Stefano der Eroberer schlich sich auf leisen Sohlen an. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, ohne Mediencommuniqué und ohne Blaskapelle öffnete die erste OVS-Filiale der Schweiz Anfang März in einem tristen Einkaufszentrum am Basler Stadtrand. Und erst auf Nachfrage teilten die Italiener mit, dass ab April fünf Testfilialen den Markt erkunden werden: Was kaufen Frau und Herr Schweizer in den drei Sprachregionen, im warmen Tessin und im kühlen Stans, im Basler Dreispitzpark und in Locarno am See?

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Stefano der Eroberer sondiert die Lage, bevor er mit Macht nach Helvetien drängt.

Mit der Oma nichts mehr gemein

Stefano Beraldo, seit zwölf Jahren Chef des italienischen Gruppo Coin, zu dem die Modekette OVS und damit der im Heimatland unangefochtene Marktführer gehört, hat 2016 den siechenden Hosenhändler Charles Vögele übernommen.

Diese OVS ist zwar eine Nachfahrin von Oviesse, die es ab 2000 schon einmal in der Schweiz probierte und nach einigen schwächlichen Jahren wieder abzog, hat aber mit der Oma nichts mehr gemein: Oviesse sei eine Art «Convenience Store» gewesen, sagt Beraldo: gute Preise, aber wenig modisch, ein Wiederverkäufer von Waren, die Oviesse-Einkäufer bei Herstellern einsammelten.

Beraldo baute das ganze Handelsarsenal des Konzerns um: Coin-Kaufhäuser verkauften zunächst fast ausschliesslich wenig bekannte Eigenmarken, Beraldo drückte deren Anteil auf unter ein Drittel und lockte Top-Brands wie Canali und Corneliani in die chic gestylten Filialen.

Modischer und jünger

OVS machte er zu einem vertikal integrierten Modehaus, das von Design bis zu den Verkaufskanälen jeden Schritt selbst in der Hand hat. Die alte Oviesse richtete sich an ein älteres Publikum, gar nicht unähnlich zu Charles Vögele, das Durchschnittsalter der Kunden lag bei 50. Beraldo positionierte OVS modischer und jünger, definiert den typischen Kunden als «junge, zeitgemässe Familie im Durchschnittsalter 40, der Vater um 45, die Mutter um 35 und zwei Kinder» und sieht den Brand heute als «gute Kombination aus Fashion und Funktion».

Während Vögele das Sortiment in 60 Prozent Damen, 30 Prozent Herren und 10 Prozent Kinder aufteilte, wird OVS in der Schweiz mit 30 Prozent Kinderanteil antreten; für die Damen verbleiben 45 und für die Herren 25 Prozent. Die stark ausgebaute Kinderabteilung bindet schon die jüngsten Kunden an die Marke, und beim Shoppen für die Kleinen fällt den Eltern hoffentlich auch das eine oder andere Teil für sie selber ins Auge. «Der Durchschnittspreis pro verkauftem Teil ist relativ gering, OVS braucht also einen umfassenden Warenkorb, um den Kunden umfassend abzuschöpfen», analysiert der Handelsprofi Uwe Seibicke, Partner der Unternehmensberatung Hachmeister + Partner.

Beraldo warb für OVS Designer an, die zuvor bei Dolce & Gabbana oder Armani Kleider entworfen hatten, und nutzt, wie es H&M vormacht, Testimonials für limitierte «Kapsel-Kollektionen». Dieses Jahr etwa entstehen unter dem Motto «Arts of Italy» Kleidungsstücke, die ikonische Motive aus dem Kunsthandwerk des Landes verarbeiten, heimische Prominente wirken als Botschafter. Beraldos Ziel: Die Marke soll Kunden das Vertrauen einflössen, dass man hier modisch gut aufgehoben ist, selbst wenn man nur ein paar Socken oder Unterwäsche kaufen möchte.

So einfach wie H&M

Der Umbau von Brand und Logo diente ebenfalls der Verjüngungsstrategie: Oviesse habe ihm immer schon zu sehr nach GS geklungen. GS war eine Lebensmittelmarktkette, die Beraldo selber führte: In Diensten der Benetton-Familienholding Edizione baute er GS mit Übernahmen aus und verkaufte sie im Jahr 2000 gewinnbringend an Carrefour – was den Benettons viel Geld und Beraldo ein mittelkleines Incentive eingebracht haben soll.

Knackiger sollte es sein, auch «fokussierter und internationaler» – fündig wurde Beraldo bei globalen Brands wie H&M, Zara, Gap. Also schnurrte das Logo auf drei Buchstaben zusammen. Ganz grundsätzlich «wollte ich ein einfaches, integriertes Geschäftsmodell», sagt Beraldo: Nicht nur bei den Konzernprozessen und beim Brand, auch in den Stores. Hier liess er die bei Oviesse beliebten abgehängten Decken und Sichtschutzwände herausreissen; die Filialräume wurden meist bis auf Steine, Eisen und Zement entkleidet. «Offenheit und Smart Basic», sagt Beraldo, sollten die Kunden sehen.

Marktanteil kletterte von zwei auf sieben Prozent

Die nordwärts zeigenden Ergebnisse geben Beraldo recht. Er schraubte 2016 den Umsatz auf fast 1,4 Milliarden Euro; ein Plus um 3,3 Prozent, und das mitten in Italiens Wirtschaftskrise. Seit er am Ruder ist, stieg der Marktanteil in der Heimat von zwei auf sieben Prozent, und er will ihn «auf neun oder sogar zehn Prozent in Italien steigern» – zusätzlich zu den existierenden 1200 Geschäften «haben wir Raum für weitere 200 bis 250 grosse OVS- und Upim-Geschäfte identifiziert».

Upim, 2011 akquiriert, bedient heute eine Kundschaft, die etwas älter und traditioneller als die OVS-Zielgruppe ist und mehr aufs Geld schaut. Auch deshalb sollen die 82 Geschäfte, die OVS aus der Charles-Vögele-Filialstruktur in Deutschland übernimmt, nicht zu OVS konvertieren, sondern zu Upim. Die Deutschen lieben ja bekanntlich Discount, und viele Vögele-Standorte befinden sich ohnehin im Umfeld von Aldi, Lidl, Penny und Netto.

In kleinen Schritten und mit wenigen Verkaufsstellen hat OVS andere Märkte betreten, darunter Griechenland, Ungarn, Saudi-Arabien, China, diverse Balkanstaaten. Dabei lernt der Konzern den Umgang mit Besonderheiten bei Preisbildung, Logistik, Sprachen oder Modegeschmack: «Die erste Phase unserer Lernkurve, um nun ausserhalb von Italien zu wachsen, liegt so gut wie hinter uns», sagt Beraldo. OVS sei jetzt bereit, «auch in wohlhabenderen Märkten wie Österreich, der Schweiz und hoffentlich auch Deutschland zu wachsen».

In Zürich und Genf soll Beraldo schon 2015 nach ersten Standorten gesucht, mangels bezahlbarer Flächen aber vorerst kapituliert haben.

Einfach mal ausprobieren!

Mit Charles Vögele gelang nun der Schweizer Markteintritt über ein bestehendes Filialnetz. Inklusive Vögele, die OVS aber mit verbündeten Investoren über ein Vehikel namens Sempione Retail übernahm und deshalb vorerst nicht konsolidiert werden kann, kontrolliert Beraldo bereits jetzt rund zwei Milliarden Euro Umsatz.

Aber seine Pläne gehen viel, viel weiter. Allein ein Marktanteil von zehn Prozent im Textilgeschäft Italiens wäre 2,4 Milliarden Euro schwer. Und mit Vögele, die «rund 500 Millionen Euro Umsatz mitbringen, könnten wir in fünf Jahren bei 600 oder 700 Millionen sein».

In China, wo OVS gerade einen Kontrakt mit dem Handelsriesen Li & Fung unterschrieben hat, will Beraldo das Wachstum beschleunigen, in anderen Märkten selbstredend auch. Sein Ziel: «Wir wollen eine Alternative zu den grossen vertikalen Retailern Europas werden.» Beraldo vermeidet Worte wie «Zara» oder «H&M», zumal die Platzhirsche ein Vielfaches auf die Waage bringen. Aber die Richtung ist klar, auch wenn der Marsch sehr lang werden dürfte.

Handelsprofi Uwe Seibicke attestiert OVS jedenfalls, dass der Konzern «einiges richtig macht: mit seinem breiten Sortiment, in der Kommunikation mit der Zielgruppe, dass er seine Marke mit Testimonials aufwertet und neue Märkte mit Testfilialen Schritt für Schritt betritt».

Kollektion an den Schweizer Geschmack anpassen

Das heisst auch: Das Sortiment anpassen, wo nötig. Insider schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Kollektion eigens für die Schweiz genäht werden könnten. Beraldo nennt keine Zahlen, aber Beispiele: In Italien unüblich, werde OVS spätestens ab Frühjahr/Sommer 2018 «zwei verschiedene Längen für Jeans» in der Schweiz anbieten. Oder: In Italien gehen 70 Prozent aller Damenhosen «Slim Fit» über den Ladentisch, in der Schweiz seien «60 bis 70 Prozent Regular Fit». Und natürlich: Winterjacken – die in Italien kaum einer braucht, viele Schweizer aber sehr wohl. Diese Nachfrage will Beraldo bedienen.

Stefano der Markteroberer ist, ganz nebenbei, ein ziemlich cooler Hund. Er beherrscht mehrere Instrumente, darunter E-Gitarre, Keyboard und Schlagzeug, komponiert Instrumentalstücke und spielt jede Tonspur eigenhändig ein, «Musik ist meine wahre Passion», lächelt er. Auf seinem privaten Weingut Villa Pendola keltert er Prosecco unter der Marke Isolaprimo, den er Freunden schenkt und ausgesuchten Fünfsternhotels liefert. Die Qualität, raunt einer seiner Berater, sei superb.

Und die Filiale an Mailands Via Dante, über der die Showrooms von OVS liegen, führt als einzige keinerlei Kinderkleidung – weil Beraldo einfach mal ausprobieren wollte, ob das Konzept auch ohne die Vorzeigeabteilung funktioniert. Im Hochsommer startet er den Umbau der gut 150 hiesigen Vögele-Filialen für insgesamt 40 Millionen Franken. Wenn er seinen Abenteurergeist in die Schweiz mitbringt, dürfte der Wettbewerb hier ziemlich munter werden.

Dirk Ruschmann
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