Die ersten Worte gehörten dem neuen Präsidenten, doch mehr auch nicht. Drei Monate lang hatte Boris Collardi, der CEO der Bank Julius Bär, mit der Bank of America über den Kauf des Private Banking der Konzerntochter Merrill Lynch verhandelt. Doch als die Übernahme Mitte August der Öffentlichkeit präsentiert wurde, kam der gerade erst gekürte VR-Präsident Daniel Sauter zu seinem ersten Grossauftritt. Man ergänze sich «strategisch, kulturell und geografisch ideal», säuselte der Neue wenig überraschend.

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Die Aktionäre sehen das anders: Der Kurs gab nach der Bekanntgabe des komplexen Geschäfts um mehr als zehn Prozent nach und erholte sich seither nicht, sodass die erhoffte Kür als Trendsetter des Private Banking ausblieb. Einen Trend setzte die grösste reine Privatbank der Schweiz aber: Anders als sein Vorgänger Raymond Bär will Sauter den Posten nur noch nebenamtlich ausüben. Das liess sich an der Pressekonferenz beobachten: Nach Sauters einleitenden Worten beantwortete Collardi alle zentralen Fragen. Der Chef war er.

Viel Geld, viel Macht

Anschliessend brach Collardi gleich zu einer Weltreise zu den neuen Standorten seines vergrösserten Firmenreichs auf, das neu so attraktive Standorte wie Beirut, Panama oder Mumbai umfasst. Sauter blieb zu Hause. Der wenig bekannte Finanzfachmann, sozialisiert in der verschwiegenen Kultur des Rohstoffhändlers Glencore, peilt nach Angaben der Bank ein Pensum von 20 bis 30 Prozent an. Auch sein Salär soll angepasst werden – wie stark, wird der nächste Geschäftsbericht zeigen. Raymond Bär bezog zuletzt 2,6 Millionen Franken, siebenmal so viel wie Charles Holliday, der Präsident der 30-mal grösseren Bank of America, mit der Bär gerade das Geschäft gemacht hatte.

Noch ist Sauter eine Ausnahme. Eine grosse Zahl Schweizer Weltkonzerne wie Novartis, Nestlé, Roche, Swiss Re, Credit Suisse oder UBS leistet sich noch immer sehr aktive VR-Präsidenten, die nicht nur deutlich mehr verdienen als ihre Pendants im Ausland, sondern auch oft früher selbst CEO waren und damit gegen die von Corporate-Governance-Experten geforderte Unabhängigkeit verstossen. Ob in England, Deutschland oder selbst in den USA, wo das Doppelmandat von CEO und Präsident auf dem Rückzug ist: Die operative Verantworung liegt eindeutig beim CEO, der Verwaltungsrat beschränkt sich auf Kontroll- und Nominierungspflichten. Das spart dem Aktionär nicht nur mehrstellige Millionensaläre, sondern verhindert auch lähmende Machtkämpfe. Die Vergleichsgrafiken (ab Seite 34) belegen: Die Schweiz leistet sich die höchstbezahlten Präsidenten der Welt.

22 Millionen für Jornod

So verdient etwa Novartis-Präsident Daniel Vasella 13,5 Millionen Franken, sein Kollege beim britischen Pharmamulti GlaxoSmithKline, Chris Gent, kommt dagegen umgerechnet nur auf 1 Million Franken, obwohl seine Firma profitabler ist. Glaxo erzielte ihren Gewinn von 9,1 Milliarden Franken letztes Jahr bei einem Umsatz von 44 Milliarden Franken, Novartis benötigte für fast den gleichen Gewinn 58 Milliarden Franken Umsatz. Bei Roche-Präsident Franz Humer ist das Salär etwas kleiner, aber noch immer üppig: 8,8 Millionen Salär bei einem Gewinn von 9 Milliarden Franken. Der Präsident des britischen Pharmakonzerns AstraZeneca, Louis Schweitzer, fuhr mit 9,4 Milliarden Franken sogar einen höheren Gewinn ein, bezog aber nur 750 000 Franken. Die Liste lässt sich beliebig verlängern: Nestlé-VR-Präsident Peter Brabeck bezieht 6,9 Millionen Franken, sein Gegenpart beim grössten Rivalen Unilever, Michael Treschow, bringt es nur auf rund 950 000 Franken.

Auch in der Finanzwelt sind die Unterschiede frappant: Die Präsidenten von UBS, CS und Swiss Re, Axel Weber, Urs Rohner und Walter Kielholz, bringen es auf über vier Millionen im Jahr, die Kollegen von Citigroup, Deutscher Bank oder Münchener Rück beziehen trotz teilweise deutlich grösseren Firmen nicht mal ein Zehntel davon.

Der Trend ist auch bei kleineren Firmen zu beobachten. So legte beim Liftbauer Schindler Firmenpatriarch Alfred Schindler zum 30. September 2011 den CEO-Posten nieder und beschränkt sich seitdem aufs Präsidium. Entschädigung: 6,5 Millionen. Besonders kreativ zeigt sich die Berner Medizinalgruppe Galenica: Der langjährige CEO Etienne Jornod zog sich zu Jahresbeginn ebenfalls aufs VR-Präsidium zurück, liess sich aber gleich für die nächsten fünf Jahre 40 000 Galenica-Aktien zusichern. Heutiger Wert des Pakets: 22 Millionen Franken. Jornod nennt sich denn auch «exekutiver Präsident», doch dieser Ausdruck existiert im Schweizer Aktienrecht genauso wenig wie der «aktive VR-Präsident», zu dem sich Nestlé-Lenker Peter Brabeck ausruft. Die Bankpräsidenten dürfen per Gesetz keine exekutiven Funktionen ausüben und sich deshalb nicht «exekutive Präsidenten» nennen. Sie bezeichnen sich deshalb als «vollamtliche Präsidenten». Doch auch diesen Ausdruck kennt das Schweizer Aktienrecht nicht.

Besonders interessant ist der Fall Vasella. Als der Novartis-Lenker im Jahr 2003, damals noch CEO und Präsident in Personalunion, erstmals seinen Lohn von mehr als 20 Millionen Franken veröffentlichen musste, verschickte seine Presseabteilung eilfertig eine Lohnliste der Chefs globaler Pharmakonzerne, die belegen sollte, dass Vasella im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liege. Heute werden keine Listen mehr verschickt: Vasella ist weltweit der höchstbezahlte VR-Präsident einer börsenkotierten Akiengesellschaft. Er lässt sich sogar, auch das weltweit einmalig, ein Konkurrenzverbot für die Zeit nach seinem Ausscheiden bei Novartis explizit vergüten. Ein exklusiver Trost für den harten Abschied vom CEO-Posten nach 14 Jahren: «Das erfordert Trauerarbeit», klagte er gegenüber der «Schweizer Illustrierten». «Bei aller Vernunft, das muss man emotional verarbeiten.»

Vorbildliche Engländer

Novartis zeigt exemplarisch, dass es keine überzeugende Begründung für diese Zahlungen gibt. Laut dem 1991 revidierten Schweizer Aktienrecht ist der Verwaltungsrat gemäss OR Art. 716a verantwortlich für «die Oberleitung der Gesellschaft». Dieser Passus dient den Präsidenten als Grundlage ihrer Macht. Novartis hat den gesamten Art. 716a auch gleich in ihre Statuten übernommen. Doch die Pflichten in englischen Verwaltungsräten sind vergleichbar. «Der Verwaltungsrat ist gegenüber den Aktionären verantwortlich für die Aktivitäten der Gruppe, die Strategie und die finanzielle Performance», heisst es etwa bei GlaxoSmithKline. «Die Aufgaben und Pflichten eines VR-Präsidenten in England oder den USA unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen in der Schweiz», betont Ethos-Direktor Dominique Biedermann.

Dass die hiesige Gesetzgebung nicht automatisch zu übermächtigen Verwaltungsräten führen muss, zeigt das Beispiel der «Zürich»-Versicherung. Nach dem traumatischen Abgang des langjährigen Firmenherrschers Rolf Hüppi vor zehn Jahren setzte der Weltkonzern mit dem Holländer Lodewijk van Wachem und dem Deutschen Manfred Gentz auf branchenfremde passive Präsidenten mit vergleichsweise tiefen Salären von zunächst 500 000 Dollar. Die «Zürich» ist mit diesem Modell exzellent durch die Finanzkrise gekommen. Jetzt bangen manche Investoren, ob der neue Präsident Josef Ackermann das bisher so erfolgreiche passive Rollenverständnis beihehält. Das Präsidentensalär wurde schon angehoben: von 700 000 Dollar 2010 auf eine Million Franken 2011.

Die Schweiz hinkt hinterher. Das letzte Corporate-Governance-Regelwerk, der Swiss Code of Best Practice, wurde 2002 vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse herausgegeben und wirkt im weltweiten Vergleich seltsam verstaubt. Zwar wurden 2007 Ergänzungen beigefügt, doch sie behandelten nicht die zentrale Frage der Machtverteilung zwischen Verwaltungsrat und Konzernleitung. Weltweiter Vorreiter auf diesem Gebiet ist England. Vor zwanzig Jahren führte das Land mit dem Cadbury Code den ersten Corporate-Governance-Kodex der Welt ein, der – damals wegweisend – die Trennung von Präsident und CEO festlegte. Seitdem wurde das Regelwerk mehrfach überarbeitet, die aktuelle Fassung namens UK Corporate Governance Code trat im Juni 2010 für die 350 Konzerne im britischen Börsenindex FTSE 350 in Kraft. «Ein CEO sollte nicht Chairman desselben Unternehmens werden», lautet die zentrale Forderung, welche englische Firmen zu befolgen haben. Bei Weltkonzernen wie BP Shell, Tesco, Unilever oder HSBC amtet nirgends ein früherer CEO als Präsident.

Hoch im Kurs stehen Veteranen, die Know-how in der Führung von Grosskonzernen haben. So präsidiert der langjährige HSBC-Chef John Bond den Telekomriesen Vodafone, dessen früherer Chef Chris Gent wiederum hat den Vorsitz über den Pharmamulti GlaxoSmithKline. Ex-Nokia-Chef Jorma Ollila präsidiert Shell, der frühere Renault-Chef Louis Schweitzer AstraZeneca. Auch ein Schweizer Topmanager ist als Präsident im Einsatz: Roche-VR-Präsident Franz Humer leitet das Kontrollgremium des Spirituosen-Riesen Diageo (Johnnie Walker, Smirnoff, Guinness). Sein Lohn: 680 000 Franken – nicht einmal ein Zehntel des Roche-Pakets.

Warteschlaufe für Deutsche

In Deutschland sind Kontrollgremium und Konzernleitung – Aufsichtsrat und Vorstand genannt – seit je getrennt, die Hälfte des Aufsichtsrats wird auch heute noch von Gewerkschaftsvertretern besetzt, was sich nicht als Exportschlager erwiesen hat. Die Vergütungen übersteigen nur in Ausnahmefällen eine halbe Million Euro. Der erste Corporate-Governance-Kodex stammt aus dem Jahr 2002. Die überarbeitete Fassung von 2010 legt fest, dass «Vorstandsmitglieder vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende ihrer Bestellung nicht Mitglieder des Aufsichtsrats werden dürfen». Einzige Ausnahme: 25 Prozent der Aktionäre stimmen für den Kandidaten. An dieser Hürde scheiterte selbst der bestens vernetzte langjährige Deutsche-Bank-Chef Ackermann: Weil er die Unterstützung der Aktionäre nicht sicherstellen konnte, zog er letzten Herbst die bereits verkündete Kandidatur für den Präsidentenposten kleinlaut zurück.

Und selbst in den USA, welche die Schweizer Konzernlenker gerne zum Vorbild ausrufen, geht der Trend in Richtung Ämtertrennung und Beschränkung des Verwaltungrats auf Kontrollpflichten. Zwar werden noch immer etwa zwei Drittel der S&P-500-Firmen im Doppelmandat geführt. Doch der Wind dreht. «In Aktiengesellschaften gibt es eine wachsende Tendenz zu non-exekutiven Präsidenten», betont McDonald’s-Chairman Andy McKenna. «Viele der Aktionärsbegehren in den letzten und wohl auch in den nächsten Jahren fordern die Trennung von CEO und Chairman.» Neben McDonald’s haben auch Weltkonzerne wie Citigroup, Bank of America, Microsoft oder Walmart einen nichtexekutiven Präsidenten mit tiefem Salär.

Nur die Schweizer leisten sich noch immer ein System, das zwangsläufig Machtkämpfe an der Spitze provoziert. Bei der UBS etwa lagen die zwei grossen Krisen des letzten Jahrzehnts in der ungeklärten Machtfrage begründet. Als Marcel Ospel, durch die Fusion von Bankverein und Bankgesellschaft 1998 Baumeister der Fusionsbank, 2001 das Präsidium übernahm, baute er sich als «aktiver Chairman» eine Art Über-Geschäftsführung auf, für deren Leitung er sich pro Jahr mit bis zu 26 Millionen Franken entschädigen liess. In seinem Windschatten bezog der damalige CS-Präsident Walter Kielholz für sein 60-Prozent-Pensum bis zu 16 Millionen. Während des Swissair-Groundings 2001 war das Verhältnis Ospels zu seinem damaligen Konzernchef Luqman Arnold so zerrüttet, dass sich die beiden mit Rechtsgutachten über ihre Zuständigkeit bekriegten. Arnold sah die Ursache des Groundings darin, dass Ospel das Swissair-Dossier an sich gerissen und ihm damit in die Geschäftsführung hineingeredet hatte.

Wegweisende Baloise

Auch bei der Subprime-Krise 2007 waren die Banklenker zerstritten und befeuerten dadurch das Fiasko. Konzernchef Peter Wuffli liess die Bilanz ungebremst wachsen und in grossem Stil die toxischen Papiere aufkaufen, VR-Präsident Ospel liess ihn trotz Warnungen gewähren. Wer der Chef war, wurde nicht klar.

Die Frage stellt sich auch heute. Als jüngst erst die «Financial Times Deutschland» und dann die «Süddeutsche Zeitung» nach Bekanntwerden des Ankaufs einer CD mit UBS-Kundendaten durch die deutschen Steuerbehörden das Schweigen des neuen Präsidenten Axel Weber thematisierten, meldete sich der Präsident umgehend in «Handelsblatt» und «SonntagsZeitung» zu Wort. Er fühlte sich verantwortlich, obwohl eigentlich CEO Sergio Ermotti gefragt gewesen wäre.

Bei der Credit Suisse musste dagegen im Juni nach der Kritik der Nationalbank an der zu dünnen Kapitaldecke CEO Brady Dougan öffentlich die Notenbank anfeinden, Präsident Rohner kommentierte vier Wochen später ausführlich den erfolgreichen Kapitalaufbau. Wie die Machtbalance genau funktioniert, ist unklar. Die Swiss Re hatte lange mit dem Juristen Peter Forstmoser einen passiven Präsidenten. Heute leitet der detailverliebte frühere CEO Walter Kielholz den Rückversicherer. Nach einer internen Umstrukturierung wollte sich CEO Stefan Lippe verstärkt um strategische Fragen kümmern. Doch dieses Feld war besetzt. Lippe ging zu Jahresbeginn zermürbt im Alter von 56 Jahren in Frühpension. Bei Roche liebäugelte CEO Severin Schwan im vergangenen Jahr mit einem Einstieg ins Biosimilar-Geschäft, den Milliardenmarkt für Nachahmerprodukte. Doch Präsident Humer wollte nicht – und setzte sich durch.

Noch leisten sich die Schweizer Grosskonzerne eine Präsidenteninsel der Glücksseligkeit. Doch der Druck auf die veraltete Praxis steigt, denn die grossen institutionellen Anleger aus dem angelsächsischen Raum akzeptieren sie immer weniger. Manche Konzerne verstehen das. 17 Jahre führte Rolf Schäuble die Baloise-Versicherung, 2009 aus dem Präsidium heraus. Für sein letztes volles Amtsjahr bezog er 3,8 Millionen Franken. Im vergangenen Jahr musste er im Alter von 69 Jahren gehen. Sein Nachfolger Andreas Burckhardt, ein Jurist mit deutlich weniger Versicherungs-Know-how, beschränkt sich auf Kontrollaufgaben. Die operative Macht liegt eindeutig bei CEO Martin Strobel, der sich endlich vom Übervater Schäuble lösen kann. Burckhardt bezieht mit 870 000 Franken nicht einmal ein Viertel des Salärs seines Vorgängers. Von einem dramatischen Einbruch ist bei der Baloise nichts bekannt. Der Gewinn stieg im ersten Halbjahr um 7,8 Prozent.

Dirk Schütz
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