Apple ist über 1'000 Milliarden Dollar wert, Jeff Bezos über 150 Milliarden Dollar schwer, Alibaba hat eine Gewinnmarge von 43 Prozent, Facebook wird jeden Tag von einem Sechstel der Menschheit besucht, Alphabet dringt in immer neue Äderchen der Wirtschaft ein…: Da entsteht eine neue Klasse von Superfirmen, die so viel Marktmacht ausspielen können wie wenige Multis in der Geschichte. Auch in anderen Branchen blies die Digitalisierung einzelne Grosskonzerne gewaltig auf, veränderte sie die Markstrukturen, sorgte sie für Konzentration.

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Das ist eine machtvolle Entwicklung. Sie erklärt vielleicht, weshalb die Löhne in vielen Ländern stagnieren, obwohl es an Personal mangelt. Oder weshalb viele Menschen das Gefühl haben, dass der Mittelstand unter Druck steht. Oder weshalb die Inflation nicht anzieht, obschon die Notenbanken die Geldschleusen seit Jahren offenhalten.

Aber wie wirken die Kräfte dann genau? Das führende Treffen der Notenbanker in Jackson Hole drehte sich letzte Woche genau um diese Frage. Oder trockener: Die US-Zentralbank Fed setzte das Symposium unter den Titel «Neue Markstrukturen und ihre Implikationen für die Geldpolitik». Und heraus kam, dass viele der gängigen Befürchtungen wohl einen wahren Kern haben, während andere, überraschende Gefahren (und Chancen) erst wenig thematisiert wurden.

1. Preise: Die Gefahr von Schocks steigt

Online-Händler passen ihre Preise ständig an, unterstützt durch Algorithmen. Diese Methoden breiten sich auch im stationären Handel aus. Der Harvard-Ökonom Alberto F. Cavallo ging nun grundsätzlichen Folgen dieser Dauer-Anpassungen nach – und kam zum Schluss, dass wir zunehmend mit übergreifenden Preisschocks rechnen müssen.

Konkret: Wenn die Kosten beim Input rasch steigen, werden diese höheren Preise durch das «Digital-System» viel rascher weitergegeben.

Cavallo untersuchte, wie rasch und wie heftig Wechselkurs-Veränderungen heute an der Tankstelle spürbar werden. Und der Vergleich zu früher brachte tatsächlich ein Muster ans Licht: Im Benzinmarkt reagieren die Endpreise zunehmend rasch und sensibel, wenn sich ein Faktor wie der Dollarkurs verändert.

2. Löhne: Die Macht verlagert sich tatsächlich

Sitzen die zunehmen grossen Konzerne an einem immer längeren Hebel, verlieren die Arbeitnehmer an Kraft? Auch diese These kursiert seit einigen Jahren. Die in Jackson Hole vorgestellten Daten boten dazu ein recht differenziertes Bild. Der Princeton-Ökonom Alan B. Krueger zeigte auf, dass die Firmen in den letzten Jahren tatsächlich eine grössere Schwerkraft bei den Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite entwickelt hatten.

Wie das? Laut früheren Erfahrungen, so Kruegers Rechnungen, hätten die Gehälter letztes Jahr angesichts Veränderungen bei Inflation, Arbeitslosigkeit sowie Bevölkerungsstruktur  etwa um 1 bis 1,5 Prozentpunkte steiler nach oben klettern müssen – aber sie taten es nicht. Dies könnte tatsächlich auf eine steigende Nachfragemacht der Unternehmen hinweisen. Und zeige das Bild, so Krueger, dass in diversen Gegenden weniger, dafür grosse Arbeitgeber besser in der Lage sind, dem Job-Markt ihren Stempel aufzudrücken.

Allerdings: John Van Reenen von der Sloan School of Management warnte in Jackson Hole vor einem allzu klischierten Bild.
Zwar sei die Lohnquote in den letzten Jahren tatsächlich gesunken – also der Anteil dessen, was an die Beschäftigten geht. Doch ein detaillierter Blick zeige, dass diese Verschiebung nur bei wenigen Unternehmen einsetzte, während die Lohnquote bei der grossen Mehrheit der amerikanischen Firmen stabil blieb.

Wer aber gehörte zu den Firmen, wo sich die Gewichte tatsächlich weg von den Arbeitnehmern und hin zu den Gewinnen verlagerten? Zum Beispiel die grossen digitalen «Superstar-Konzerne». 

3. Gewinne: Der Sieger kriegt nicht alles – aber den Löwenanteil

Dasselbe Verhältnis stellte John Van Reenen bei den Preisen fest: Heutige Konzerne sind nicht (oder nur selten) besser in der Lage, höhere Kosten direkt weiterzugeben oder mit Preiserhöhungen ihre Gewinne zu steigern. Im Gegenteil: Bei vielen Firmen sank die Preisfestsetzungs-Macht. Und so schaffte es bloss eine kleine Gruppe von sehr innovativen Firmen tatsächlich, die Handelsspannen beziehungsweise die Margen auszuweiten.

Aber am Ende ergab sich doch eine Verschiebung, sowohl in Europa wie in Amerika. Laut Van Reenens Beobachtungen konnten einzelne Konzerne durch Grössen- und Effizienz-Steigerungen tatsächlich auch ihre Rentabilität und ihre Gewinnsummen drastisch oben drücken.

Auch hier haben wir es also mit einer Differenzierung zu tun. Der MIT-Ökonom fasste seine Ergebnisse in der Aussage zusammen, dass es zwar nicht «The winner takes it all» heissen sollte, aber immerhin: «Winner takes most». Der Sieger kriegt den Löwenanteil. 

4. Populismus: Superstars wecken Neid

Im Rahmen der Diskussionen deutete Raghuram Rajan auf eine weitere Nebenwirkung der «Superstar-Firmen»: Sie wecken Widerstand.

Für den Professor der University of Chicago und früheren Gouverneur der indischen Notenbank könnte sich hier eine Zweiklassen-Gesellschaft aufbauen – auf der einen Seite die dynamischen, wachsenden, global wirksamen Konzerne inklusive ihrer Chefs und Angestellten. Und auf der anderen Seite jene Arbeitnehmer, die dort nicht angestellt sind und auch wenig davon profitieren. Man müsse unterscheiden zwischen den globalen Wirkungen eines Konzerns – und den lokalen Wirkungen auf den Mainstream, so Rajan laut «Bloomberg». Die Zentralbanker ja selber «der Inbegriff einer Elite». 

5. Kredite: Wie bewertet man ein Patent?

Noch etwas heizte in den letzten Jahren den Eindruck an, dass gewisse Grundregeln der Wirtschaft aus dem Lot sein könnten: Die tiefen Zinsen und die Geldschwemme wirkten sich nur sehr begrenzt bei den Unternehmenskrediten aus. Warum? Antworten dazu präsentierten Nicolas Crouzet und Janice Eberly, zwei Forscher der Northwestern University, in Jackson Hole.

Ihre Einsichten: Die digitale Wirtschaft baut – logischerweise – massiv stärker auf immateriellen Vermögenswerten wie Software, Patenten oder Users als die alten Industrien. Die Banken wiederum hätten mehr Hemmungen (und weniger Know-how), um solche Anlagen einzuschätzen beziehungsweise als Sicherheit für Kredite zu akzeptieren.

Und so ergibt sich auch hier eine Spaltung zwischen jenen Firmen, die Fremdkapital benötigen, doch auf Widerstand stossen – sowie, andererseits, jenen starken Firmen und starken Marken, die ebenfalls auf immateriellen Anlagen aufgebaut sind, aber ihr Wachstum auch ohne grosse Kredite finanzieren können. Solche privilegierten Unternehmen, so Crouzet und Eberly, finden sich stark im konsumentennahen Sektoren sowie im Gesundheitswesen.