Aussprechen kann ich den Namen immer noch nicht, aber dafür schreiben: Eyjafjallajökull. Wenn Günter Jauch vor einem halben Jahr in seiner Sendung «Wer wird Millionär?» nach diesem Namen gefragt hätte, hätte selbst der Publikumsjoker dem Kandidaten nicht geholfen. Heute wissen wir alle, dass es sich bei dem unaussprechlichen Ding um einen Vulkan handelt. Noch besser, wir können die Abläufe bei einem Vulkanausbruch detailliert beschreiben und sogar beim Nachtessen über die Schädlichkeit von Aschepartikeln für den modernen Luftverkehr diskutieren. Wer hätte vor einem halben Jahr gewagt zu prognostizieren, dass wir alle zu Vulkanologen werden?

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Wir leben in einer Informationsgesellschaft! Wissen ist all denen gegeben, die über einen Computer und einen Internetanschluss verfügen. Galt vor wenigen Jahrzehnten noch der Spruch «Wissen ist Macht», so muss man heute diese Vorstellung revidieren: Wissen ist für jedermann frei verfügbar. Schlimmer noch: Wir ertrinken in Wissen. Wir wissen Dinge, die wir nie wissen wollten. Oder hätten Sie jemals wissen wollen, was Carl Hirschmann als Gute-Nacht-Gruss durch die Hotelhallen von Fünfsterne-Hotels grölt?

Das allgegenwärtige Wissen, von allen über alles, hat nicht nur skurrile Facetten. Generell scheint sich die Einstellung der Menschen zum Privaten geändert zu haben. Wer einmal auf «Facebook» gelandet ist und mit Kopfschütteln gesehen hat, was da alles an Informationen über andere Menschen vorhanden ist, versteht, dass ein Konzept wie das Bankgeheimnis aus einer Welt von gestern stammt und auf Dauer nicht haltbar ist. Wer die Kontrollmitteilungen der deutschen Banken an die deutschen Finanzämter kennt, muss feststellen, dass der gläserne Bürger bei unseren Nachbarn scheinbar niemanden mehr stört. Wer kann da noch auf Verständnis gegenüber der schweizerischen Ablehnung eines automatischen Informationsaustausches hoffen?

Im starken Gegensatz zu dieser «Veröffentlichung» des Privaten steht eine ganz extreme Flucht unserer Eliten ins Private. Oder ist das gar kein Gegensatz? Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen wird heute kaum noch anerkannt, meist verspottet. Wer etwas für andere tut, wird in der Regel als naiv belächelt, wenn nicht sogar als dumm verhöhnt. Unser Bundesrat besteht doch - wenn man der veröffentlichten Meinung traut - nur aus Volltrotteln. Unsere Wirtschaft - wenn man bestimmten Initianten Glauben schenkt - nur noch aus Abzockern.

Das Schlimmste an dieser Entwicklung scheint, dass wichtige Repräsentanten dieser Eliten bei diesem medialen Diffamierungsspiel fleissig mitspielen. Alt Bundesräte, Fraktionsvorsitzende und Parteipräsidenten scheinen Gefallen an der Skandalisierung zu finden. Was resultiert aus dieser Entwicklung? Was passiert, wenn man das Feld denen überlässt, die sich um die Erfahrungen der Vergangenheit nicht kümmern, das Wissen anderer gering schätzen und nur ihr eigenes Süppchen auf dem Feuer der öffentlichen Entrüstung kochen wollen?

Der Verlust an Respekt vor den engagierten Andersdenkenden führt geradewegs in den Verlust an Engagement in der Bürgergesellschaft. Wer wird denn noch dem Gemeinwohl dienen wollen, wenn er sich der ständigen Hinterfragung seiner Motive aussetzen muss? Wo ist der Anreiz, eine Milizleistung zu erbringen, wenn man statt mit Lob mit Häme und Diffamierung rechnen muss?

Dabei braucht jede Gesellschaft das Engagement der Eliten. Während allgemein anerkannt zu sein scheint, dass wer mehr Vermögen und mehr Einkommen hat, mehr zur Finanzierung des Staates beizutragen hat, geht uns dieses Verständnis bezüglich der intellektuellen Fähigkeiten zunehmend verloren. Welche Unternehmung wertet es heute noch als positiv, wenn sich Kadermitarbeiter im politischen Bereich engagieren? Egal, wie man zum Militärdienst steht, ist es nicht bezeichnend, dass eine Militärkarriere heute eher als Karrierehindernis denn als karrierefördernd betrachtet wird?

Eine verrückte Welt: Das, was eigentlich privat sein sollte, wird zunehmend öffentlich, und das, woran wir ein öffentliches Interesse haben, wird zunehmend privat. Dabei gilt es gerade nach der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur intellektuell, sondern vor allem auch moralisch, ethisch vorbildhaft zu wirken. Angesichts der Beinahekernschmelze der liberalen Wirtschaftsordnung stehen gerade die wirtschaftlichen Eliten in der Verantwortung, unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung zu verteidigen.