Nachhaltigkeit und Diversität haben in der Versicherungswirtschaft in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. So haben inzwischen nahezu alle grossen Versicherer Nachhaltigkeit als zentrales Unternehmensprinzip verankert. Mit Nachhaltigkeit eng verbunden ist der Begriff ESG (Environment, Social, Governance), welcher die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte sowie eine gute Unternehmensführung als Teil der unternehmerischen Verantwortung definiert.
Starkes Kundenbedürfnis
Mehr Nachhaltigkeit ist auch sehr starkes Kundenbedürfnis, denn nicht nur in der Schweiz wünschen sich viele Menschen in der Kapitalanlage nachhaltige Produkte. Dementsprechend findet im Moment in der Schweiz, aber auch global eine erstaunlich schnelle Transformation der Anlageseite hin zu nachhaltigem Investieren statt. So hat zuletzt die Europäische Kommission die Emission von Covid Green Bonds angekündigt, bei denen Hilfsgelder für die Bewältigung der Pandemie mit der Bereitschaft für umweltfreundliche Reformen und Investitionen verknüpft werden.
Einfluss des Klimawandels
Die Assekuranz hat allerdings darüber hinaus ein weitergehendes, ureigenes Interesse am Thema Nachhaltigkeit. Denn auch das «Underwriting» und damit das Kerngeschäft der Versicherer ist im hohen Masse von einer nachhaltigen Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft betroffen. So warnen nicht erst seit 2021 die grossen Erst- und Rückversicherer vor dem enormen Einfluss des Klimawandels auf das Kerngeschäft der Versicherer und stellen in dem Kontext auch die Grenzen der Versicherbarkeit in Frage.
Eine weitere auffällige Entwicklung im Bereich der guten Unternehmensführung ist der Schritt hin zu mehr Diversität in der Assekuranz. Gab es vor zehn Jahren noch Geschäftsleitungen die vollständig von Männern besetzt waren, sind inzwischen die CEO Posten grosser Leben- und Sachversicherer sowie der Krankenversicherer von Frauen besetzt. Die wissenschaftliche Literatur zeigt sehr viele Belege, dass Frauen in Führungspositionen einen Mehrwert für den Unternehmenserfolg darstellen. «Gender Diversity» – gemessen am Frauenanteil im Vorstand – wirkt sich positiv auf den Unternehmenswert aus. Im internationalen Vergleich ist die Frauenquote allerdings mit etwa 10% in Schweizer Geschäftsleitungen weiterhin tief.
Diversität in der Assekuranz
Wo stehen nun also die Schweizer Versicherer heute im Hinblick auf Diversität und Nachhaltigkeit? Im Zuge der I.VW Jahrestagung wurden im Rahmen des Vortages-Workshop den 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwei Fragen zur Diskussion gestellt. Im ersten Schritt sollten die Teilnehmenden die Nachhaltigkeits- und Diversitätsbemühungen der Schweizer Versicherer auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten, wobei der Wert 0 mit «Lippenbekenntnisse» und der Wert 10 mit «integraler Bestandteil des Geschäftsmodells» bezeichnet wurden. Im zweiten Schritt wurde dann gefragt, wo die Teilnehmenden die Nachhaltigkeits- und Diversitätsbemühungen der Schweizer Versicherer im Jahr 2030 sehen.
Assekuranz auf einem guten Weg
Die Ergebnisse zeigen, dass bereits heute die Nachhaltigkeits- und Diversitätsbemühungen der Schweizer Versicherer mehr als reine Lippenbekenntnisse sind (Abbildung 1). Die meisten Befragten sehen bereits heute die Assekuranz auf einem guten Weg in Richtung mehr Diversität und mehr Nachhaltigkeit. Auffällig ist jedoch die erhebliche Verschiebung der Skala im Hinblick auf das Jahr 2030 (Abbildung 2). Diese unterstreicht sehr eindeutig, dass Nachhaltigkeit und Diversität keine Modethemen sind, welche in ein oder zwei Jahren wieder verschwinden. Vielmehr erwarten die meisten Befragten, dass Nachhaltigkeit und Diversität tatsächlich ein integraler Bestandteil des Geschäftsmodells der Assekuranz werden.
Diese Resultate sind aus meiner Sicht sehr erfreulich, haben sich doch viele Versicherer viel zu lange mit einer reaktiven und passiven Positionierung im Hinblick auf die Themen Nachhaltigkeit und Diversität begnügt. Die Versicherer haben ein ureigenes Interesse in diesem Themenfeld proaktiv voran zu gehen und die anstehende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft mit zu gestalten. Wenn nicht die Versicherer vorangehen, welche Branche dann? Die Assekuranz sollte sich aus meiner Sicht stärker in die politische Diskussion einbringen und ihre Vorbildfunktion noch stärker wahrnehmen. Es ist dementsprechend zu hoffen, dass die Resultate der Befragung im Hinblick auf das Jahr 2030 tatsächlich so eintreffen.
I.VW | Institut für Versicherungswirtschaft, Universität St. Gallen (HSG)
Wir sind ein international ausgerichtetes Universitätsinstitut im Bereich Risikomanagement und Versicherungswirtschaft. Wir arbeiten interdisziplinär und kooperieren international mit Partnern aus Forschung und Praxis, um erstklassige und zeitgemässe Forschungs-, Lehr- und Weiterbildungsleistungen zu erbringen.