art, und er lebt in Küssnacht am Rigi. Sein Name weckt unwillkürlich Assoziationen an friedliche Schafherden und frisch gemähte Bergwiesen, doch Sepp Knüsel beschäftigt sich eher mit LCD-Displays, Feinkornstählen und Abgasreglementen. An der Wand seiner Werkhalle prangt ein Schild: «Unser Ziel – jeder Kunde ein zufriedener Kunde.» Im Keller lagern Ersatzteile, in der Schlosserei hängen Auspufftöpfe an Ketten, und in der engen Halle sind fünf massive Chassis aufgebockt. Mit sechs Leuten schraubt Knüsel Motoren, Bremsgruppen, Räder und Kabinen an die Hauptrahmen, nach zehn Wochen rollt ein Rigitrac ins Freie. Sepp Knüsel ist der letzte Traktorenbauer der Schweiz.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Als der Exot vor fünf Jahren anfing, kratzte er privates Geld zusammen. Über eine Million Franken steckte er in seinen Traum – nur für Fixkosten. Hinzu kommt seine Arbeitszeit. «Seit 2009 arbeiten wir kostendeckend», sagt Knüsel. Im Hauptberuf handelt seine Firma mit Landmaschinen und repariert sie. Gern hätte er «schon vor 15 Jahren mit den Traktoren begonnen», die Idee trug er schon lange mit sich herum. Aber da reichte das Geld noch nicht, und aus Bern war keine Entwicklungshilfe zu erwarten. Er vertrieb sich die Zeit mit dem Entwickeln neuer Grasmäher und Transportanhänger. Dann reanimierte Knüsel einen traditionsreichen Wirtschaftszweig: den Schweizer Traktorenbau.

Plattformstrategien. Hürlimann, das war nicht einfach eine Schleppermarke, sondern «der Inbegriff für in der Schweiz hergestellte Traktoren», sagt Jürg Minger, Präsident des Schweizerischen Landmaschinen-Verbandes. In Deutschland gab es in den fünfziger Jahren noch 120 unabhängige Traktorenbauer. Als dann aber die Entwicklungskosten immer weiterstiegen, hätten die Hersteller grössere Volumina gebraucht, um die Kosten aufzufangen. «Deshalb stiegen damals innerhalb von 20, 30 Jahren zunächst die Autohersteller aus und dann auch die Mittelständler, in der Schweiz etwa Bucher und Hürlimann», sagt Martin Richenhagen, Chef des grössten reinen Landmaschinenkonzerns der Welt, AGCO. Auch Familienunternehmen wie Deutz suchten Unterschlupf.

Dass kaum jemand AGCO kennt, sagt viel über die Branche aus. Zwar findet man auf den Feldern weiterhin die breite Farbpalette der Marken: die dunkelgrünen, hellgrünen, blauen, tiefroten, rot-weissen Traktoren, auch die grauen von Hürlimann. Allerdings gehören inzwischen alle zu sechs Grosskonzernen, die in den entwickelten Märkten 80 Prozent der Traktoren und 90 Prozent der «selbst fahrenden Erntetechnik» wie Mähdrescher liefern (siehe Tabelle im Anhang). Und viele Marken sind verschwunden, darunter Ford (in der CNH-Gruppe aufgegangen) oder International Harvester (bei Case IH nur noch im Kürzel präsent). Die populären McCormick-Schlepper feiern derzeit als Retromarke eine Zombie-Existenz, gelten aber als vom Aussterben bedroht. Lamborghini-Traktoren werden in der Schweiz nicht mehr verkauft.

Wie in der Autoindustrie hat im Traktorenbau die Serienfertigung Einzug gehalten, Technik und Produktion in Westeuropa seien auf sehr hohem Stand, sagt der deutsche Landtechnikexperte Wolfgang Kutschenreiter. Gefertigt wird auf Bändern, Plattformstrategien senken die Kosten. Am weitesten hat es die Fiat-Tochter CNH getrieben. «Man schaut unter die Motorhaube und sieht, dass sie grundsätzlich gleich sind», schrieb 2002 der US-Landmaschinenkenner John Stark – in jenem Jahr hatte New Holland ihre Produktion mit der 1999 übernommenen Case zusammengelegt. Die Fusion sollte, das kommunizierte New Holland ganz offen, «Economies of Scale» bringen. Bei CNH gilt New Holland quasi als der Skoda der Traktoren, Case als VW und Steyr als Audi, analog zum Volkswagen-Konzern. Ein österreichischer Landwirt spottet, die Schlepper unterschieden sich, ausser im Preis, «nur bei der Optik, der Lackierung und der Armlehne». Steyr bietet ausgefeilte Multicontroller an, regelrechte Joysticks für den rechten Arm, mit denen der Fahrer komplexe Maschinenbefehle eingibt. Neuerdings bemüht sich CNH, wie der VW-Konzern, um eine stärkere Differenzierung der Marken.

Als Mercedes unter den Traktoren gilt der dunkelgrüne Fendt, bevorzugt von professionellen Lohnunternehmern gekauft: langlebig, technisch führend und zugleich ausgereift, aber richtig teuer. In der Traktorenwährung «Geld pro Pferd» kann der Fendt 800 Euro pro PS kosten. Die Firma wirbt mit Kompensation durch massive Spriteinsparungen («75  000 Euro in zehn Jahren»). Fendt teilt keine Plattform mit anderen AGCO-Produkten; die Universalmarke Massey Ferguson sowie die auf Forstwirtschaft spezialisierte Valtra fahren auf je eigenen Unterbauten. Ganz anders Same Deutz-Fahr, die ihre Marken, darunter Hürlimann, weitgehend auf dieselbe Basis stellt – ausser ihr Topmodell Deutz-Fahr Agrotron. John Deere fährt mit ihrer Single-Brand-Strategie und der enorm breiten Angebotspalette stabil neben den Mehrmarkengruppen her. In der Schweiz, wo Bauern im Mittel 80  000 Franken für ihren Traktor ausgeben, liegt der Durchschnittspreis bei 600 Franken pro PS. Das ist trotz mehr Elektronik, Hydraulik und Pneumatik deutlich weniger als vor 20 Jahren. Damals konnte jede Dieselpferdestärke 1000 Franken kosten.

Image zählt. Mindestens so wichtig wie die Technik sind bei der Kaufentscheidung zwei weitere Punkte: welche Marken der ortsansässige Händler führt, welchen Service er bietet – und das Image. Wie Nachbarn ihre Autos, so vergleichen Bauern ihre Schlepper. «Image spielt eine sehr grosse Rolle», bestätigt Kutschenreiter. So kamen Renault-Traktoren trotz viel Marketingaufwand in Deutschland nie über einen Marktanteil von 1,5 Prozent hinaus. Als 2003 die deutsche Claas, Marktführer bei Mähdreschern, aber bis dato ohne eigene Schlepper, die Renault-Traktorsparte kaufte und, wie ein Insider spöttelt, «die Maschinen umlackierte und eine neue Preisliste herausgab», stieg der Marktanteil innert vier Jahren auf über acht Prozent – weil der Name Claas zog. Heute ist, wo Claas draufsteht, auch Claas drin. Zudem reizen die Maschinen den Spieltrieb. Alt-Bundesrat Blocher kurvt über seinen Hof, Fiat-Boss Marchionne soll gern mal eine Runde drehen, in zahlreichen Traktorenclubs pflegen Liebhaber ihre Schätzchen. Der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ackert mit gleich drei Porsche-Treckern.

Sieben Patente. Porsche ist eine ausgestorbene Marke der Traktorbranche, wie in der Schweiz Bührer, Meili, Aecherli, Mafag, SLM, Köpfli und andere. Nur Aebi blieb als Nischenplayer, spezialisiert auf kleinere Maschinen zur Bearbeitung von Hanglagen.

Hänge und Berge, das ist auch Sepp Knüsels Nische – wiewohl sein Rigitrac schwere Ackerpflüge problemlos zieht. Der Clou ist aber das zentrale Drehgelenk im Chassis. Es sorgt dafür, dass der Schlepper an Abhängen sicher steht. Mit einer weiteren Innovation, dem «Hundegang», drehen alle Räder in dieselbe Richtung; damit kann man den Traktor versetzen, ohne Anbaugeräte auszuschwenken. Knüsel, Praktiker und gelernter Mechaniker, hat sich im Selbststudium weitergebildet. Sieben Patente hält er, 30 Traktoren baut er pro Jahr. Das grössere seiner beiden Modelle mit 120 PS kostet, je nach Ausstattung, zwischen 130  000 und 160  000 Franken. Er weiss: Teurer als Fendt darf er nicht werden.

Die Finanzkrise, aber vor allem die Baisse der Milchpreise belasten die Traktorenbauer. Jürg Minger glaubt nicht, dass die magische Marke von schweizweit 2000 verkauften Traktoren dieses Jahr erreicht wird. Erst 2010 könnten es wieder 2000 bis 2200 werden. Vor 20 Jahren waren es noch doppelt so viele, dafür haben die Maschinen heute im Schnitt rund 100 PS statt wie damals 50 bis 75. Vom Schweizer Markt für Landtechnik, pro Jahr eine halbe Milliarde Franken schwer, fliessen 40 Prozent in den Traktorenmarkt. Führend hierzulande ist die Marke New Holland. 2008 verkaufte sie 334 Maschinen. Es folgen John Deere, Deutz-Fahr und Fendt, Hürlimann liegt mit 146 Traktoren, bei fallender Tendenz, auf Platz fünf. Grundsätzlich sind die Aussichten der Branche glänzend. AGCO-Chef Richenhagen geht davon aus, dass die Mechanisierung der Landwirtschaft stetig zunehmen wird.

Hightechprodukte. Grundsätzlich sind die Aussichten der Branche glänzend. AGCO-Chef Richenhagen geht davon aus, dass die Mechanisierung der Landwirtschaft stetig zunehmen wird.

Dabei sind Traktoren schon heute Hightechprodukte. Die Getriebe schalten oft stufenlos, ohne Unterbruch der Zugkraft. Anbaugeräte und Traktoren kommunizieren per «ISO-Bus» elektronisch miteinander: Der Traktor liest den Acker, die Maschine führt aus, unabhängig vom Hersteller. «Die Landwirtschaft hat längst, was bei Handy-Ladegeräten noch fehlt oder Microsoft immer unterbunden hat: offene Systeme», sagt Jürg Minger. Auf zwei Zentimeter genau führt satellitengesteuerte GPS-Navigation selbständig den Traktor, sodass etwa Sämaschinen weder Stellen vergessen noch doppelt bearbeiten. Die Spurführung werde künftig noch präziser sein und es werde noch mehr Sensortechnik geben, prognostiziert Minger. Bald werden wohl mehrere Traktoren nebeneinander grosse Felder bearbeiten, nur auf einem sitzt noch ein Fahrer und überwacht die Systeme.

Sepp Knüsel will seine Palette auf vier Modelle erweitern, bis maximal 150 PS, «dann ist Schluss». Einziger Schweizer Traktorenbauer zu sein, das bedeute ihm nichts – im Gegenteil, weitere Gründer würden helfen, den Markt auszubauen. Und der Wunsch findet Gehör: Diesen November stellt Markus Liebherr aus der gleichnamigen Baumaschinendynastie seinen «Mali Trac» mit 120 PS und Allradlenkung vor. Gefertigt wird der für städtische Einsätze konzipierte Traktor in Deutschland, aber zentrale Komponenten kommen aus Beringen bei Schaffhausen.

Sepp Knüsel ist nicht mehr allein.