Die Schweizer Immobilien- und Finanzelite kommt am heutigen Donnerstag im Berner Hotel Bellevue Palace zum siebten Schweizer Immobilien-Kongress zusammen. Einer der namhaftesten Referenten ist Martin Janssen, Leiter der Ecofin-Gruppe und emeritierter Professor für Finanzmarktökonomie. Handelszeitung.ch sprach mit dem Experten über den Schweizer Finanzplatz.

Wieso ist der Schweizer Finanzplatz unter Druck?
Martin Janssen: Vordergründig ist das internationale Anlagegeschäft unter Druck. Das sieht man an den Millionen- und Milliarden-Bussen der Grossbanken und anderer Banken. Man kann auch einen Rückgang bei den Margen und bei den in der Schweiz verwalteten Vermögen beobachten. Einige private Banken mussten sogar das Geschäft einstellen oder verkaufen.

Wo liegt das Problem dieses vordergründigen Drucks?
Die Verstösse gegen ausländisches Recht konnten angesichts der leeren Kassen in der EU und in den USA nicht länger Grundlage sein für ein langfristig erfolgreiches Geschäftsmodell der Schweizer Banken. Vermutlich hat man mit der Neuorientierung zu lange gewartet. Jetzt sind die Anpassungskosten sehr hoch. Die Strukturen am Finanzplatz Schweiz werden sich nachhaltig verändern. Alle diese Probleme sind Ausdruck der Rahmenbedingungen, welche die Politik den Banken vorgegeben hat.

Wie ist das zu verstehen?
Es sind nicht einfach die ‹bösen› Banken, die etwas falsch gemacht haben, es sind die Rahmenbedingen. Sie geben vor, wie sich die Banken zu verhalten haben. Stellen Sie sich vor, dass Schwarzfahren ab morgen nicht mehr bestraft würde. Dann würden fast alle Leute schwarz fahren. Analog ist das mit dem unversteuerten Geld aus dem Ausland. Die Politik kannte und wollte dieses Geschäftsmodell. Da kann man heute nicht einfach sagen, die Banken seien Schuld.

Gibt es noch andere Beispiele?
Die Rahmenbedingungen gelten etwa auch für das «Too big too fail»-Problem. Die Optimierung der Kapitalhöhe aus Sicht eines einzelnen Unternehmens ist nicht das Gleiche wie aus Sicht der Schweiz. Das war der Politik schon lange bekannt, bevor Bund und Nationalbank 2008 bei der UBS einspringen mussten.

Das eigentliche Problem liegt bei der Politik?
Ja. Die Politik setzt die Rahmenbedingungen. Es wäre naiv zu erwarten, dass Unternehmungen von sich aus «das öffentliche Interesse» – was immer das ist – schützen würden. Es reicht, wenn Firmen sich an die Gesetze und Normen der Gesellschaft halten; und das tun sie in den meisten Fällen auch.

Welche Rolle spielt der Bundesrat?
Ich finde, dass der Bundesrat seit 2008 eine sehr unglückliche Rolle spielt. Es beginnt mit dem berühmten Satz von Bundesrat Merz an die EU: «An diesem Bankgeheimnis werdet Ihr Euch noch die Zähne ausbeissen.» Wenig später war das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland Geschichte, weil der Bundesrat für seine Verhandlungen keine Strategie hatte. Anstatt für die eigenen Verhandlungen eine Strategie und Rückzugslinien festzulegen, hat der Bundesrat immer wieder versucht, eine Finanzplatzstrategie zu definieren. Ich halte diesen Ansatz für falsch. Es ist nicht Sache des Bundesrates, eine Finanzplatzstrategie festzulegen. Die Politik soll vielmehr die Rahmenbedingungen definieren, innerhalb derer die Unternehmungen ihre eigenen Strategien definieren können. Es braucht keine Kooperation zwischen den grossen Marktteilnehmern und der Politik. Das ist gegen die Interessen der Kunden und der kleinen Marktteilnehmer.

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Bundesbern arbeitet doch an den Verbesserungen. Was läuft schief?
Betrachten Sie das regulatorische Umfeld. Der Bundesrat will die Gesetze, welche die Rahmenbedingungen für den Finanzplatz Schweiz festlegen, völlig umbauen. Die Banken müssen sich in den nächsten Jahren mit Hunderten von Seiten neuer Gesetzestexte und mit Tausenden von Seiten neuer Verordnungen auseinandersetzten. Doch die Banken sollten sich mit dem Markt und den Kunden beschäftigen und nicht mit so viel Bürokratie.

Und welche Rolle spielt die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma?
Obwohl die Finma nicht so gross ist wie ausländische Aufsichtsbehörden, finde ich die Rolle der Finma sehr problematisch: Faktisch setzt die Finma Recht. Sie überprüft die Einhaltung von Gesetzen und eigener Erlasse. Sie urteilt auch in erster Instanz über Gesetzesverstösse. Ich erachte diese fehlende Gewaltenteilung als eines Rechtsstaates nicht würdig. Die Finma stützt sich vor allem auf Kontrollen und Bürokratie. Sie behindert so die Entwicklung des Finanzplatzes Schweiz massgeblich.

Was ist Ihr Lösungsvorschlag für den Finanzplatz Schweiz?
Es müsste sich viel ändern: die Gesetzgebung müsste zurückhaltender werden, die Finma müsste mehr auf Transparenz und Wettbewerb setzen, geändert werden müssten auch die Eigentümerstrukturen auf dem Finanzplatz. Heute gehört der überwiegende Teil des Finanzplatzes der öffentlichen Hand. Das gilt für die Kantonalbanken, die Postfinance und die Grossbanken, die weiterhin vom Steuerzahler abhängig sind. Auch die Swisscom gehört dazu. Sie betreibt einen wichtigen Teil der Bankeninfrastruktur und entwickelt Banken-Software. Diese Struktur ist sicher nicht geeignet, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

Warum nicht?
Erfolgreiche Unternehmungen wie Apple, Facebook oder Google werden in den Schweizer Finanzmarkt vorstossen. Ich wünschte mir, dass wir mehr private Unternehmungen hätten, die den Kampf mit diesen internationalen Giganten aufnehmen werden. Staatliche Strukturen sind hierzu sicher nicht prädestiniert.

Was passiert, wenn es so weitergeht wie bis jetzt?
Die Probleme im Anlagegeschäft werden sich auf den ganzen Finanzplatz ausdehnen und zuerst den Zahlungsverkehr, später auch den Handel mit Finanzinstrumenten und das Kreditwesen erfassen. Der Schweizer Finanzplatz würde von seinem Renommee verlieren. Übrig bleiben würde vor allem noch der gute Name einer alternden Schweiz.