Am Ortsrand von Widnau erhebt sich ein kastenförmiges Gebäude, 250 Meter lang, fast genauso breit und 38 Meter hoch, eingezäunt und mit Pförtnerhaus gesichert, «als ob die US-Notenbank eine Filiale von Fort Knox eingerichtet hätte», meckerte das St. Galler Tagblatt – das nicht eingelassen wurde und sich mit einem gehässigen Artikel revanchierte.

Innen sind einige Geschäftsgeheimnisse zu hüten. Hinter einer Schleuse, die nur Mitarbeiter mit codiertem Badge durchqueren können, rasen in einer Führungsschiene blau-rot-silbrige Red Bull-Dosen vorwärts, werden mit steriler Luft ausgeblasen, mit sterilem Wasser gesäubert, von Kameras abgetastet, alles in voller Fahrt.

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25 Dosen pro Sekunde

Fotografieren ist in der «Filiale von Fort Knox» untersagt – diverse Sonderanfertigungen fielen unter «Betriebsgeheimnis», sagt der Werkleiter, der wie alle Gesprächspartner anonym bleiben will. Der Clou ist die Verbindung von Geschwindigkeit und schonendem Umgang: Pro Sekunde flitzen nicht weniger als 25 Dosen über das Zulaufband in den Abfüller; doch sollte sich eine Druckstellen oder Kratzer holen, wird sie aussortiert. Fünf solcher Anlagen stehen in Widnau, zehn Millionen Dosen kann das Werk unter Vollast täglich befüllen.

Von den sechs Milliarden Portionen Red Bull, die 2015 konsumiert wurden, kommen drei Milliarden aus Widnau, der Rest aus einem 50 Kilometer entfernten Werk in Vorarlberg. Um diese Dosen auf die Reise zu schicken, wäre ein Güterzug von 150 Kilometern Länge vonnöten. 2015, sagt ein Konzernmanager stolz, habe die Widnauer Bullenproduktion den Exportwert von Schweizer Käse übertroffen.

Red Bull als «Marketing-Konzern»

Mehr Energy Drink als Käse aus der Schweiz für die Welt – das ist das Werk des Österreichers Dietrich Mateschitz. Er hat mit Red Bull ein neuartiges Geschäftsmodell erfunden, macht heute damit fast 6 Milliarden Euro Umsatz, hat seine Privatschatulle mit einem Vermögen von mehr als 8 Milliarden Euro angefüllt und die Marke Red Bull mit einem Wert von inzwischen 15 Milliarden Euro aufgeladen.

Sein Erfolgsrezept: Er definierte Red Bull als «Marketing-Konzern» –  und setzt konsequent aufs Geldausgeben: Ein Drittel des gesamten Umsatzes fliesst ins Marketing, davon geschätzt die Hälfte in klassische Werbung, die andere Hälfte ins Sponsoring von Sportlern und Veranstaltungen.

Mateschitz hat ein geschlossenes System geschaffen, das Inhalte generiert und selbst für die Verbreitung sorgt – und trotz zunehmender Konkurrenz weiter expandiert. Mateschitz: «Wir glauben, dass die weltweite Übertragung der Red Bull X-Fighters aus Madrid (Freestyle-Motocross, die Red.) oder ein 4-facher Formel-1-Weltmeistertitel mehr wert sind als TV-Spots oder Anzeigen um das vergleichbare Budget.»

Das Werk Widnau ist voll

Mateschitz konzentriert sich trotz verschiedener Nebengeschäfte auf den Energy Drink. Eine Sättigung des Weltmarktes erwartet Red Bull erst bei acht bis zehn Milliarden Dosen pro Jahr, derzeit werden sechs Milliarden Dosen produziert, die Hälfte kommt aus Widnau.

Doch das Werk Widnau ist voll, hat nur noch beim Personal Wachstumskapazitäten. 250 Mitarbeiter produzieren im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr, wenn auch (noch) nicht an allen Tagen des Jahres. Also streckt Red Bull bei der Gemeinde Widnau vorsichtig die Fühler nach benachbarten Grundstücken aus. Eine Erweiterung würde Platz für den nächsten Wachstumsschritt in der Abfüllung schaffen.

«Bilanz» hat nicht nur die Produktion in der Schweiz, sondern auch die Welt von Red Bull in und rund um Salzburg besucht. Die Einblicke hinter die Kulissen des verschwiegenen Milliardenkonzerns lesen Sie in der neuen «Bilanz», ab Freitag am Kiosk oder mit Abo jeweils bequem im Briefkasten.

Erich Gerbl
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