Monisha Kaltenborn: «Wir ergänzen die Formel 1»

Letzten Sonntag crashten erneut mehrere Formel-1-Boliden ineinander. Ein Spektakel, schrieben die Zeitungen. Was sind Ihre Gedanken dazu? Monisha Kaltenborn: Teures Entertainment für manche. Sie waren jahrelang Chefin des Sauber-Teams. Schauen Sie sich die Rennen jedes Wochenende an? Vielleicht nicht jeden Sonntag, aber meistens schon. Sie sind schon drei Jahre nicht mehr Teamchefin. Aber schon noch interessiert. Klar, ich fiebere nicht mehr gleich mit. Dafür habe ich jetzt stärker das grössere Bild vor Augen, was bei der Formel 1 im Hintergrund passiert, wenn ich mir so ein Rennen anschaue. Ihr Lieblingsteam? Ich habe keines mehr. Das sagen Sie jetzt nur, weil Sie sich nichts verbauen wollen für die Zukunft. Vielleicht kehren sie ja irgendwann wieder in die Formel 1 zurück. Wer weiss, was die Zukunft bringt. Aber natürlich habe ich noch Kontakt zu Leuten der verschiedenen Teams. Auch zu Ihrer früheren Sauber-Equipe? Ich kenne die Leute dort schon noch. Aber es ist nicht mehr mein Team. Ich habe Distanz. Es muss Sie doch beschäftigen, wenn das Team brilliert oder auch nicht. Als Aussenstehende hat man nie alle Informationen. Das weiss ich aus meiner Zeit bei Sauber. Jetzt bin ich die Aussenstehende. Deshalb masse ich mir auch nicht an, zu beurteilen, was jetzt in Hinwil läuft. Hat das Team jetzt eine Chance, da es von Alfa Romeo geführt wird? Jedes Team hat eine Chance.Racing Unleashed Gründung: 2018 beschloss Francisco Fernandez, Unternehmer und Gründer des Bankensoftwareherstellers Avaloq, eine Firma für hochwertige Rennsimulationen aufzubauen. Zuerst unter dem Namen Formula V und seit Januar 2020 unter dem Namen Racing Unleashed entwickelt die Firma in Zusammenarbeit mit Partnern die Hard- und Software für die Simulatoren. Expansion: Monisha Kaltenborn ist seit Juli 2019 als CEO dabei. Inzwischen betreibt Racing Unleashed in der Schweiz Lounges in Zürich, Cham ZG und Kemptthal ZH, in denen jeweils mehrere Simulatoren stehen. Im Ausland ist man vorderhand in Spanien und Deutschland präsent. Die Produktion eines Simulators dauert rund eine Woche. Sie sind zu diplomatisch. Es wäre nicht angebracht, mehr zu sagen. Liegt das an Ihrem Naturell oder sind Sie durch Ihren Job in der Formel 1 so vorsichtig bei Ihrer Wortwahl geworden? Ich bin generell ein vorsichtiger Mensch. Aber es gab bei Sauber einmal eine Phase, da konnte ich beim besten Willen nicht verstehen, warum so viel Negatives über das Team geschrieben wurde. Das hat mich geprägt und mich mit Worten vorsichtiger werden lassen. Packt Monisha Kaltenborn jemals etwas anderes an als schnelle Boliden? Denkbar ist alles. Ich habe mir während des Studiums auch nie im Leben vorstellen können, da zu landen, wo ich jetzt bin. Das war nicht auf meinem Radar. Gelandet sind Sie nun hier in Kemptthal, wo Sie mit Racing Unleashed die Rennwagen in die virtuelle Welt bringen. Ist das digitale Formel 1, was sie jetzt hier bei Racing Unleashed als Chefin machen? Es ist virtueller Motorsport. Wir wollen den Motorsport an das breite Publikum herantragen, ihn sehr realistisch erfahrbar machen. Sie bauen Simulatoren mit Hydraulik, grossen Bildschirmen, nachgebauten Formel-1-Cockpits. Die Mittelbarkeit des Motorsports ist ja schwierig. Der Zuschauer konnte ihn bisher selber nicht betreiben – und es gibt viele technische Barrieren. Die senken wir. Sie sprechen also den Fan an. Die Zuschauer, die Fans haben sich gewandelt. Es reicht heute nicht mehr, ab und zu kleine Geschenke zu verteilen. Der Fan heute will dabei sein, es selber machen. Engagement heisst das Schlüsselwort. Das bieten wir. Wir versuchen also, den traditionsreichen Motorsport in die heutige Zeit und damit natürlich auch in eine digitalisierte Form zu bringen. Rennsimulatoren gibt es schon lange. Unsere Simulation ist wirklich hoch entwickelt. So etwas gab es zuvor nicht. Und sie ist sehr wirklichkeitsnah. Die Pedalen kommen von der Formel 1, das Lenkrad ebenso. Trotzdem werden einige sagen: Kinderkram. Die sollen sich einmal in den Simulator setzen. Das sagen mir alle Rennfahrer, die ihn benutzen. Dann reden wir noch einmal. Und Sie? Sind Sie auch schon damit gefahren? Nein, bis jetzt noch nicht. Sie werden es kaum glauben, aber mir fehlte bisher einfach die Zeit. Nie gefahren – als Chefin von so einem Simulator-Startup? Dazu kommt es wohl schon noch. Wenn ich hier bin, sind meistens Kunden, Piloten oder Geschäftspartner da. Dann lasse ich lieber sie fahren. Ich selber bin ja auch nie in einem Formel-1-Auto gesessen, obschon ich Teamchefin war. Was ist das Businessmodell von Racing Unleashed? Wir stehen auf drei Säulen. Erstens verkaufen wir den Simulator direkt an Private. Was kostet der? Rund 100'000 Franken. Sportlich. Wir können fast jedes Auto mit dem Simulator kreieren und auch neue Strecken entwerfen oder bestehende nachbauen. Es gibt keine Grenzen. Die zweite Säule ist der Betrieb in den sogenannten Lounges wie hier in Kemptthal, in Zürich oder Cham, in Spanien und nächstes Jahr in München. Und es wird ein Franchising geben. Was ist mit Alkohol am Simulatorsteuer? Wir verkaufen hier keinen Alkohol. Das passt nicht zum Sport. Aber ja, das Fahren im Simulator ist natürlich sicher. Das hat aber noch nichts mit Rennsport zu tun. Doch, wir bauen parallel dazu eine Rennserie auf, am Wochenende, mit Qualifying und Rennen. Da messen sich Topfahrer aus verschiedenen Orten der Welt gleichzeitig. Inklusive Übertragung und Kommentator. Sie orientieren sich schon stark an der Formel 1. Sie bleibt das grosse Vorbild. Wir bieten auch ein Auto für die Formel E an. Aber die Nachfrage nach Formel 1 ist einfach am grössten. Wenn Sie Erfolg haben, dann klopft doch die Formel 1 bei Ihnen an. Sie werden ja zum Konkurrenten. Ich sehe uns nicht als Konkurrenz. Wir ergänzen die heutige Formel 1. Aber Sie bieten die Monza-Strecke an, haben ein Formel-1-Cockpit am Start. Wir verletzen keine Rechte. Die Strecke Monza gehört nicht der Formel 1. Trotzdem dürften Anwälte neben Ihnen sitzen, wenn Sie etwas planen. Wir kennen ja die Formel 1. Dadurch wissen wir genau, wohin wir gehen können und wohin nicht. Wir müssen uns auch nicht an ein Team binden. Reden Sie mit den Chefs der Formel 1? Ich habe ab und zu Kontakt zu ihnen. Sehen diese Chefs Racing Unleashed auch nur als Ergänzung? Wir reden weniger über Geschäftliches als mehr über die Zukunft des Motorsports. Sie finanzieren bereits eigene Fahrer, etwa aus der Formel 4. Wird es bei Ihnen auch Teams geben? Ja, schon bald. Nicht Teams aus der Formel 1, sondern eigene, neue. Dann geht es am Ende auch um Identifikation mit Fahrerfiguren und Teams wie in der Formel 1? Richtig. Und dann letztlich um deren Vermarktung. Das beginnt schon jetzt. Wie machen Sie das? Wir produzieren Hintergrundfilme über Fahrer, zuletzt über eine junge Fahrerin, die wir coachen. Wir möchten Fahrerinnen und Fahrer zu Helden machen.Die Chefin persönlich Nach dem Abschluss ihres Jus-Studiums an der Universität Wien arbeitete Monisha Kaltenborn (49) als Juristin bei der Fritz-Kaiser-Gruppe. Anschliessend wechselte sie zu Sauber, wo sie von 2000 bis 2017 unter anderem als Teamchefin und CEO tätig war. Seit 2019 ist sie Chefin von Racing Unleashed. Kaltenborn ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dann ist der Simulator also Mittel zum Zweck. Letztlich geht es darum, eine Rennsportserie aufzubauen. Der «Grosse Preis von Kemptthal». Das haben wir gerade noch nicht vor, auch wenn wir technisch eine neue Strecke locker kreieren könnten. Ein «Grand Prix von Zürich» wäre auch gar kein Problem. Man muss nur die Umgebungsdaten für die Strecke haben. Und die sind zunehmend verfügbar. Es gibt im E-Sports-Bereich heftige Konkurrenz. Das ist so. Doch es gibt nicht viele, die das Paket so anbieten wie wir. Aber klar, man muss sich enorm rasch weiterentwickeln, um vorne dabei zu bleiben. Wie lange haben Sie Zeit, um in die schwarzen Zahlen zu fahren? Fünf Jahre wären zu lange. Und ich glaube, der Markt ist bereits da. Vielleicht erleidet man wegen Covid-19 Rückschläge in einem Geschäftsfeld, dafür läufts in einem anderen besser. Wie stark ist Ihr Team jetzt? Ich habe jetzt 35 Mitarbeitende. Der Grossteil arbeitet hier in der Schweiz, aber wir haben in Italien unsere Produktion. Viele von denen, mit denen ich bei Sauber gerne zusammengearbeitet habe, sind mittlerweile hier. Sowohl was Kommunikation und Technik als auch was Projektmanagement angeht. Gehört Ihnen Racing Unleashed zu einem gewissen Teil? Nein. Investor ist einzig Avaloq-Gründer Francisco Fernandez. Bei Sauber hielten Sie ein Aktienpaket. Da war es anders. Mal schauen, was die Zukunft bringt. Im Moment steht für mich im Vordergrund, Racing Unleashed auf eine Ebene zu bringen, wo ich sagen kann: Das ist ein gutes Produkt. Sie sprachen vorhin noch von einem dritten Geschäftsstandbein. Einen Technologiestandort aufbauen. Wir können unsere Technologie letztlich für unterschiedlichste Simulatoren einsetzen. Das tun Sie seit neustem. Sie lancierten soeben eine Art Line Extension: Simulatoren für Classic Cars. Wir wollen mit den Classic Cars die alte Tradition des Rennsports mit wunderschönen alten Wagen in das Heute holen. Zwei renommierte Hersteller liefern das Design für die Autos. Wir sind für die Simulatortechnologie zuständig. Wer ist da die Zielgruppe? Liebhaber von alten Autos, die vielleicht bereits das eine oder andere in der Garage stehen haben. Mit einem Classic-Car-Simulator können Sie eben zum Beispiel auch das Rennerlebnis erfahren, das Sie sonst nicht haben. Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen? Unternehmer Fritz Kaiser rief mich einfach an, erzählte davon und meinte, das könnte etwas für mich sein. Da schliesst sich für mich ein Kreis. In den Motorsport, zu Sauber und damit zur Formel 1 bin ich damals ebenfalls über die Fritz-Kaiser-Gruppe gekommen. Jetzt sind wir doch wieder bei der Formel 1 angelangt. Was läuft dort schief? Ich möchte auf keinen Fall das machen, was mich früher bei anderen geärgert hat: Reinreden, ohne die Details zu kennen. Das kann schiefgehen. Aber Sie haben trotzdem eine Meinung. Die Formel 1 befindet sich seit längerem im Wandel – seit die Amerikaner sie übernommen haben. Die Produktion und die Aufmachung ist schon heute anders. Das beginnt beim Logo und geht bis zur Plafonierung des Budgets für die Rennställe. Die wird kommen. Kann das überhaupt durchgesetzt werden? Es gibt immer Möglichkeiten, die Budgetvorgabe zu umgehen. Wie gut das System funktioniert, steht und fällt damit, wie rasch und stark man Strafen aussprechen kann. Die Strafe ist immer das Abschreckende. Egal wie, aber die Kosten müssen runterkommen. Nur so erhöht man die Konkurrenzfähigkeit von kleineren Teams. Wie ginge das konkret? Muss denn jeder Rennstall wirklich alles selber machen? So wird ein kleiner wirklich geringe Chancen haben, gegen die ganz grossen zu bestehen. Es wäre sicher eine gute Idee, einige Dinge zu standardisieren. Früher wurden Chassis verkauft an andere Teams. In den 1950er und 1960er Jahren konnte man noch ein Auto bei Ferrari kaufen. Damit standen die Fahrer stärken im Rampenlicht. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Aber korrigieren. Heute ist das Finanzielle der wichtigste Faktor, der darüber entscheidet, ob ein Team Erfolg hat oder nicht. Das Wichtigste sollte sein, die Diversität zu wahren, also Autohersteller dabei zu haben und ebenso Private oder gesponserte Teams. Was also ist Ihr Ratschlag? Die Komplexität rausnehmen und das Sportliche in den Vordergrund rücken. Wo besteht Handlungsbedarf? Es fehlt noch immer an Transparenz. Das schwächt die Bindung an den Zuschauer, da bin ich sicher. Die Schlagzeilen sollten nicht immer davon handeln, wer welche Geheimdeals abschliesst. Noch immer ist in der Branche sehr viel Geld vorhanden, das verteilt werden will. Trotzdem muss man sich jetzt Gedanken darüber machen, wie man die Formel 1 für Veranstalter attraktiver machen kann. Früher waren die Ticketeinnahmen wichtig. Heute braucht es vielleicht eher ein Rahmenprogramm der Formel 1 in der Stadt. Also mit den Boliden langsam durch die Stadt fahren. Ja, solche Dinge. Hat die Formel 1 eine Chance in Zeiten des Ökotrends? Man hat immer eine Chance. Und die Formel 1 hat den Vorteil, eine solch enorme Premiumpositionierung zu haben. Jeder Mensch ist in irgendeiner Form von Geschwindigkeit und vom An-die-Grenze-Gehen fasziniert. Im Moment ist langsam fahren, Slow Food und weniger verbrauchen angesagt. Der Zeitgeist ist, digitalisiert, ökologisch und auch ökonomisch zu sein. Und trotzdem: Der Markt für Geschwindigkeit und Grösse ist da. Sonst könnten die Autohersteller nicht entsprechende Wagen in so grosser Stückzahl verkaufen. Der Frauenanteil in der Formel 1 steigt überhaupt nicht an. Mit dem Abschied von Claire Williams ist jetzt keine einzige Frau mehr in führender Position bei den Rennställen. Das sieht düster aus. Und es gibt noch immer keine neue Fahrerin, das fällt natürlich auf. Aber die Formel 1 kann sie natürlich auch nicht aus dem Hut zaubern. Sind nach Geschlechtern getrennte Rennen denkbar oder nötig? Nein, es braucht keine Trennung. Ich sehe bezüglich Fähigkeiten überhaupt keine Notwendigkeit dazu. Wird es je wieder ein neues Schweizer Formel-1-Team geben? Peter Sauber sagte jeweils, es wird niemand mehr so verrückt sein, so etwas von Grund auf neu aufzubauen zu versuchen. Das gilt noch heute. Und übrigens fährt das Alfa-Romeo-Team noch immer mit Schweizer Lizenz. Wer ist die schillerndste Figur in der Formel 1? Bernie Ecclestone gehört sicher in diesen Kreis. Weil er so weit gekommen ist. Ohne tausend Anwälte und Berater. Nicht jeder hätte so auftreten können. Was war Ihr Höhepunkt in der Karriere? Der kommt vielleicht noch. Wer weiss. Was stört Sie an sich selber? Dass ich manchmal zu vorsichtig bin. Was ist Ihre oberste Managementmaxime? Konsequent und transparent seinen Weg zu gehen. Ich ändere die Zielsetzung nicht wegen irgendeines raschen Deals. Und die Dinge klar zu formulieren, ist ebenfalls wichtig. Muss man hart sein als Chefmanagerin? Ja. Und auch hart im Nehmen. Lernt man das? Ein Stück weit muss man das im Blut haben. Ich war nie auf einer Managementschule. Was ist Ihr Ratschlag an Jungunternehmer und Jungunternehmerinnen? Einen Traum nicht loslassen, das Ziel stets weiterverfolgen. Aber das hören sie wahrscheinlich von jedem.

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