Dem Taxifahrer reicht der Name World Economic Forum vollauf. Die Fahrt geht entlang der Genfer Riviera, dann quer durch Cologny. Ausserhalb der properen Vorortsgemeinde, mitten im Grünen, biegt der Fahrer scharf nach links ab, passiert ein schweres Eisentor und fährt über eine ovale Zufahrt vor den Haupteingang. Wer an den Empfang tritt, wähnt sich unversehens in einem modernen Boutiquehotel. Das Gebäude, hoch über dem Genfersee gelegen, weist riesige Fensterfronten auf und ist von Licht durchflutet. Grauer Naturstein und Holz vermitteln Wärme. Scheinbar freischwebende Treppen, die terrassenförmig angelegte Etagen verbinden, lassen das Gefühl von Leichtigkeit entstehen.

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Der zweite Eindruck ist der einer Edeluniversität. Es herrscht ein emsiges Kommen und Gehen, überall drängelt sich Jungvolk, sitzt an zahllosen Tischen, beugt sich über Laptops oder diskutiert leise. Ein Gang durch die Grossraumbüros vermittelt dem Besucher Aufbruchstimmung, fast Euphorie. Auf 2400 Quadratmetern arbeiten über 300 Personen aus 55 Nationen, das Durchschnittsalter beträgt 37 Jahre, Frauen stellen mit 60 Prozent die Mehrheit. Auch die Top-Manager müssen sich mit wenigen Quadratmetern begnügen. Einzig der Chef hat ein eigenes Büro; mit grandiosem Blick auf den Lac Léman.

Hier schlägt das Herz des World Economic Forum. Die Organisation, von Klaus Schwab 1971 in Form einer Stiftung aus der Taufe gehoben, ist weltweit bekannt als Organisator des Weltwirtschaftsforums Davos. Was damals als Veranstaltung mit 440 Zuhörern begann, hat sich auf die 41.  Ausgabe von Ende Januar dieses Jahres hin zu einem Monsteranlass mit über 2500 Teilnehmern ausgewachsen (siehe «Medwedews Coup»). Doch das WEF ist längst mehr als das jährliche Stelldichein im Bündner Bergort. Das Forum in Davos ist zwar unverändert das Aushängeschild der Stiftung; in der Erfolgsrechnung schlägt sich der Anlass aber mit einem Anteil von nicht einmal 20 Prozent nieder.

Geldmaschine. Die Firma hat sich zu einem veritablen KMU gemausert, ja ist eine kraftvolle Geldmaschine. Im Geschäftsjahr 2009/10 verbuchte das WEF Schweiz Einnahmen von 143 Millionen Franken (siehe «Sturm und Drang» im Anhang). Vor fünfzehn Jahren floss gerade mal ein Viertel in die Firmenkasse. Nicht eingerechnet ist dabei der 2006 gegründete Ableger in Amerika. «Das WEF Schweiz und das WEF USA sind aus rein juristischen Gründen strikte getrennt», begründet Alois Zwinggi, Managing Director. Gruppenweit erzielen gegen 400 Mitarbeiter einen Umsatz von beinahe 180 Millionen Franken.

Was ist der Erfolgsfaktor? «Die Tatsache, dass wir alle Entscheidungsträger integrieren», antwortet Klaus Schwab, Vorsitzender des Stiftungsrates und Präsident der Stiftungsleitung in Personalunion. Auf Nachfrage greift der 1938 im deutschen Ravensburg Geborene aus: «Die grossen Probleme unserer Gesellschaft können nur gruppenübergreifend gelöst werden. Unser Beitrag ist, dass wir Politiker, Unternehmer, Wissenschaftler und Vertreter von Organisationen an einen Tisch bringen und zum gemeinsamen Handeln motivieren.» Schwab kann seine lange Tätigkeit als Professor nicht verbergen.

Die Aktivitäten des unabhängigen World Economic Forum basieren auf einem global umspannenden Netzwerk, das über die letzten Jahrzehnte immer feiner geknüpft wurde. Die Schlagader sind tausend Mitglieder, welche die grössten Unternehmen der Welt repräsentieren. Sie liessen sich von der Stakeholder-Idee Schwabs überzeugen, dass nämlich Firmen nicht nur für ihre Aktionäre wirtschaften, sondern auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft tragen. Eine Idee, welche die Firmen einiges kostet. Die auf 100 limitierten strategischen Partner, die bedeutendsten Verbündeten des WEF, bezahlen jährlich einen Beitrag von 500  000 Franken. Die 250 Industriepartner überweisen 250  000 Franken. Den 650 Stiftungsmitgliedern wird ein Jahresbeitrag von je 50  000 Franken in Rechnung gestellt. Alleine diese tausend Mitglieder finanzieren, entweder mit Cash oder Dienstleistungen, beinahe das gesamte Budget.

Die Einnahmen wären leicht zu steigern – mit einer Erhöhung der Mitgliederzahl. Doch davon will Alois Zwinggi, der im Frühling 2010 nach einer langen Karriere bei Holcim zum WEF wechselte, nichts wissen. «Wir wollen an der Limite von höchstens tausend zahlenden Partnern und Stiftungsmitgliedern auf keinen Fall rütteln.» Der Spielraum des Forums bleibt begrenzt. Der Innerschweizer Zwinggi: «Wir richten uns strikte nach dem Grundsatz: Die Einnahmen müssen die Kosten decken. Ein Gewinn darf, muss aber nicht anfallen.» Dennoch hat sich in der Stiftung ein Sparbatzen von 25 Millionen angehäuft.

Überhaupt ist das WEF finanzstärker, als es auf den ersten Blick ersichtlich ist. Vor wenigen Monaten wurde am Hauptsitz ein Anbau eingeweiht; die Kosten von gegen 30 Millionen Franken wurden locker aus den Eigenmitteln gedeckt. Zudem ist der bestehende Bau, 1997 für 20 Millionen errichtet, bereits amortisiert. Und von den gegen 9000 Quadratmetern Land, notabene an teuerster Lage, steht ein Teil im Besitz des WEF, den Rest stellt die Gemeinde im Baurecht zur Verfügung.

Die weiteren Mitgliedfirmen des WEF, globale Wachstumsunternehmen und Technologiepioniere, bezahlen dagegen nur einen geringen Beitrag. Ein cleverer Schachzug. Damit werden die künftigen Grosskonzerne frühzeitig ins Netzwerk eingebunden. Auch stellen diese Firmen die potenziellen Strategie- und Industriepartner von morgen.

Wettbewerbsreport. Eine der Hauptaktivitäten des WEF ist das Verfassen von Berichten zu einem aktuellen Thema oder als jährlich wiederkehrende Studien. Bekannt sind der Corporate Gender Gap Report, der Global Risk Report oder der Global Enabling Trade Report. Das weltweit am meisten beachtete Produkt des WEF ist der Global Competitiveness Report. Der 500 Seiten dicke Wälzer misst die Wettbewerbskraft von Ländern. Da die Konkurrenzfähigkeit für die meisten Volkswirtschaften eine Schlüsselgrösse ist, wird dieser Report gerne als Entscheidungshilfe genutzt. «Viele Regierungen sind von unseren Arbeiten derart begeistert, dass sie eigene Reports erstellen. Dann bieten wir ihnen Hilfe an, vor allem bei der Methodologie», erläutert die Chefökonomin Jennifer Blanke.

Die Studie wird seit 1979 herausgegeben. Vorübergehend wurde der Bericht in einem Joint Venture mit der IMD Business School in Lausanne verfasst. Doch die Zusammenarbeit scheiterte an unterschiedlichen Vorstellungen. Der Leiter des World Competitiveness Center am IMD, Professor Stéphane Garelli, arbeitete einst jahrelang beim WEF als Managing Director. «Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, vielmehr ergänzen sich die beiden Produkte», sagt er. Nur kostet das IMD-Produkt 800 Franken, beim WEF wird der Report gratis abgegeben.

Das WEF funktioniert zu einem guten Teil als Think Tank. Im Unterschied zur Denkfabrik Avenir Suisse berät das Forum Unternehmen, Regierungen, Organisationen und weitere Kreise bei der Umsetzung verschiedenster Vorhaben. Zwar hat die Stiftung keinen Implementierungsmechanismus. Dafür sorgt sie global oder regional für die entsprechenden Netzwerke, wo die Umsetzung passiert. Beste Gelegenheit für das Knüpfen neuer Kontakte sind auch die jährlich rund ein Dutzend regionalen Treffen. Zu einer zunehmend gewichtigen Organisation entwickelt sich das WEF USA. Dort werfen gegen 70 Beschäftigte ihre Netze aus. Immer mehr an Fahrt gewinnt auch das WEF China, in Peking mit fünfzehn Mitarbeitern bestückt. Das Interesse der Wirtschaft an dieser für das Land noch etwas ungewohnten Organisation steigt stetig, wie Jeremy Jürgens, in Cologny zuständig für die Aktivitäten im Reich der Mitte, aufzeigt: «Aktuell zählen wir beim WEF China 280 Mitgliedfirmen. Und jedes Jahr kommen rund 50 neue Unternehmen dazu.»

Dem Bau von Beziehungsnetzen wird auch in anderen Bereichen höchste Priorität beigemessen. Am Forum in Davos sind viele Mitarbeiter damit beschäftigt, alte Beziehungen wieder aufleben zu lassen und neue zu knüpfen. Nicht weniger bedeutungsvoll sind die von Cologny aus gewobenen Netze. Da glänzt Klaus Schwab durch hohe Innovationskraft. Dank den von ihm initiierten Plattformen und Foren werden die Netzwerke laufend feinmaschiger. Ein grosser Wurf Schwabs sind die 2004 gegründeten Young Global Leaders. Über dieses Forum laufen viele Aktivitäten, die Mitglieder erweisen sich als ausserordentlich einsatzfreudig. Zudem stellt diese wirtschaftliche und politische Weltelite der Zukunft die nächste Generation an vollzahlenden WEF-Mitgliedern. Mächtige Instrumente sind daneben das International Business Council mit seinen 100 CEO grosser Unternehmen sowie weitere Foren.

Mit dem Ausbildungsprogramm Global Leadership Fellows schlägt Schwab ebenfalls mehrere Fliegen mit einer Klappe (siehe «Brillantschliff»). Angehende und vielversprechende Führungskräfte erhalten am Genfersee die letzte Politur. Das WEF kann dank dem Lehrgang sein Image aufpolieren. Und erhält als Dreingabe hoch qualifizierte, doch günstige Arbeitskräfte. Nach ihrer Ausbildung zerstreuen sich die Führungskräfte von morgen – und sind dem WEF für den Rest ihres Lebens in Dankbarkeit verbunden, sei es als Teil des riesigen Netzwerks oder als zahlendes Mitglied.

Talentmagnet. Das Forum in Cologny lockt nicht mit Supersalären. Mit einem Durchschnittslohn von gerade mal rund 140 000 Franken lassen sich keine bestens ausgebildeten Kräfte anlocken. Es sei denn, der Arbeitgeber heisse WEF. Auf eine ausgeschriebene Stelle treffen, je nach Art der Position, 100 bis 500 Bewerbungen ein. «Das WEF ist ein hochattraktiver Arbeitgeber, auch wenn wir keine Spitzenlöhne offerieren können», bilanziert Managing Director Alois Zwinggi zufrieden. Kassiert wenigstens der Forumoberste ein Höchstsalär? Klaus Schwab hat sich während der schweizweiten Abzockerdebatte dafür stark gemacht, dass der Chef nicht mehr als 20 Mal so viel kassieren solle wie der Angestellte mit dem geringsten Salär, und niemals mehr als eine Million im Jahr.

Auf die Frage, ob er sich eine Million für seine Dienste überweisen lässt, kann Schwab ein Lächeln nicht unterdrücken. Seine Entlöhnung richte sich nach dem höchstbezahlten Angestellten des Bundes, Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand (Basissalär 833 000 Franken). Er, so Schwab, bescheide sich aber mit weniger; üppig ist seine Vergütung allemal. Das sechsköpfige Direktorium muss sich mit deutlich weniger begnügen.

Klaus Schwab ist das WEF und vice versa. Damit das Forum auch in der Nach-Schwab-Ära rund läuft, täte eine klare Nachfolgeregelung not. Doch der Davoser Ehrenbürger will davon nichts wissen. Als sich das Gespräch um seine Nachfolge dreht, meint er leicht enerviert, bei Künstlern wie Claudio Abbado oder Hans Erni wäre jedermann überrascht, wenn die plötzlich aufhörten. «Nur bei Klaus Schwab fragen sich die Leute, weshalb der mit seinen 72 Jahren noch nicht pensioniert ist. Diese Leute verkennen, was mich motiviert.» Und stellt klar: «Solange ich meine Innovationskraft behalte und körperlich fit bin, werde ich weitermachen.»

André Schneider galt als Nummer zwei – doch nie als Kronprinz. Vergangenen November trat er überraschend zurück. Seither wird über die Gründe des Abgangs gemunkelt. «Es gab keinen Streit zwischen Schwab und mir», meint Schneider. «Ich brauche laufend neue Herausforderungen. Doch diese hat es für mich nach zwölf Jahren beim WEF immer weniger gegeben», begründet er seinen Weggang.

Sowieso sei er «nie die geeignete Person für eine Nachfolge» gewesen. «Klaus Schwab ist der Visionär, ich habe seine Ideen umgesetzt.» Auch sonst findet Schneider nur lobende Worte für seinen einstigen Chef. «Sein ständiges Antreiben, seine Visionen haben dafür gesorgt, dass das Forum nicht stehen geblieben ist.» Schneider will es mit 51 Jahren nochmals wissen: Jüngst hat er seine eigene Beratungsfirma gegründet. Die André Schneider Global Advisory hilft Unternehmen, NGO und Regierungen bei der Bewältigung wichtiger Themen, und zwar über das Schaffen von Plattformen, wo sich die verschiedenen Gruppierungen austauschen. Ähnlichkeiten mit bestehenden Organisationen sind rein zufällig.

Kein Nachfolger. Schneiders Aufgaben wurden auf die verbliebenen sechs Top-Manager aufgeteilt, und alle sind in der Hierarchie gleichgestellt. Damit ist in den eigenen Reihen erst recht kein Nachfolger auszumachen. Auch Schwabs Sprösslinge scheinen ihr Glück ausserhalb der Stiftung zu suchen. «Meine Kinder sind mit dem Forum aufgewachsen und eng damit verbunden. Dennoch haben beide klar gesagt, sie würden nur einige wenige Jahre hier arbeiten und dann etwas Neues beginnen. Sowieso ist das Forum eine Stiftung, sie gehört also der Allgemeinheit und nicht der Familie.» Tochter Nicole hat das Forum Young Global Leaders etabliert und danach das WEF verlassen. Sohn Olivier leitet seit knapp einem Jahr den Mitgliederbereich Technology Pioneers.

Und falls Klaus Schwab einen tödlichen Unfall erleidet? Natürlich habe er vorgesorgt, grummelt der Angesprochene. Nach kurzem Zögern legt der WEF-Lenker erstmals sein Notfallszenario offen: Im Todesfall würde sein Doppelmandat aufgeteilt. Eine Position übernähme ein Mitglied des Stiftungsrats mit unternehmerischem Hintergrund, die andere Stelle würde mit einem wirtschaftsunabhängigen Stiftungsrat besetzt. «Das Forum umfasst zwar die grössten Unternehmen der Welt, doch es darf sich nicht in eine Wirtschaftsorganisation wandeln», sagt Schwab. Sonst wäre es um die Glaubwürdigkeit geschehen. «Dann würden viele Stakeholder dem WEF den Rücken kehren, und wir wären selbst für die Unternehmen nicht mehr interessant.» Wer aus dem höchst prominent besetzten Stiftungsrat für diese Posten gesetzt ist, lässt sich der Forumskapitän nicht entlocken.

Bis auf weiteres jedoch wird Klaus Schwab fast jeden Tag im Hauptsitz am Genfersee auftauchen, bei seinen Angestellten Bewunderung auslösen, vereinzelt für ein Stirnrunzeln, manchmal für Verärgerung sorgen. Der gebürtige Deutsche ist der Chefdenker, der Visionär; er akzeptiert laut ehemaligen Managern in wichtigen Belangen nur selten die Meinung anderer. Ein ehemaliger Managing Director erinnert sich an einen Satz, mit dem Schwab manche Diskussion abschnitt: «Ich weiss, ich habe recht. Die Frage ist nur, wann.» Schwab fordert viel. Er schlägt ein hohes Tempo an, unterwirft die Organisation seinem permanenten Innovationstrieb. Wer nicht mithalten kann, bleibt auf der Strecke. Als gleichwertigen Partner anerkenne er, erzählt eine ehemalige Führungskraft, nur seine Frau Hilde, die grossen Anteil am Erfolg des WEF hat.

Klaus Schwab hat fraglos viel geleistet. Ist er mit sich zufrieden? Schmunzelnd sagt er: «Ich bin stolz auf das, was wir geleistet haben, doch bin ich noch nicht zufrieden damit.» Danach verabschiedet er sich und hastet in sein Büro zurück. Die nächste Telefonkonferenz ist angesagt.