Die Kuhglockensammlung nimmt fast die ganze Wand ein. Und sie passt so gar nicht zu Ueli Maurers neuem Büro im eleganten Bernerhof, dem Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäude, das bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg als Nobelhotel fungierte, bevor es in den Besitz der Eidgenossenschaft überging und seither als Sitz des Finanzministers dient. Doch dieser Stilbruch passt wiederum ganz gut zu Maurer, der auch für viele Politiker ein Rätsel bleibt, obwohl sie ihn schon seit Jahren kennen: als Nationalrat, als SVP-Präsident und seit 2009 als Bundesrat.

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Stapelt gerne tief

Maurer, der Bauernsohn mit KV- und Buchhalter-Diplom, hat es in Bern bis ganz nach oben gebracht. Er ist aktuell der SVP-Mann mit der erfolgreichsten Politkarriere, und er hat geschafft, was Christoph Blocher verwehrt blieb: die Wiederwahl und das Präsidium. Doch Maurer stapelt gerne tief, so etwa, als er in einem Interview festhielt, dass das Bundesratsamt zwar interessant sei, er aber «ebenso gut Velo fahren oder Strassen wischen» könne. Eine Provokation, wie er sie immer wieder setzt – und so nicht nur Feinde, sondern oft auch Freunde vor den Kopf stösst.

Reaktionen bleiben selten aus. Auch wenn er ab und zu das Kollegialitätsprinzip ritzt, um der Parteibasis das Gefühl zu geben, dass er noch immer einer von ihnen ist. Oder wenn er Niederlagen so gleichgültig einsteckt, als gingen sie ihn gar nichts an. «Er ist eine eigentümlich ehrgeizlose politische Person», sagt ein bürgerlicher Parlamentarier. Und er fragt sich wie viele in Bern, was Maurer eigentlich antreibe.

Wieso tut er sich diesen Stressjob an? Die Antwort: «Wir leben in einem wunderschönen Land, und ich will dazu beitragen, dass diese Erfolgsstory weitergeht.» Das klingt gut. Vielleicht will er auch einfach noch gerne etwas länger mitmischen in diesem politischen Spiel, das er so gut beherrscht.

Warmlaufen während andere vor sich hin spekulierten

Sieben Jahre führte Maurer das Verteidigungsdepartement (VBS). Viele in Bundesbern dachten, damit habe er seine Pflicht getan, und sie sammelten Indizien für einen baldigen Rücktritt: die Abstimmungsniederlage beim Gripen, das Nein zu den olympischen Winterspielen in Graubünden, die ständigen Intrigen und Indiskretionen aus der Offizierswelt, das Seilziehen um die Weiterentwicklung der Armee, seine immer wieder an den Tag gelegte «Keine Lust»-Attitüde, sein Umzug vom zürcherischen Hinwil ins Berner Oberland, wo die Langlaufloipen locken – und sein 65. Geburtstag, der kurz bevorstand. Doch während Medien und Politiker vor sich hin spekulierten, lief sich Maurer warm für die nächste Runde: für das Finanzdepartement, das er nun seit Anfang Jahr leitet.

Und kaum im Amt, überraschte er erneut viele. Denn er rangierte die Vertrauten seiner in der SVP so verhassten Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf nicht etwa aus, sondern beförderte sie gar: den Generalsekretär Jörg Gasser zum Staatssekretär für internationale Finanzfragen, die persönliche Mitarbeiterin Rahel von Kaenel zur Generalsekretärin. Maurer hievte damit – wie bereits vorher im VBS – erneut eine Frau auf den zweitwichtigsten Posten in der Departementsleitung. «Das ist Zufall», sagt er, räumt aber ein: «Ich arbeite im engeren Umfeld gerne mit Frauen zusammen.»

Die Politik ist Chefsache

Maurers Personalpolitik ist auch Ausdruck seiner Vorstellung von Departementsführung: Das Generalsekretariat ist bei ihm kein Politbüro, sondern eine administrative Schaltstelle, deren Mitarbeiter weniger politische Berater als technokratische Zulieferer sind. Die Amtschefs führt er direkt, die Politik bestimmt er. Im Generalsekretariat will er deshalb Leute, welche die Verwaltung kennen und ihm den Rücken freihalten. Und wenn solche Leute schon da sind, umso besser. «Dann kann man vom ersten Tag an effizient arbeiten.»

Maurer lässt sich auch nicht vom «falschen» Parteibuch abschrecken, wie bei Serge Gaillard, dem Direktor der Finanzverwaltung, der seine Karriere als SP-Mitglied und Gewerkschaftssekretär begann. Kaum war Maurer im Amt, zweifelte SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz an Gaillards Kurs. Doch Maurer stellt sich klar vor seinen obersten Kassenwart: Er arbeite sehr gut mit ihm zusammen. «Wir haben zwar eine unterschiedliche politische Herkunft, doch das erweitert das Diskussionsfeld für mögliche Lösungen.»

Gute Stimmung

Der Stabwechsel an der Spitze des Finanzdepartements ging also letztlich recht unspektakulär vor sich – nicht nur personalpolitisch. Brüche sind kaum festzustellen. Im Bernerhof sei die Stimmung gut, heisst es, nicht viel anders als vorher. Nur wenige sind von sich aus gegangen oder werden dies in den nächsten Wochen tun, so der Chefjurist Daniel Roth oder sein Mitstreiter Marcel Wendelspiess.

Beide haben sich im Nachgang der Finanzkrise um die Bankenregulierung gekümmert, ein Dossier, das unter Maurer jetzt etwas ruhen dürfte. Die Richtung ist vorgegeben, der Pragmatiker Maurer hat akzeptiert, was nun mal nicht zu ändern ist, etwa der automatische Informationsaustausch. Grössere Reformprojekte sind aber nicht mehr zu erwarten. Maurer hat denn auch den Bereich Regulierung aus dem Rechtsdienst des Generalsekretariats ins Staatssekretariat für internationale Finanzfragen transferiert, das 2010 als Troubleshooter-Station gegründet wurde und jetzt verstärkt zu einem Promotionsamt für den gesamten Wirtschaftsstandort werden soll.

Trümpfe offensiver verkaufen

Die Schweiz habe viele Trümpfe, sagt Maurer: die Unabhängigkeit, die eigene Währung, den gesunden Staatshaushalt, die flexible und vielfältige Volkswirtschaft, die gut ausgebildeten Leute, die politische Stabilität. «Das alles müssen wir offensiver verkaufen. Es ist wie bei einem Velorennen: Wir müssen wieder an die Spitze des Felds. Hinten im Feld mitfahren und fluchen ist keine Strategie.» Alles, was es brauche, seien ein bisschen mehr Selbstbewusstsein und etwas weniger Schweizer Bescheidenheit. «Wohlstand macht träge», moniert Maurer. Es brauche wieder etwas mehr Pioniergeist.

Grundsätzlich gibt sich Mauer aber zuversichtlich. Immer wieder. Brexit? «Veränderungen sind immer auch eine Chance. Man muss sie nur zu nutzen wissen.» Der starke Franken? «Ein Ausdruck, dass wir eine sehr gesunde Volkswirtschaft sind.» Der Stillstand bei der Suche nach Lösungen mit der EU? «Das ist keine Sackgasse. Wir sind eine unabhängige Volkswirtschaft. Statt uns einseitig auf Europa zu fokussieren, müssen wir vermehrt nach Alternativen suchen.»

Ähnlich wie Widmer-Schlumpf

Ansonsten hält sich Maurer inhaltlich mehrheitlich an den von Widmer-Schlumpf eingeschlagenen Weg. So hat er soeben die von ihr vorgespurte Unternehmenssteuerreform III erfolgreich durchs Parlament geboxt. Und wie sie appelliert auch er immer wieder an die National- und Ständeräte, ihren Ausgabewillen zu zügeln und den Bundeshaushalt nicht zusätzlich zu strapazieren.

«Ueli Maurer schwingt den Sparhammer», titelte der «Blick», als der Bundesrat Ende Mai sein erstes Stabilisierungsprogramm verabschiedete, mit dem die Ausgaben des Bundes nachhaltig um rund eine Milliarde Franken pro Jahr gesenkt werden sollen. Oder korrekter: mit dem das Ausgabenwachstum um jährlich eine Milliarde abgeflacht werden soll.

Aufgegleist war das Programm bereits. Und auch schon vorher war klar, dass das nicht reichen wird. Denn noch immer droht gemäss aktueller Finanzplanung ab 2018 ein strukturelles Defizit von rund 1,5 Milliarden Franken, das gedeckt werden muss – Stand vor Brexit. Jetzt muss Gaillards Finanzverwaltung noch mal über die Bücher und Korrekturen anbringen. Die Situation dürfte schwieriger werden.

Zweites Sparpaket

Maurer arbeitet schon am nächsten Sparpaket, das er voraussichtlich im November vorlegen wird. Alle werden den Gürtel enger schnallen müssen. «Solche Sparübungen gehen nur mit der Rasenmäher-Methode», sagt Maurer. Nur so erlange man eine gewisse Opfersymmetrie. Diesmal dürften auch die Bereiche Armee und Landwirtschaft nicht verschont werden, wie er einräumt.

Seine engste Verbündete im Sparkampf ist die Schuldenbremse, die nach dem überraschend hohen Überschuss für 2015 wieder unter Druck kommt – nicht nur von links, sondern auch vonseiten der CVP. Maurer will solchen Bestrebungen die Spitze brechen, indem er bis Ende Jahr eine formale Überprüfung der Regeln der Schuldenbremse in Aussicht stellt.

Die Schweiz gehört zwar mit einer Verschuldungsquote beim Bund von nur 16 Prozent des Bruttoinlandprodukts zur Weltspitze, aber Maurer vergleicht sie lieber mit der Schweiz der 1990er Jahre, als diese Quote noch bei zehn Prozent lag. So hält er den Spardruck aufrecht – mit Kalkül: «Ein gewisser Spardruck ist gesund.»

Wechsel bringt Veränderungen

Mit dem Wechsel an der Departementsspitze hat sich vor allem eines geändert: der Ton. Widmer-Schlumpf argumentierte oft juristisch, detailversessen und etatistisch, Maurers Ausführungen hingegen sind «unternehmerischer», summarischer und deshalb einfacher verständlich und vor allem politischer. Ein Wechsel, den viele Politiker begrüssen.

Und was sich ebenfalls geändert hat, ist der Mensch. Beide bezeichnen sich als «bürgerlich» und «liberal», Maurer zusätzlich als «traditionell». Während Widmer-Schlumpf also trotz Sparkurs ab und an Verständnis für gesellschaftspolitisch neue Ideen hatte, etwa für die familienergänzende Betreuung, dürften es solche Projekte aus anderen Departementen in Zukunft deutlich schwerer haben.

Deshalb ist es auch die Linke, die mit dem Wechsel im Finanzdepartement am meisten hadert – und am meisten um ihren Einfluss fürchtet. «Ueli Maurer macht eine klassische rechte Finanzpolitik», sagt SP-Chef Christian Levrat. «Er serviert uns Steuererleichterungen für Grosskonzerne, akzeptiert Budgetaufstockungen bei der Landwirtschaft und der Armee – und will dann bei der Bildung und im Sozialen sparen.» Klar ist auch, dass Levrat Gegensteuer geben will, zum Beispiel mit dem Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III.

Bürgerliche Parteien vor Herausforderung

Der Wechsel fordert aber auch die bürgerlichen Parteien heraus: Immer wieder haben SVP, FDP und CVP in den letzten Jahren eine rigidere Ausgabenpolitik gefordert – und sind dann, wenn es ernst galt, eingeknickt. Jetzt, da ein Mann aus ihren Reihen den Kurs vorgibt, müssen sie den Tatbeweis erbringen, dass es ihnen mit ihren Sonntagsreden auch ernst ist.

Maurer möchte aber nicht nur sparen, sondern dem Finanzdepartement und dem Bundesrat in Zukunft wieder etwas mehr Spielraum verschaffen, indem er ab 2020 den Anteil gebundener Ausgaben senken will. Heute sind gut 56 Prozent der Bundesausgaben oder 38 Milliarden Franken bereits fix vergeben. Der grösste Brocken fliesst dabei in die «soziale Wohlfahrt», sprich vor allem in die AHV, aber auch in die Invalidenversicherung, in Prämienverbilligungen und Ergänzungsleistungen.

Ebenfalls einen grossen Brocken macht das Aufgabengebiet «Finanzen und Steuern» aus, das heisst die Beiträge der Bundessteuern, die an die Kantone fliessen, der nationale Finanzausgleich sowie die Schuldzinsen. An diesen Posten gibt es nichts zu rütteln, sie sind fix im Gesetz oder in der Verfassung vorgeschrieben oder werden von den Finanzmärkten diktiert. Müssen Bundesrat und Parlament kurzfristig sparen, bleiben jeweils nur vier grosse Ausgabenposten übrig: die Bildung, die Entwicklungshilfe, die Landwirtschaft und die Armee.

Wendemanöver bei den Ausgaben

Will Maurer den Anteil der gebundenen Ausgaben senken, muss er sich auf harte politische Auseinandersetzungen einstellen. Und er ist sich dessen bewusst. «Wir sind ein Volk von Bedenkenträgern», sagt er. «Bei jeder neuen Idee werden zuerst einmal alle Vorbehalte aufgelistet.» Umso wichtiger sei es, endlich die sich abzeichnenden Probleme zu thematisieren.

Wie etwa die Generationenfrage, die oft verdrängt werde. «Wir müssen den Zeithorizont öffnen und eine finanzpolitische Diskussion führen, die etwas weiter reicht als bis zum nächsten oder übernächsten Jahr.» Das heisst, es brauche auch Antworten auf Fragen wie: Was will sich die Schweiz in zehn Jahren leisten? Und was kann sie sich noch leisten?

Eine erste Diskussion in diese Richtung erhofft sich Maurer vom Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III. Vordergründig geht es hier zwar um steuerliche Sonderkonstrukte, um die hochmobilen, international tätigen Konzerne in der Schweiz zu halten – und ihre rund 150'000 Arbeitsplätze und ihr Steuersubstrat. Immerhin liefern sie jährlich knapp vier Milliarden an direkten Bundessteuern ab. Doch letztlich geht es auch darum, wie der Schweizer Wirtschaftsplatz in Zukunft aussehen soll.

Anteil der fixen Ausgaben steigt

Vorerst läuft aber der Dampfer noch in die andere Richtung: Der Anteil der fixen Ausgaben hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Und er wird es weiter tun, in den kommenden Jahren gemäss Finanzverwaltung auf über 60 Prozent. Gründe dafür sind Grossprojekte wie die Altersvorsorge 2020, bei der die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV absehbar ist, und die Unternehmenssteuerreform III, mit welcher der Anteil der Kantone an den Bundessteuern erhöht wird. Aber auch im Energiebereich und vor allem beim Verkehr steigt der Prozentsatz der gebundenen Ausgaben. Mit der Schaffung des Bahninfrastruktur- und Strassenfonds klettert dieser auf nicht weniger als 85 Prozent.

Maurer stellt sich auf einen längeren Wettkampf ein: «Ich erwarte keine Wunder.» In der Schweiz brauche alles viel Zeit, vier Jahre zum Anstossen der Prozesse, vier Jahre zum Umsetzen. Heisst das also: acht Jahre Finanzminister Maurer? «Klar, mindestens», sagt er und lacht. Und wie so oft weiss man nicht, ob er es nicht doch ernst meint.