Es ist kurz nach 18 Uhr am Montag, dem 12. Dezember 2022. Die Abendsonne sengt, wie für die Bahamas typisch, auch um diese Zeit noch vom Himmel. Mehrere Einheiten der bis zu den Zähnen bewaffneten Streitkräfte versammeln sich vor der Tür des Penthouses im obersten Stock des Albany Resort, von dem aus man den Yachthafen überblickt. Nach einem ohrenbetäubenden Knall geht dann alles ganz schnell. Als sich der Wirbel gelegt hat, wird Sam Bankman-Fried (SBF) abgeführt.
Rund ein Jahr und vier Monate nach der Festnahme verhängte das New Yorker Gericht eine 25-jährige Gefängnisstrafe gegen den einstigen Superstar der Kryptoszene wegen mehrmaliger Geldwäsche und mehrfachen Betrugs.
Anfangs hatte alles noch fast zu gut ausgesehen, um wahr zu sein. Bereits sechs Monate nach Gründung investierte Changpeng Zhao, der mittlerweile ebenfalls wegen Geldwäsche verurteilte Ex-CEO von Binance, 100 Millionen Dollar, dies bei einer Bewertung von 500 Millionen Dollar. Auf der Zahlenseite berichtete FTX, dass ihr Umsatz im Jahr 2021 um atemberaubende 1000 Prozent von 89 Millionen auf 1,02 Milliarden Dollar bei einem Gewinn nach Steuern in Höhe von 388 Millionen Dollar (17 Millionen im Vorjahr) herangewachsen sei.
Wahrscheinlich war es ein Mix aus der Aura von SBF, ein genialer Gründer zu sein, der auf den ersten Blick äusserst attraktiven Umsatz- und Wachstumsmetriken sowie der Instrumentalisierung von Stars wie Gisele Bündchen und Tom Brady, der auch die renommiertesten Investoren unserer Zeit dazu verleitete, die Warnsignale auszublenden und enorme Summen in FTX zu investieren.
Insgesamt konnte SBF für die Firma innerhalb von nur zwei Jahren satte 1,9 Milliarden an Kapital von 80 Investoren gewinnen, bei Bewertungen von auf dem Höhepunkt 32,5 Milliarden Dollar. Zum Kreis der Investoren gehörten illustre Namen wie Sequoia Capital, Tiger Global, Softbank, Temasek, Blackrock und Lightspeed, Insight Partners, Thoma Bravo, Paul Tudor Jones, Dan Loeb, Paradigm, Tribe Capital und viele mehr.
Die Einordnung des Betrugs
Über die Historie hinweg gibt es Betrugsfälle, die aufgrund der enormen kriminellen Energie einiger Individuen zumindest anfangs schwerlich zu durchblicken waren. Ponzi- oder Schneeballsysteme, wie der in 2008 aufgedeckte Betrug von Bernard Madoff, der Anleger um über 60 Milliarden Dollar brachte, oder derjenige von Robert Allen, der via Stanford International Bank rund sieben Milliarden verschwinden liess, sind von Anfang an so strukturiert, dass der Betrug im Kern des Modells steht.
Aus meiner Sicht zählt in diese Kategorie auch Theranos, das gescheiterte Blut-Test-Start-up von Elizabeth Holmes. Die von den Investoren gefeierte Gründerin sammelte über eine Milliarde Dollar ein – bei einer Bewertung auf dem Höchsststand von neun Milliarden Dollar – mit dem Versprechen, mit nur wenigen Tropfen Blut eine Reihe von Krankheitsbildern akkurat bestimmen zu können. Rückblickend stellte sich heraus, dass die Technik nie funktioniert und Holmes Testergebnisse, auch wegen des massiven Drucks, die Versprechen einhalten zu müssen, systematisch gefälscht und gängige Labortechnologie als bahnbrechende technische Innovation verkauft hatte.
Was die grossen Finanzbetrugsfälle wie bei Enron 2001, WorldCom 2002 und Wirecard 2020 anbelangt, steht im Kern meist nicht nur der Betrug, sondern ein legitimes Geschäftsmodell, um das herum fiktive Profite hinzugebucht werden, die mit der Zeit meist substanzielle Grössen erreichen und das Kerngeschäft überholen.
Weit verbreitet ist zudem die «Fake it till you make it»-Kultur: Gründer werden schon von Tag eins eines Start-ups an angehalten, gross zu denken, da andernfalls die meisten VCs kein Interesse haben. Was nun, wenn die Erfolge ausbleiben? Jina Choi, Direktorin der Securities Fraud Section (SEC) in San Francisco, hat hier eine klare Vorstellung: «Gründer, die eine Branche revolutionieren wollen, müssen den Anlegern die Wahrheit darüber sagen, was ihre Technologie heute leisten kann, und nicht nur, was sie hoffen, dass sie es eines Tages tun könnte».
Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. In frühen Phasen führen ehrliche Gründer dann meist einen sogenannten Pivot durch, also einen Wechsel des Geschäftsmodells mit dem Transfer des Gelernten. Die weniger ehrlichen Gründer versuchen weiterhin, den Schein zu wahren – in unterschiedlichen Schweregraden. Es gibt solche wie Manish Lachwani, die einzelne Metriken und Schlüsselkennzahlen zu optimistisch darstellen. Der Ex-CEO von HeadSpin wurde am 27. April 2023 wegen Wertpapierbetrug verurteilt, denn er hatte in Investorenpräsentationen die jährlich wiederkehrende Umsatzzahl (ARR) systematisch beschönigt. Was um alles in der Welt reitet nun einen zuvor sehr erfolgreichen Entrepreneur wie Lachwani, IT-Betrug zu begehen?
Ich selbst sass in unzähligen Pitches, bei denen mir Gründer die fantastischsten Ideen auftischten mit Annahmen zu Metriken, die niemals stimmen konnten. Oft sind gerade prognostizierte Wachstumsraten, Kundenengagements, Churns, also die Raten des Kundenabgangs, aber auch Annahmen zum benötigten Kapital, dem Cash Burn, hoffnungslos optimistisch dargestellt. Und ganz generell gilt: Je früher die Phase, desto ungenauer (bzw. optimistischer) sind diese Kennzahlen geplant. Mit allen Wassern gewaschene Gründer wissen, dass VCs Prognosen, beispielsweise den Umsatz betreffend, für die nächsten zwölf Monate gern diskontieren und direkt tiefer ansetzen. Da die ARR aber direkt an die Bewertung geknüpft ist, welche wiederum eine Auswirkung auf die Verwässerung des Gründers in der Kapitalrunde hat, wird ein smartes Managementteam alles dafür tun, diese Zahl durch Annahmen im Kundenwachstum, eine potentielle Marktexpansion etc. an die Grenze des Erklärbaren hochzufahren. Dies ist gemeinhin akzeptierte Praxis, denn VCs wollen selbstbewusste, optimistische Gründer, die grosse Ideen mit noch grösserem Potenzial verfolgen.
Am Ende des Spektrums stehen für mich Gründer wie Adam Neumann, die durch die Aufrechterhaltung eines Scheins viel Investorengeld verlieren, aber noch immer innerhalb des rechtlichen Rahmens agieren. Die noch im Jahr 2019 mit 47 Milliarden Dollar bewertete WeWork war ein katastrophales Investment für Investoren wie Softbank, die Neumanns Pitch Glauben schenkten, dass das einfache Geschäftsmodell der Bürovermietung mit Technologie angereichert werden könne. Neumann prognostizierte, dass WeWork sich zu einem eigenen Ökosystem mit Schulen, Wohngemeinschaften und Fitnessparks mausern könne, und schaffte es, die Bewertungsmultiples von den weltbesten Softwarefirmen für das tiefmargige Geschäft von WeWork zu rechtfertigen.
Max Meister ist Founding Partner von Bigmont Ventures mit Sitz Baar, ZG.
Die Zahlen sprachen jedoch eine andere Sprache, denn noch 2021 verzeichnete die Firma einen Verlust von 4,63 Milliarden bei 2,57 Milliarden Dollar Umsatz. 2023 ging WeWork mit 19 Milliarden Dollar Schulden in die Insolvenz. Wo ist nun der Unterschied zu den erwähnten Betrugsfällen, die teils weitaus weniger Schaden anrichteten?
Nun, Adam Neumann hat weder die Effektivität der Technologie gefälscht, wie im Falle Holmes, noch Gelder veruntreut, wie im Falle SBF. Wer nicht lügt, kann auch nicht des Betrugs bezichtigt werden, und nebenbei liegt es in der Verantwortung von Investoren, Geschäftsmodelle finanziell auf Herz und Nieren zu prüfen. WeWorks Nutzung von Adjusted-Ebitda-Metriken, bei denen Verluste kaschiert werden können, war schon immer höchst problematisch.
Die Verantwortung der Investoren
Natürlich stellen betrügerische Gründer die Ausnahme dar, und ein gesunder Optimismus im Gründungsteam ist essenziell. Es liegt in der Verantwortung der Investoren, Prozesse so auszugestalten, dass die Extremfälle herausgefiltert werden. Ich bin der Meinung, dass VCs generell nach den Gewinnern in ihren Portfolien beurteilt werden sollten und nicht nach den abgeschriebenen Investments, denn das Eingehen von kalkulierten Risiken gehört zum Geschäftsmodell. Ein zu zaghafter, auf Sicherheit spielender VC-Investor wird wohl kaum die notwendigen Renditen erwirtschaften.
Offenkundig haben viele der Top-Investoren aber keine tiefe Due Diligence durchgeführt, und die hieraus entstehenden Risiken waren alles andere als kalkuliert. Gefälschte Dokumente und extrem kurze Kapitalerhöhungsprozesse, bei denen Rückfragen mit schmallippigen Aussagen beantwortet wurden nach dem Motto «Take it or leave it», taten ihr Übriges in einem Umfeld, in dem VCs aufgrund des starken Herdentriebs möglicherweise ihren Job verloren hätten, wenn sie sich zu früh gegen ein Investment in FTX ausgesprochen hätten.
Nichtsdestotrotz: Der simple Rat von Warren Buffett, nie in etwas zu investieren, das man nicht versteht, hätte auch die Eliteinvestoren vor Hunderten von Millionen an Verlusten bewahrt.
Daher tragen professionelle VCs und Wachstumsinvestoren natürlich eine Teilschuld an dem Verlust ihres Investments. Teil des Berufs ist – neben dem Sourcing der besten Opportunitäten – das Durchführen eines professionellen Investmentprozesses, der mehrstufig aufgebaut ist, um die Voreingenommenheit der Investoren auszumerzen, das Geschäftsmodell sowie die Technologie in der Tiefe zu verstehen und um sicherzustellen, dass die Unternehmensangaben auch stimmen. Private-Equity-Investoren in späteren Phasen verlangen routinemässig einen «Quality of Earnings Report», der von Wirtschaftsprüfern angefertigt wird und jeden Cent genau unter die Lupe nimmt.
Neben meinem Plädoyer für mehr Tiefe bei der Due Diligence und generell längere Prozesse auch in den frühen Phasen ist es wichtig, dass Investoren mit Einfluss den CEOs ambitionierte, aber realistische Ziele vorgeben. Zudem sind vermeintlich langweilige Kontrollmechanismen wie wiederkehrende Reportings und Audits, Referenzgespräche mit Kunden und professionelle CFOs nicht nur essenziell, sondern auch Grundlage für die Vertrauensbasis.
Für erfolgreiche VC-Investments müssen beide Dimensionen funktionieren. Als Investoren suchen wir Persönlichkeiten in Gründerteams, welche die Welt neu denken, mit kommerziellen Gegebenheiten brechen, Märkte disrumpieren und grundsätzlich optimistisch sind, ohne zu übertreiben. Die VCs selbst müssen genau hinschauen und dürfen nicht Teil des Problems werden. Das amerikanische Modell mit ambitionierten kurzfristigen Zielen bewegt Firmen und kreiert Wert, aber es incentiviert auch die Beschönigung der Finanzen. Insbesondere wenn VCs von ihren Gründern kaum machbare Wachstumszahlen einfordern, wird es problematisch.