Als die Schweiz ab Mitte März aufgrund des Lockdowns zum Stillstand kam, rückte neben dem Gesundheitswesen ein weiterer Sektor ins Rampenlicht: die Logistik.

Im Normalfall im Verborgenen arbeitend, ist vielen Leuten die grosse Bedeutung der Branche erst dann richtig bewusst geworden, als mancherorts für kurze Zeit gewisse Produkte nicht mehr verfügbar waren und die knapp über 160 000 Mitarbeitenden in den Lagern und Camions der Schweiz Sonderschichten schoben.

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Die Krise hat gezeigt: Transport und Logistik sind systemrelevant. Die Unternehmen stellen sicher, dass die nationalen und internationalen Lieferketten auch in der Krise nahtlos funktionieren.

Trotz Systemrelevanz: Ein Blick in die Quartalszahlen der Logistikdienstleister zeigt, dass auch sie die Auswirkungen von Corona zu spüren bekommen haben. Entsprechend stellt sich die Frage, wie es der hiesigen Branche derzeit eigentlich geht.

Anbieter sehr stark von der jeweiligen Branche abhängig

«Man kann die Frage nicht pauschal beantworten», erklärt Erik Hofmann, Direktor am Institut für Supply Chain Management an der Universität St. Gallen. Im Vergleich zur Gastronomie und zum Tourismussektor dürfte die Logistik insgesamt zwar weniger stark getroffen sein.

Eine genaue Prognose und eine allgemeine Aussage seien allerdings schwierig. Grund dafür ist unter anderem die enorme Heterogenität in der Branche, die von den Brief-, Kurier- und Expressdienstleistern über die Stückgut- und Komplettladungslogistik, Tank- und Silodienste oder auch die Massengutlogistik und Kontraktlogistikanbieter gänzlich unterschiedliche Angebote umfasst – ganz zu schweigen von den unterschiedlich eingesetzten Verkehrsträgern auf Strasse, Schiene, Luft und Wasser.

Zudem sind die einzelnen Anbieter sehr stark von der jeweiligen Branche abhängig, für die sie aktiv sind. So dürfte ein Logistikdienstleister mit Schwerpunkt in der Automobilindustrie derzeit deutlich stärker getroffen sein als einer, der im Lebensmittelbereich tätig ist. «Über das gesamte Jahr erwarten wir derzeit, dass der Markt zwischen 4 und 7 Prozent schrumpfen dürfte», erklärt Hofmann.

Naheliegend ist, dass die Luftfrachtbranche unter dem Nahezu-Grounding der Passagierfliegerei gelitten hat, schliesslich wird im Normalfall in deren Rumpf viel Ware mitgeführt (sogenannte Belly-Fracht). Experten schätzen, dass der Anteil der gesamten Kapazität bei gut 50 Prozent liegt.

Paketdienste mit starkem Aufschwung

Beim Luftfrachtspezialisten Cargologic mit Sitz am Zürcher Flughafen ging der Umschlag wegen der Corona-Pandemie zeitweise um 85 Prozent zurück. Immerhin konnten reine Luftfrachtflüge in und aus der Schweiz weiterhin durchgeführt werden – insbesondere mit Medikamenten von Basel aus in andere Länder. «Die Luftfracht war nicht komplett am Boden, doch es gab grosse Verwerfungen», sagt Hofmann.

Einen Rückgang um 10 Prozent erwarten die britischen Marktforscher von Transport Intelligence in der Kontraktlogistik, jenem Bereich, in dem die Logistikdienstleister zusätzliche Aufgaben wie Montage- oder Fertigungsarbeiten für ihre Kunden übernehmen.

Entsprechend sind diese Anbieter von den Schliessungen der Produktionsstätten über alle Industrien hinweg betroffen. Letzteres hat auch dem Stückgut- und dem Komplettladungsverkehr zugesetzt, der für den Zu- und Ablauf verantwortlich ist.

Auf der anderen Seite haben die Paketdienste aufgrund des Booms im Online-Handel während des Lockdowns einen starken Aufschwung erlebt. Hier profitierten sämtliche Anbieter – allerdings nur in jenen Bereichen, die sich direkt an die Konsumenten richten (B2C-Geschäft).

Das Business-to-Business-(B2B-)Geschäft hingegen ist eingebrochen. Bei der Post beispielsweise hat die Paketmenge im ersten Quartal um 10 Prozent zugenommen. Das Geschäft mit adressierten Briefen hingegen ging um 5,6 Prozent zurück.

E-Commerce alleine reicht nicht

Die Zukunftsaussichten für die Branche sind derzeit ebenfalls wenig rosig. Erwartet wird zwar, dass sich die Tendenzen aus der Krise in den kommenden Monaten fortsetzen werden und insbesondere der Online-Handel weiterhin florieren dürfte. Wer von diesem Trend profitiert, dürfte sich in diesem Jahr nicht über mangelnde Arbeit beschweren.

Ansonsten ist die Logistikbranche aber von der wirtschaftlichen Nachfrage genauso abhängig wie andere Sektoren. «Wenn also der Konsum und die Nachfrage nachlassen, dann wird auch die Logistik darunter leiden – und zwar noch stärker als die Gesamtwirtschaft», erklärt Supply-Chain-Experte Erik Hofmann.

In der Vergangenheit habe dies einem Faktor zwischen 1,2 und 1,5 entsprochen. «Die wenigen Gewinner aus dem Online-Shopping-Boom werden die Branche in ihrer gesamten Breite nicht auffangen können», ist er überzeugt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Logistikdienstleister den sogenannten Bullwhip-Effekt, sprich Peitscheneffekt, zu spüren bekommen.

Dieser ergibt sich dadurch, dass viele Firmen in Erwartung von Lieferengpässen aufgrund der Pandemie im Vorfeld noch Nachbestellungen getätigt und ihre Lager aufgefüllt haben. Sollte die Nachfrage nun wie befürchtet zurückgehen, brauchen die Firmen für längere Zeit keinen Nachschub mehr; nicht benötigte Überbestände sind die Folge.

Und die Lehren aus der Corona-Krise? Insgesamt hat die Branche, insbesondere im Lebensmittel- und im Pharmabereich, auch länderübergreifend gut funktioniert. Die Logistiker waren speditiv und haben das System am Leben erhalten.

«Man hat aber auch gesehen, unter welchen Bedingungen Lastwagenfahrer oder Mitarbeitende in den Lagern und Distributionszentren arbeiten mussten», so Hofmann. Hier müsste die Branche mit Unterstützung der Politik nachbessern, denn «es sind genau diese Personen, die für die Versorgung so wichtig sind».